Junge Elfen

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Ulrike Schrimpfs und Johanna Hansens „Pariser skizzen. Je te flingue“
Ulrike Schrimpf, Johanna Hansen | © Claudia Linnhoff

Die Bilder im Lyrikband müssen ja nicht Gedichtinhalte darstellen. Die in Wien lebende Berlinerin Ulrike Schrimpf, Lyrikerin und Kinderbuchautorin, und die Künstlerin und Lyrikerin Johanna Hansen aus Düsseldorf haben in ihrem gemeinsamen Buch „Pariser Skizzen. Je te flingue“ die Zeichnungen den Texten eben beigefügt. David Eisermann hat sich in das poetische Werk vertieft.

Ulrike Schrimpf stammt aus Berlin und lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin in Wien. Zuerst bin ich ihr auf ihrer Seite bei Soundcloud begegnet, wo sie als ungemein vielseitige Autorin und Kritikerin erlebbar wird. Johanna Hansen traf ich bei einer Veranstaltung in Köln, wo sie ihre künstlerischen Videos, lyrischen Texte und einzigartigen, unverwechselbaren Bilder präsentierte. Dieser Dialog mit sich selbst als bildende, performative und eben ausgesprochen literarische Künstlerin hat auf mich eine große Faszination ausgeübt. Hansens ganzes Werk bedeutet eine Sichtbarmachung, daß poetisches Schreiben in erster Linie zu den Künsten zählt und sich darin von anderen kritischen Zugängen zum Schreiben notwendig unterscheidet. In dem Band „Pariser Skizzen”, den Ulrike Schrimpf mit dem Zusatz „Je te flingue” versehen hat, treffen sie jetzt zusammen: lyrische Texte von Ulrike Schrimpf mit Zeichnungen von Johanna Hansen, dazu eine Hinzufügung („ajouté”), in der beide Künstlerinnen in einen Briefwechsel in Gedichtform treten. Schon jetzt sei verraten: dieses Buch birgt ein starkes Stimulans, zu dem ich in diesem Sommer Zuflucht genommen habe. Als Leser bin ich da gut aufgehoben. Das habe ich gleich gespürt.

 | © Foto: Claudia Linnhoff

Johanna Hansens Anteil hier ist in erster Linie bildlich. Ulrike Schrimpf ordnet ihre Gedichte in fünf Abteilungen, in denen – in jeweils wechselnder Farbe – Johanna Hansens intensive monochrome Tuschzeichnungen erscheinen (es ist französische Schellacktusche von einzigartiger Brillanz, die aus einem kleinen Laden für Künstlerbedarf stammt, in Paris, schräg gegenüber vom Louvre). Zwischen Zeichnungen und Gedichten entsteht eine sich gegenseitig verstärkende, Wirkung, die offen bleibt, nichts festlegt. Aus diesen Pariser Skizzen trifft einen ab und zu ein Blick aus Augen und Gesichtern, wie sie mir bisher nur in Johanna Hansens Bildern und nirgendwo sonst begegnet sind.

Der erste Teil von Ulrike Schrimpfs Gedichten ist gerichtet „an eine junge Künstlerin (die ich nie war)“ und schon hier führt sie ein Verfahren ein, das sich durch das ganze Werk ziehen wird: ein deutscher Titel, den ein französischer Titel begleitet. Begleitung bedeutet nicht Übersetzung. Wie das Grundprinzip des ganzen Buchs, in dem Ulrike Schrimpfs Gedichte auf Johanna Hansens Zeichnungen reagieren, ohne sie zu übersetzen, so entsprechen sich auch die französischen (oder, seltener: englischen) Formulierungen und die deutschen Worte nicht verbatim: „ingwerhaare / qui serait mangé“. Full disclosure: Ulrike Schrimpf und ich teilen miteinander Studium und Praxis der (romanistisch informierten) Vergleichenden Literaturwissenschaft. Dabei sind ihre (aus komparatistischer Sicht höchst reizvoll) zweisprachigen Texte gleichzeitig lyrisch hoch verdichtet und durchschossen von narrativen Elementen wie in dem titelgebenden Text „fingerhut.frau / je te flingue: „[…] und als er vor ihr / stand aus dem nichts je te flingue / roch sie vor allem seine haut junge / haut jungenhaut roch sie waschmittelhaut.“ Da wird die Gastdozentin in Paris von einem jungen Mann verbal bedroht. Die Übersetzung („ich knall dich ab“) bleibt eine Forderung an die sprachkundige Lektüre (Leser müssen die deutsche Bedeutung selbständig ergänzen). Während hier im ersten Teil Johanna Hansen Zeichnungen geradezu blutrot oder doch karmesinrot erscheinen, wechseln sie im zweiten Teil „der Gedanke an eine Ballonfahrt über die Grenzen der Zeit“ zu schwarz. Hier überrascht Ulrike Schrimpf wieder mit einem harten Gedicht

problem was haben sie also gesagt als die drei
männer sich vor ihnen t’as une clope aufbauten
und als er sie gegen eine wand sagen sie
presste fliegende händler kennen sie nicht aber
die farbe erinnern sie vielleicht doch ob dunkel
oder hell seine haut roch nach geröstetem mais
und den kolben stach er ihr zwischen beine
warum auch um himmels willen trugen sie keine / strumpfhosen an dem Tag […]
 
(aus: “eine stadt II / t’as une clope [hast du mal eine Kippe]“).

 | © Foto: Claudia Linnhoff

Im dritter Teil „kinder unter tischen“ wechseln die Zeichnungen zu violett, und die rote Tusche im vierten Teil „mann mit fuchskopfhänden“ erscheint auf irritierende Weise gleichzeitig violett (im fünften Teil dann ein anthrazitenes Schwarz). So wie hier der Gegensatz von „nackt“ zu „angezogen“ die Möglichkeit seiner Aufhebung enthält:

- nachts nur an den einzigen see gehen
- junge elfen liegen lassen
- splitterfasernacktes erwarten
- selbst angezogen bleiben
- was essenziell ist

Gegen Ende lassen Ulrike Schrimpfs Skizzen geradezu eine Verbindungslinie des Metropolenhaften erkennen – die Wienerin aus Berlin, „nur reisend im bug ihrer selbst“, im Widerschein des Parisers Quecksilberlichts:

[…] umgeben von einer
art von ginstergries wuchs sie / allmählich zur gigantin heran im
quecksilberlicht einer stadt liefen
sie ausgeschöpft an gleisen entlang
wuchsen koriandergesichter hoch
verschränkten sie nicht die hände […]

In „für ulrike“, im abschließenden Briefwechsel in Gedichtform „ajouté / hinzugefügt“, ist dann auch Johanna Hansens Stimme zu hören: […] „mit offenen augen schlafen ist noch die leichteste übung / du kennst das aufschrecken hinfallen die / krisengebiete und schlaglöcher unhaltbar rutschst / du aus […].

Johanna Hansen und Ulrike Schrimpf bereiten uns in diesem Buch ein Erlebnis von größter poetischer und künstlerischer Kraft: so bewegend, daß nur die Aussicht auf eine Fortsetzung des hier dokumentierten künstlerischen Dialogs über den Abschluß der Lektüre tröstet.

Die Fotografin Claudia Linnhoff hat alle Zeichnungen für das Buch reproduziert. Ulrike Schrimpf hat ihre Gedicht zu den ihr vorliegenden Zeichnungen geschrieben. Gleichzeitig ruft sie dabei die Erfahrungen eigener Paris-Aufenthalte auf. So entsteht der Eindruck, daß Text und Zeichnungen eng miteinander verbunden sind. Es handelt sich nicht um Illustrationen. Auch nicht bei den Gedichten. Es ist eine Verschränkung. Ein Buch, das man (auch) gesehen haben muß. Unbedingt.

Letzte Änderung: 18.07.2022  |  Erstellt am: 18.07.2022

Pariser Skizzen Je te flingue | © Claudia Linnhoff

Johanna Hansen, Ulrike Schrimpf Pariser Skizzen Je te flingue

Band 7 in vers libre – Zeitgenössische österreichische Lyrik
hrsg. von Alexandra Bernhardt
157 S., geb.
ISBN 978-3-9519842-8-5
Edition Melos, Wien 2021/2022

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Kommentare

Kammann, Petra schreibt
Eine sehr angemessene Besprechung von David Eisermann, der das dialogische Prinzip der Künstlerinnen als "Verschränkung" bildnerischer und lyrischer Motive sieht. Kenne das Buch leider auch nur aus Ankündigungen, aber Johanna Hansens Zeichnungen, Bilder und ihre poetischen Notate faszinieren mich immer wieder, aufs Neue, wenn ich bisweilen zufällig auf sie treffe...

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