Das Lachen eines Franz Kafka

Das Lachen eines Franz Kafka

Guillaume Paolis „Geist und Müll“
Epikur | © Wikimedia Commons

Das kann ja heiter werden. Der französische Demotivationstrainer und vor zehn Jahren noch ‚bundes- und vielleicht weltweit erster Hausphilosoph’ des Leipziger Centraltheaters Guillaume Paoli hat von ‚Denkweisen in postnormalen Zeiten’ in seinem Buch „Geist und Müll“ geschrieben, also von den Widersprüchen im Anthropozän. Dafür gibt Paoli, wie Rolf Schönlau berichtet, epikureische Empfehlungen.

Guillaume Paoli zitiert in „Geist und Müll“ das Schild, das ein australischer Buchhändler angesichts der Buschbrände ins Schaufenster stellte: „Postapokalyptische Belletristik steht jetzt unter ‚Aktuelles Zeitgeschehen’“. In früheren Jahrhunderten wäre sein Buch als Pamphlet oder Streitschrift bezeichnet worden. Die spitze Feder des Pamphletisten zeichnet auch den Autor aus, wie schon eine kleine Auswahl an amalgamierten Kofferwörtern zeigt, die als Abschnittsüberschriften fungieren: „Kapitalozän“, „Armagedöns“, „Das anthropoboszöne Werk“, „Latourkundemuseum“ oder „Surmaterialismus“
.

Mit 123 durchnummerierten Abschnitten in acht Kapiteln hat die Schrift die Struktur eines Lehrbuches, das den Stoff in kommensurablen Lektionen von durchschnittlich zwei Seiten Länge entfaltet. Worum es geht, sagt der Untertitel: „Von Denkweisen in postnormalen Zeiten“. Das Buchcover zeigt eine Liste themenbezogener Buzzwords, übermalt mit einem vielfach verschlungenen Gebilde – wohl einem gordischen Knoten, der bekanntermaßen nur durchschlagen werden kann.

Postnormale Zeiten: Der Begriff wurde vom britisch-pakistanischen Zukunftsforscher Ziauddin Sardar geprägt, der die Gegenwart als Übergangszeit beschreibt, „in der alte Orthodoxien sterben, neue erst noch geboren werden müssen und nur sehr wenige Dinge Sinn zu machen scheinen“ (Wikipedia). Das ist der Ausgangspunkt von Paolis Buch und beschreibt zugleich unser aller Sinndefizit.

Wir sind über Artensterben, Waldvernichtung, Überflutungen und Extremtemperaturen, kurz: über die Zerstörung unserer Lebensbedingungen en détail informiert und wissen partout nicht, was wir tun sollen: Leugnen führt zu Verschwörungstheorien, Verdrängen gebiert Monster, Kleinreden ist naiv, Aktivismus à la Klimakleber ein Protestsimulakrum, so lächerlich wie ein Buch „gegen die Abgründe des Geistes“ zu schreiben, schreibt der Autor eben dieses Buches.

„System change, not climate change“. Eine Parole der jungen Aktivistinnen und Aktivisten, mit der Paoli übereinstimmt. Er betreibt in seiner Untersuchung Ursachenforschung, um das ökologische Desaster gedanklich einzuordnen und den Irrweg dahin zu rekapitulieren. Als ehemaliger Hausphilosoph am Schauspiel Leipzig weiß er auch das Tragische unserer Gegenwart zu benennen: Systemwechsel oder Paradigmenwechsel, wie es in Vermeidung des R-Wortes gern heißt, ist so unmöglich wie unabdingbar. Was sich in dem verbreiteten Ausspruch niederschlage, das Ende der Welt sei vorstellbarer als das Ende des Kapitalismus.

Die Selbstzerstörungsmaschine läuft seit Beginn der industriellen Revolution, die im 19. Jahrhundert Fahrt aufnahm. Da ist sich Paoli mit den Vertretern des Anthropozän einig, auch wenn er die Verursacher lieber beim Namen nennt und vom Kapitalozän spricht. William Stanley Jevons schrieb, dass die Steigerung der Energieeffizienz nur immer mehr Verbrauch hervorbringe. Man müsse sich entscheiden „zwischen kurzfristiger Grandeur und nachhaltiger Mittelmäßigkeit“. Das klingt nach heute, wurde aber bereits 1865 geschrieben, zur Hochzeit der Kohle. Das Buch ist reich an solchen Ausgrabungen, die allenfalls der Fachwelt bekannt sein dürften.

Mit dem Bericht des Club of Rome lagen 1972 die Fakten für die sich anbahnende planetarische Krise auf dem Tisch. „Die Grenzen des Wachstums“ war keine Voraussage nörgeliger Kapitalismuskritiker, sondern das zahlenfundierte Werk eines internationalen Expertengremiums von Technokraten. Dennoch blieb die fundamentale Wachstumskritik folgenlos, denn etwa zur selben Zeit machten sich die Ingenieure daran, die Lebensdauer der Geräte zu drosseln – „Schrott mit zwischenzeitlichem Kollateralnutzen“ zu produzieren, wie Paoli spitz formuliert.

Inzwischen hat Homo sapiens, der selbst nur ein Zehntausendstel der gesamten Biomasse ausmacht, soviel hergestellt, dass es „mehr Autoreifen und Betonpfeiler, Stromleitungen und Turnschuhe, Container und Kondome als Spatzen, Akazien, Pilze und Würmer“ auf dem Planeten gibt. Diese Unmenge an menschengemachtem Müll – Abfälle und Emissionen – definiert das Anthropozän, auch Noosphäre genannt, Sphäre des menschlichen Geistes. Hierauf geht der Titel des Buches zurück: Geist und Müll.

Darum heißt die Devise auf dem globalen Recyclinghof: Trennen, sich trennen, umgestalten und mit dem, was nicht recycelbar ist, leben. Paoli buchstabiert das Programm durch: „Genug Öffnungen, es ist Zeit zu schließen; genug Innovationen, es ist Zeit zu zerschlagen; genug Institutionen, es ist Zeit zu destituieren; genug Gründungen, es ist Zeit zu entgründen; genug Sorgen, es ist Zeit zu entsorgen.“ Denen, die Verzicht schon immer für unmöglich erachtet haben, hält er das Beispiel der Azteken entgegen, die das Rad nur als Kinderspielzeug benutzt hätten und nicht als neue Technologie.

Paoli betont ausdrücklich, dass sein Pamphlet politisch nicht anschlussfähig sei. Was für ihn aber in die richtige Richtung weist, sind Arbeitsverweigerungen, die vor allem nach Corona zu massenhaften Kündigungen geführt hätten, in den USA „The Big Quit“, in China »Tang Ping« (Flachliegen) genannt. Das sei zwar kein Grund für übertriebene Erwartungen, heißt es am Ende des Buches, es biete aber immerhin die Bedingung für die Möglichkeit von etwas Neuem. Was eine kohärente Perspektive für einen Autor ist, der Ende der 1990er-Jahre das „Manifest der Glücklichen Arbeitslosen“ mitverfasste und 2013 zur Neuübersetzung von Paul Lafargues „Das Recht auf Faulheit“ einen Essay beisteuerte.

Auch die passende philosophische Lehre hat Paoli im Gepäck – den Epikureismus, der in Athen nach Plato aufkam, als die Polis im Zerfall war und sich als reformunfähig zeigte. Epikur lehrte nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen, Sklaven und Kinder. Sein Programm der Angstlosigkeit und solidarischen Selbstgenügsamkeit soll helfen, sich auf die anstehenden Entwöhnungen nach der Zeit des Wegwerfkonsums vorzubereiten. „Geist und Müll“ ist eine Art Überlebensmittel, um das Denkvermögen zu retten und das Lachen eines Franz Kafka, wie Paoli sagt. Und keins von beidem kommt zu kurz in seinem Buch – nicht die Theorie und nicht der Humor.

Letzte Änderung: 12.06.2023  |  Erstellt am: 10.06.2023

Geist und Müll | © Wikimedia Commons

Guillaume Paoli Geist und Müll

Von Denkweisen in postnormalen Zeiten
268 S., geb.
ISBN: 978-3-7518-0355-7
Matthes & Seitz, Berlin 2023

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Kommentare

Ilse Pforr schreibt
Im mdr Kultur hat mich am Dienstag der von Jörg Schieke formulierte Kommentar zum Buch "Geist und Müll" durch die Radikalität und Klarheit der dort geschriebenen Ansichten fasziniert und in meinen Gedanken nicht mehr losgelassen. Es ist ganz meine Denkweise. Glückwunsch, dass Herr Paoli vom Desaster spricht. Keine Revolution ist keine Lösung, eine Revolution in der Wirtschaft schein mir aber auch um umgänglich. Die Gleichgültigkeit scheint mir der größte Feind der Demokratie. Steuerungerechtigkeit, Lobbyismus, Meineid sind normal oder gar rechtens? Wovor wollen wir noch abstumpfen? Als Steuerberater weiß ich, von über 30 Jahren viele solchen Tatsachen, zu berichten. Können wir Zukunft? Das ist, bei allen Krisen und einer gigantischen Verschuldung, eine berechtigte Frage. Ich sage, Ja, wenn wir als Gesellschaft funktionieren und alle einbeziehen wollen. Was heißt Gerechtigkeit? Mein Streben danach, ist mir innewohnend. Darum habe ich ein grundsätzliches positives Menschenbild. Ich möchte in Ruhe und in Wohlstand leben. Wäre es nicht schön, wenn jeder durch Arbeit , wie durch eine selbst bestimmte Freizeit, täglich ausgeglichen leben könnte? Ich kenne eine Idee mit der wir das einfach und klar finanzieren können. Es geht mir um ein demokratisches Geldsystem. Das heutige Geldsystem ist das Gegenteil. Gern bezeichne ich es als Diktat des Geldes. Die Forschung von Professor Feige zeigt auf, anstelle aller bekannten Steuern tritt eine automatisierte Abgabe auf jegliche Geldbewegung ein. Zu verstehen als Mikroabgabe . Steuerbetrug und Steuerschlupflöcher werden damit faktisch abgeschafft. Der Nutzen für alle ist eine reale Entschuldung des Staates bei gleichzeitiger besseren Möglichkeit der Erfüllung seiner Aufgaben, wie Bildung .Gesundheit und Infrastruktur. Die Mikroabgabe ist gerecht, da niedrige Einkommen durch eine Art Mini Maut fast frei bleiben und durch Spekulation sich die Staatskassen füllen. Geld würde wieder zu dem, was es ursprünglich ist, ein Recht auf Leistung oder Ware. Wohlstand darf nicht das Recht Einzelner bleiben. Denn das heutige Wachstum, ist die Schulden von Morgen. Die Schuldenspirale kostet Jeden täglich mehr Geld und vernichtet so den Wohlstand der Mehrheit. Die Geschichte Menschheit wurde schon immer vom Geld bewegt. Dieser Lösungsansatz muss besprochen werden. Ilse Pforr Possibilistin www.gedankentheater.eu

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