Die gekaufte Braut

Die gekaufte Braut

Puccinis Butterfly-Premiere in Frankfurt
Heather Engebretson (Butterfly) und Jakob Fritschi (Das Kind Dolore) | © Barbara Aumüller

Japanische Geisha trifft amerikanischen Marineoffizier. Da werden nicht nur zwei unterschiedliche Kulturen zusammengespannt, sondern auch zwei Charaktere, die schwer zueinander passen. Das kann nicht gut gehen. Wie kann man das plausibel gestalten? In der neuen Frankfurter Inszenierung von Giacomo Puccinis Oper „Madama Butterfly" siegen Musik und Gesang über Regie und Dramaturgie, findet Stefana Sabin.

Die zwei leichten Wände, die sich geräuschlos nach links nach rechts auf der Opernbühne bewegen, sollen die Leichtigkeit der japanischen Häuser suggerieren. Denn die Handlung der berühmten Oper von Giacomo Puccini spielt in Nagasaki, wo Pinkerton, ein junger amerikanischer Marineoffizier, gerade ein Haus inklusive der Geisha Cio-Cio-San gekauft hat. Dass die Beziehung zwischen dem lebensfrohen Amerikaner und der schüchternen Geisha nicht gutgehen kann, ist offensichtlich: „Dovunque al mondo lo Yankee vagabondo si gode“ – ‚Im weiten Weltall fühlt sich der Yankee heimisch‘, singt Pinkerton schon zu Beginn der Handlung bei einem Glas Whiskey: ‚Das Leben zu genießen, irrt er lüstern umher, wo Schätze sich erschließen und wo die Liebe ihm winkt.‘

In der neuen Frankfurter Inszenierung von R. B. Schlather hält Pinkerton einen Pappbecher in der Hand, den er zerdrückt und wegwirft – ein amerikanischer Tourist in kurzen Hosen und darüber hängendem Hemd, bei dem das einzige, was entfernt an Marine erinnern könnte, die modischen Bootsschuhe sind! Die Lässigkeit gehört zum Charakter dieser Figur, und der italienische Tenor Vincenzo Costanzo, der kurzfristig für Evan Leroy Johnson eingesprungen ist, wird seiner Rolle schauspielerisch und auch gesanglich mehr als gerecht.

Aber die Oper wird getragen von der Titelfigur, der Geisha Cio-Cio-San, genannt Butterfly, die die amerikanische Sopranistin Heather Engebretson mit technischer wie emotionaler Bravour singt. In einem elegant langen schulterfreien roten Kleid und mit gekonnter Schüchternheit stellt sie von Anfang an einen Gegensatz zu der schlampigen Erscheinung Pinkertons und zu dessen Allüren dar. Während Pinkerton nur im ersten Akt und dann kurz am Ende des dritten Aktes anwesend ist, singt Butterfly die ganze Oper hindurch. Dabei erweist sich Engebretson, die ihr Rollendebüt als Butterfly gibt, als Spinto-Sopranistin von außerordentlichem Können, die leichte ebenso wie dramatische Höhepunkte der Partie scheinbar mühelos bewältigt und so die Gefühlsregungen der Figur von der anfänglichen Lebensfreude bis zur tiefen Verzweiflung am Ende glaubhaft darstellt.

Heather Engebretson (Butterfly) und Ensemble | © Foto: Barbara Aumüller

Von Pinkerton verraten und verlassen, sieht Butterfly nur noch eine rabiate Lösung: „Con onor muore chi non può serbar vita con onore“ – ‚Ehrenvoll sterbe, wer nicht länger mehr leben kann in Ehren.‘ (Dass sie den Harakiri-Dolch horizontal statt vertikal hält, ist eine der kleinen Ungereimtheiten der Inszenierung.) Butterflys Selbstmord wird in der Frankfurter Inszenierung vor Publikum gewissermaßen verborgen, denn er findet hinter einer der beiden Trennwände statt, die das Bühnenbild von Johannes Leiacker bestimmt.

Der Kargheit dieses Bühnenbilds – ein Stuhl ist das einzige Requisit – entspricht eine minimalistische Personenführung, so dass die Sänger fast durchweg frontal singen. Aber das tun sie so bravourös, dass sie tatsächlich kaum Dekor und Requisiten brauchen, um die Handlung voranzubringen und die Emotionalität der Musik zu vermitteln. Puccini, der eine leise Vorliebe für exotische Handlungsorte hatte, gestaltete den culture clash zwischen der amerikanischen und der fernöstlichen Lebensweise, indem er der Musik immer wieder eine feine japanische Färbung ohne sentimentale Schwelgerei gab. Diese nüchterne Modernität erarbeitet der Dirigent Antonello Manacorda, Chefdirigent der Kammerakademie Potsdam, mit dem Frankfurter Orchester besonders heraus und trägt zum musikalischen Gelingen der Frankfurter Aufführung bei.

Letzte Änderung: 29.05.2022  |  Erstellt am: 29.05.2022

Heather Engebretson (Butterfly) und Vincenzo Costanzo (Pinkerton) | © Foto: Barbara Aumüller

MADAMA BUTTERFLY
GIACOMO PUCCINI 1858–1924
Japanische Tragödie in zwei Akten
Text von Giuseppe Giacosa und Luigi Illica
Uraufführung 1904, Mailänder Scala
Musikalische Leitung: Antonello Manacorda
Inszenierung: R.B. Schlather
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Kostüme: Doey Lüthi
Licht: Olaf Winter

Oper Frankfurt

Die nächsten Aufführungen: 04., 06., 10., 16. 30. Juni 2022

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Kommentare

Walter H. / Margarete B. schreibt
Einmal mehr eine Glanzleitung des Orchesters und der Sängerinnen und Sänger der Oper Frankfurt. Gegeben wurde „Madama Butterfly“ von Giacomo Puccini - eine Oper, ein Psychodrama und, damals wie heute, eine wahre Geschichte. Die Begeisterung im Publikum ist groß und der Beifall riesig. Und doch bleibt ein schales Gefühl zurück. Geschuldet einer Inszenierung, die sehr an der Oberfläche bleibt und den eigentlichen Themen dieser Oper keinen Raum, keine inszenatorische Gestalt gibt. Achtet man genau auf den Text dieser Oper, so erschließt sich sofort, was hier geschieht. Da wird die 15jährige Japanerin Cio-Cio-San, genannt Butterfly an einen reichen Amerikaner verkauft (Mädchenhandel). Dieser heiratet sie zum Schein, in dem Wissen, dass er später in Amerika eine „richtige" Frau heiraten wird (Sexueller Missbrauch einer 15jährigen). Als er ihr nach Jahren - bei einem kurzen Aufenthalt zurück in Japan – sogar noch das gemeinsame Kind wegnimmt (Kindesraub), setzt Cio-Cio-San ihrem Leben ein Ende. Darin folgt sie dem Vorbild ihres Vaters, der den traditionellen japanischen Selbstmord Seppuku vollzogen hatte, um seine Ehre zu wahren. Wer nicht in Ehren leben kann, soll in Ehren sterben. Diese Worte spricht Cio Cio San bevor sie sich den Dolch ihres Vaters in den Körper sticht. Als Frau – so den Eindruck, den die Inszenierung vermittelt - hat man dem Manne zu gehorchen, ihm – auch sexuell - zu Diensten zu sein und bleibt letztlich als Opfer zurück. Auch der traumatische Aspekt, dass Cio-Cio-San mit dem Selbstmord ihres Vaters und jetzt ihr Sohn mit ihrem angekündigten Selbstmord klarkommen muss, bleibt eher im Vagen und Ungewissen. Pinkerton, ein amerikanischer Leutnant ist in den Augen des Regisseurs R.B. Schlather ein Abenteurer. Cio-Cio-San, eine aus finanzieller Not mit dem Einverständnis ihrer Mutter zu einer Geisha ausgebildet, eine Rebellin, die Ihre Kultur verrät. Das Drama spitzt sich seiner Meinung nach zu, weil Butterfly nicht einsehen will, dass Pinkerton sie nicht liebt, sondern nur missbraucht hat. Damit erschöpft sich laut Schlathers die Deutung der Geschichte der Madama Butterfly. Wäre diese Oper nicht eine Gelegenheit gewesen, den Missbrauch von Mädchen durch erwachsene Männer in den Mittelpunkt zu stellen? Cio-Cio-San, ein Kind aus reicher Familie, die beim Kaiser in Ungnade gefallen und verarmt ist, mit 15 Jahren von ihrer Mutter in den Beruf der Geisha gezwungen, träumt von der großen Liebe. Nicht nur um dem Geisha-Dasein zu entkommen. Sie liebt Pinkerton zutiefst und wartet drei Jahre auf ihn. Sie schlägt Angebote von anderen reichen Männern aus. Kann man es ihr verübeln, dass sie weg möchte aus dem Land, das ihrer Familie und auch ihr so viel Unglück gebracht hat? Kann man hier von Kulturverrat sprechen? Ist es die naive Abenteuerlust von Pinkerton, die ihn dazu treibt, ein 15-jähriges Mädchen zu missbrauchen und ihr dann das gemeinsame Kind wegzunehmen? Im Gegenteil: Aus dem Text geht deutlich hervor, dass Pinkerton schon vor dem Missbrauch seine 2. Ehe in Amerika plant. Alles Themen, die den Regisseur offenbar nicht interessieren – er sieht anderes in dieser Geschichte. So zum Beispiel die Verarmung von Cio-Cio-San, auf die er ein besonderes Augenmerk hat und sich zu diesem Regieeinfall hinreißen lässt: Nach der Pause – die Musiker*innen spielten sich noch ein, der Dirigent noch nicht vor Ort und das Saallicht noch an – öffnet sich bereits der Bühnenvorhang und Suzuki, die Dienerin Butterflys, sitzt Geld zählend am rechten Bühnenrand. „Der Regisseur R.B. Schlather“, so der Dramaturg dieser Produktion, „wollte bewusst schon vor Einsetzen der Musik zum 2. Teil die trostlose, verlassene Atmosphäre im Hause Cio-Cio-Sans spürbar werden lassen – und auch die Not, die sich am wiederholten Zählen der verbliebenen Geldreserven durch Suzuki ablesen lässt.“ Laut der Aussage des Dirigenten Pier Giorgio Morandi weiß Puccini mit seiner Musik „ganz genau, wie und welchen Knopf man drücken muss, um Emotionen beim Publikum zu erregen“. Und darauf legte man denn auch in Frankfurt großen Wert: das Publikum sollte schwelgen und überwältigt werden, von so viel in wunderbare Musik verwandeltem Schmerz. Ich finde, dass diese Inszenierung den innewohnenden Themen der Oper nicht gerecht wird. Durch die Inszenierung hätte deutlich werden müssen, dass ein solches Verhalten gegenüber Kindern und Frauen nicht in Ordnung ist. Es fehlte eine inszenatorische Idee, die sich gegenüber den Inhalten der Oper kritisch positionierte um damit sowohl dem Werk als auch der Intelligenz des Publikums und unserer heutigen Zeit gerecht zu werden. Die musikalische Darbietung des Orchesters war in jeder insicht großartig. Sängerinnen und Sänger brillierten makellos. Cio-Cio-San, gesungen von Heather Engebretson, bewältigte diese riesige Gesangspartie mit unglaublich energiegeladenem Temperament. Körper und Stimme waren eins. Rodrigo Porras Garulo, ein stimmgewaltiger Tenor, in der Rolle des Leutnant B.F. Pinkerton – herausragend. Allerdings an manchen Stellen überzogen laut. Das Regiekonzept war nicht nur oberflächlich, sondern auch falsch und wurde dem Werk überhaupt nicht gerecht. Menschenhandel, Kindesmissbrauch, Kindesraub, das alles wurde nicht thematisiert. Anstatt den Stoff mit dem Wissen von heute zu durchdringen, hat sich der Regisseur eine eigene wenig tiefgründige Geschichte gebaut und mit der Musik von Puccini wurden lediglich „Knöpfe beim Publikum gedrückt“. Emotionale Überwältigung ohne Raum für kritisches Hinterfragen. Und das im 21. Jahrhundert und an der Oper Frankfurt.

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