Unbewegt und doch beweglich

Unbewegt und doch beweglich

Christian Ofenbauers „Zerstörung des Zimmers/der Zeit"
Christian Ofenbauer

Im Laufe der Geschichte hat die zeitgenössische Kunstmusik nahezu alles, was sie noch im 19. Jahrhundert ausmachte, abgeschüttelt. Sie hat sich von tradierten Erwartungen befreit und sich zum Beispiel auf die Physiognomie des Klangs selbst konzentriert. Ernst-August Klötzke beschreibt anhand der Doppel-CD „Zerstörung des Zimmers/ der Zeit“, wie der österreichische Komponist Christian Ofenbauer damit Musik macht.

Ofenbauers Musik bewegt sich im Offenen

Die Doppel-CD „Zerstörung des Zimmers/der Zeit” enthält zwei Versionen (so nennt sie der Komponist) eines Materialgedankens, dessen Ausprägungen abgeleitet sind von einer ursprünglich als Schauspielmusik konzipierten Komposition, einmal für Klavier solo (interpretiert von Johannes Marian) und einmal für Streichquartett und Klavier (interpretiert vom Quatuor Diotima und Johannes Marian).

Vor dem Hören der CD stand der lange Weg der Entscheidung, welche der beiden Kompositionen/Versionen den Anfang machen könnte. Für die Beantwortung der Frage spielten Erwartungen eine große Rolle: immerhin einmal 31:22 Minuten (Klavier solo) und einmal 48:16 Minuten (Streichquartett und Klavier). Beides lange Strecken, die Längere mit Instrumenten, deren Töne lange erklingen können, die kürzere mit einem Instrument, das entweder immer wieder Impulse braucht oder dessen Klang sich in der Stille zwischen den Impulsen vermeintlich selbst reflektiert oder sich vielleicht auch verliert.

Ich entschied mich, als erstes die Fassung für Streichquartett und Klavier zu hören und bin im Nachhinein froh über diese Entscheidung, wirkt somit doch die Solo-Fassung wie ein verselbstständigtes Echo, das aus dem unmerklich langsam sich verändernden Streicherband der anderen Fassung die dortige Klavierfassung aus/mit einer anderen Perspektive ergänzt.

Ofenbauers Musik, die auf der vorliegenden CD gebannt ist, bewegt sich im Offenen. Sie suggeriert keine Erwartungshaltung, sondern fordert gleichsam die Einlassung lediglich auf das, was da zu hören ist. Dies ist zugleich befreiend wie auch im besten Sinne anstrengend. Sie entzieht sich der Erinnerung an Musik anderer Komponist*innen und/oder anderer Zeiten, sie erklingt wie ein Solitär in dem Moment, in dem wir sie hören und klingt unweigerlich nach, wenn sie längst verklungen ist.

Vielleicht ist dies der Tatsache geschuldet, dass Ähnliches weniger in einem formbildenden Zusammenhang erkennbar ist, als vielmehr im Sinne von Markierungen vergangener Gestalten. So wirken in der Fassung für Streichquartett und Klavier auch beide akustischen Welten wie mit verschiedenen zeitlichen Maßstäben gemessen, ein Eindruck, der sicherlich auch durch die um 5 Hz unterschiedenen Stimmtonhöhen unterstützt wird. Aus dieser Abweichung heraus entstehen größtmögliche Nähen bei gleichzeitig größtmöglichen Distanzen: Die trennend/zusammenführende gegenseitige Ergänzung eines raum-zeitlichen Kontinuums.

Das Erscheinungsbild beider Kompositionen lässt sich am ehesten mit dem Begriff „schwebend“ fassen. Dies wird auf unterschiedliche Arten deutlich. Während in der Version für Streichquartett und Klavier die Streicher ein irisierendes, fast unbewegtes und doch bewegliches und hochfrequentes Klangband spielen, dessen Grade der Veränderung zwischen unmerklich und im Nachhinein merkbar sind, werden im Klavier fast entrückte Einzeltöne und zusammenklänge hörbar, die dem Schwebenden der Streicher sanfte Impulse geben, die sich jedoch kaum auf die musikalische Gestalt des Streicherklangs auswirken.

In der Version für Klavier solo übersetzt Ofenbauer nicht den Gestus der Streicher in den Klavierklang; er lässt vielmehr die vereinzelten Klänge alleine stehen, trotz der und durch die zeitlichen Abstände erscheinen sie nicht voneinander losgelöst. Die Stille zwischen ihnen erlaubt vielmehr das Nachlauschen.

Schwebend werden die Stücke besonders auch durch die hervorragenden Interpret*innen, die sich so ganz auf die Musik einlassen und den dramaturgisch hervorragend durchdachten Ablauf mit Klangschönheit und Zartheit übersetzen, die wahrlich berühren.

Die von Walter Weidringer verfassten Texte des dreisprachigen Booklets verweisen auch auf die Entstehungsgeschichte und sind eine hilfreiche Hinführung zu den beiden Versionen.
Versionen? Ich scheue mich davor, diesen Begriff zu verwenden, zu einfach und unmittelbar erscheint er mir, zu wenig ausreichend, um diese schönen „Aussichten“ auf Ähnliches und doch Anderes, die Ofenbauer aus seinem musikalischen Material gestaltet, zu fassen.

Diese CD lohnt das mehrfache Hören, immer Neues gibt es zu erkennen, immer andere Zusammenhänge treten in den Vordergrund, in den Hintergrund tritt die Zeit, die vergeht.

Letzte Änderung: 13.09.2021  |  Erstellt am: 13.09.2021

Christian Ofenbauer

geboren in1961 in Graz (A), Komponist und Musiktheoretiker, Studium an der Wiener Musikhochschule (Orgel bei Herbert Tachezi, Tonsatz bei Alfred Uhl und Komposition bei Friedrich Cerha), Professor für Musiktheorie und Komposition an der Universität Mozarteum Salzburg.

Zerstörung des Zimmers der Zeit

Christian Ofenbauer Zerstörung des Zimmers der Zeit

Version for string quartet and piano (2000) &
Version for piano solo (1999)
2 CDs, NEOS Music GmbH; 2020

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