Balladen für die Ewigkeit

Balladen für die Ewigkeit

Ein Nachruf auf Gordon Lightfoot (1938-2023)

Gordon Lightfoot war ein Barde aus der nordamerikanisch-kanadischen Folksinger-Tradition, der einprägsame Songs schrieb und sang. Auch in Europa war er mit seiner Musik präsent in den Radios, Jukeboxes und Plattenläden. Lightfoot ist 84-jährig gestorben, und Paul-Hermann Gruner hat ihm einen Nachruf geschrieben.

Diesmal stimmt es. Anders als am 18. Februar 2010. Damals fuhr Gordon Lightfoot gerade zum Zahnarzttermin, als im Radio sein Klassiker „If you could read my mind“ gespielt wurde, gefolgt von der Nachricht, dass er, Lightfoot, vergangene Nacht im Alter von 71 Jahren gestorben sei. Der üble Falschmeldungsscherz ergoss sich 2010 auch über Prominente wie George Clooney oder Matt Damon. Lightfoot informierte den Sender im Sinne von Mark Twain, der seinerzeit ähnlich falsche Nachrichten mit dem Satz „Reports of my dead have been greatly exaggerated“ kommentiert hatte. Am 19. Februar 2010 korrigierte die Printpresse in Toronto den Sachverhalt so: „Gordon Lightfoot is no longer dead.“

Diesmal stimmt es. Einer der großen Sänger, Songschreiber und Balladiers nicht nur Kanadas starb am Tag der Arbeit 2023 im Sunnybrook-Hospital in Toronto im Alter von 84 Jahren. Nach einem langen, unendlich fleißigen, emotional wie physisch extrem erschöpfenden Künstlerleben schlief da jemand friedlich ein, von dem Kanadas Premierminister spontan sprach als einer Ikone des Landes, die „den Geist … und die Klanglandschaft Kanadas mitgeprägt“ habe wie kaum ein Zweiter. Justin Trudeau darf das auch sagen, weil er bereits 1973 als Kind im Hause seines Vaters, des damaligen Premiers Pierre Trudeau, den Troubadour Lightfoot erleben durfte. Was zeigt: So lange und nachhaltig hat diese Ikone gewirkt.

Ihr Wesen bestand vor allem aus Musik, Worten und einer in die Wiege gegebenen Treue zu seinem Publikum und seinem Lande. Liegt auch an der Kleinprovinz seiner Herkunft. Zwischen Lake Simcoe und Lake Couchiching kam Lightfoot im Städtchen Orillia, Ontario zur Welt. Eine abgeschiedene, unaufgeregte Welt, viel Weite, Platz, unberührte Natur und viel Ruhe, um in sich hineinzuhorchen. Seit Jahren schon steht auf dem Ortsschild: „City of Orillia. Population 27 000. Home of Gordon Lightfoot“.

Als Sänger und Komponist hat er im populärkulturellen Raum vor allem der gesellschaftlich aufgewühlten 1960er bis 1980er Jahre seine höchst individuelle Fusion von Folk, Chanson und Pop kreiert – und an ihr dann auch eisern taten-durstig festgehalten. Zwischen 1966 und 1976 schoss er erst für United Artists, dann für Warner Brothers insgesamt 13 anspruchsvolle LPs in den Markt mit fast ausschließlich eigenem Material.

Lightfoots Karriere ist nicht Resultat von Song-Wettbewerben oder säuseligen TV-Präsenzen. Sie steht für puren Willen und harte Arbeit. Inmitten der Folk-Welle rund um Bob Dylan und Phil Ochs singt sich Lightfoot Abend für Abend in Clubs und Coffeehouses wie dem Riverboat oder Steel`s Tavern in Toronto seinen Bariton wund, und das für eine makabre Wochengage. In einem unwürdigen Ambiente spielt er mit seiner zwölfsaitigen Akustik-Gitarre an gegen eine Geräuschkulisse aus Gläserklingen, Tassenklappern und Gesprächen. Gäste wie das Duo Ian and Sylvia Tyson oder Harry Belafonte hören ihn, covern seine Songs und ventilieren den Namen Lightfoot peu à peu durch die Musikwelt. Es folgt das Management durch Musik-Guru Albert Grossman, Auftritte in der Johnny-Cash-Show im Fernsehen, ab 1970 die Zusammenarbeit mit dem kongenialen Produktionspartner Lenny Waronker, der die Lightfoot-Alben aufnahmetechnisch hochpoliert zu sensationellen akustischen Kabinettstückchen. Perfektion statt Geschrammel. Und dann kommen – oft staunenswerte – internationale Chartserfolge zwischen 1970 und 1976.

Waronker holt auch mal Musikerkollegen wie Ry Cooder zu den Sessions herbei, lässt innovative Streicher arrangieren von Randy Newman, aber im Kern bleibt die Lightfoot-Band über mehr als ein Jahrzehnt ein eingeschworenes Sound-Quintett, das vor allem durch die stets wunderbar durchhörbaren, disziplinierten, entspannt virtuosen Gitarrenpickings von Terry Clements und Red Shea glitzern und glänzen darf. Signifikant, dass auch der erfolgreiche Lightfoot in den frühen siebziger Jahren – zum Beispiel auf „Don Quixote“ (1972) – gänzlich auf klassisches Schlagzeug verzichtet. Charme, Intensität und Drive seiner Kompositionen waren tatsächlich nicht auf Drums angewiesen.

Pop-Musik war und ist im Grunde purer Trend. Ob La Di, Ob La Da. Lightfoot-Musik ist dafür zu ernsthaft. Zu reflektiert. Zu konzentriert. Zu zeitlos. Lightfoot ging es tatsächlich primär stets um den Song an sich. Seine Tendenz zu balladesken poetischen Texten, die in Songs wie „Canadian Railroad Trilogy“, „Seven Island Suite“ oder „The Wreck of the Edmund Fitzgerald“ aufblühten, brachten ihm Anerkennung („Balladen für die Ewigkeit“) und Buchveröffentlichungen mit „Poetic selections from the songs of Gordon Lightfoot“. Letztendlich bildeten Klang und Wort für den Kanadier jedoch von Beginn an eine charismatische klangliche Einheit. Justin Trudeau lobt zurecht Lightfoots „thoughtful grace“ – wohl vor allem bei der Umsetzung kanadischer Mythen in herbschöne Stücke von Identität auf Schallplatte.

Nach 21 Studioalben und permanenten Konzerttouren bis zuletzt (übers Jahr 2014 legte der alte zerbrechliche Mann mit 87 Live-Auftritten nochmal einen Rekord hin) – was bleibt? Jedenfalls das: Für die energie- und konfliktgeladene Zeit zwischen Hipster- und Hippie-Bewegung, für die internationale Reformdekade zwischen Gegenkultur und Alternativkultur hat Gordon Lightfoot einen ganz maßgeblichen Teil des Soundtracks eingespielt. Über dem Reich seiner angloamerikanischen Zeitgenossen, der Liedermacher und Songschreiber zwischen Carole King und Eric Andersen, Tom Paxton, Neil Young, Leonard Cohen und Joni Mitchell, James Taylor und Jim Croce, blinkt Lightfoot wie ein Leuchtturm.

Gute Voraussetzungen für eine qualifizierte Wiederentdeckung in – vielleicht – zwanzig Jahren. Manche würden dann auch von Ausgrabung sprechen. Für die Generation Z wäre das bereits jetzt eine. „If you could read my mind, love, what a tale my thoughts would tell?“

Letzte Änderung: 06.05.2023  |  Erstellt am: 06.05.2023

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