Es war einer dieser typischen Sommertage

Es war einer dieser typischen Sommertage

Eine Kurzgeschichte aus dem Werk „In der Ferne taucht der Oktopus“
Der Sprung | © Ankalina Dahlem

In Ankalina Dahlems künstlerischem Werk geht es immer wieder um existenzielle Fragen. Wie man es schafft, anzukommen, Wurzeln zu bilden und sich zuhause zu fühlen. Ihre Motive sind sowohl in ihrer Malerei als auch in ihren Prosatexten immer wieder eng verknüpft mit der Suche nach unserem Innersten. Dabei wird die Sehnsucht anzukommen metaphorisch in Szene gesetzt. Ihre Bilder und ihre Sprache zeichnen sich durch Reduktion, Klarheit und Leichtigkeit aus. Kunst ist bei Ankalina Dahlem ein umfassender Akt, der seinen Ausdruck in der Malerei und in ihrem literarischen Werk findet. Die Poesie der Sprache mit ihren surrealen Kompositionen ist wie in ihren Bildern die Manifestation nach der Sehnsucht des Ankommens.

Auflösen der Essenz | © Foto: Ankalina Dahlem

Es war einer dieser typischen Sommertage, wie man sie aus seiner Kindheit im Gedächtnis hat, und von denen es mittlerweile nur noch wenige gibt. Es war heiß und ich beschloss, ins Schwimmbad zu gehen. Nachdem ich die Kälte des Wassers lebend überstanden hatte und meine endlosen Bahnen geschwommen war, lag ich rücklings, den rechten Ellenbogen unter den Kopf geschoben, vor mich hin vegetierend wie ein Reptil auf dem heißen Fliesenboden und ließ mich von der Sonne räuchern. Zwei Meter weiter links lag ein Mann schön wie Adonis, den eine Frau begleitete, deren Körper am besten mit „der Koloss von Rhodos” zu bezeichnen war. Ihre Oberschenkel waren so breit, dass man mit ihnen allein ein Floß für 24 Wikinger hätte bauen können. Ihr Leib platzte aus allen Nähten. Die Haut beulte sich in Kratern und Bergen, da keine weitere Fläche zu finden war. Ihr Gesicht zeigte in dieser Fülle keine Falte. Schon mein Opa hatte mir gesagt als ich klein war, dass Dicke die schönsten Gesichter hätten. Den Satz meines Opas schob ich in meinem Kopf wie eine Mathematikaufgabe von rechts nach links ihr Gesicht prüfend, ob mein Opa Recht behalten hatte. Als geübter Frauenkenner sollte er richtig liegen. Zumal sie einen sehr fröhlichen, ausgelassenen Anschein machte. Der Adonis wirkte sehr entspannt in ihrer Gegenwart und noch viel entspannter, als sie ihn wirklich hingebungsvoll wie ein sich im heißen Wasser auflösendes Teeblatt mit Sonnencreme einschmierte. Irgendwas flüsterte er ihr salbungsvoll ins Ohr. Daraufhin stand der Koloss von Rhodos auf und ging, die Erde bebte unter seinen Füßen, zum Sprungturm. Mit Mühe und Not und Wackeln des 10-Meter-Turms stand die Frau dort oben. Unter ihr, am Rande des Sprungbeckens, sammelten sich Badegäste jeglichen Alters, um wie auf dem Jahrmarkt dieses Spektakel zu beglotzen. Selbst ich hob meinen Kopf von meinem Ellenbogen und linste an die hohe Stelle am Horizont, an der sie kurz weilte und zielstrebig durch die Luft schnellte, mit einem bombastischen Platschen ins Becken stieß, das nicht nur ihr Publikum nass machte, sondern es auch knöcheltief unter Wasser setzte. Danach gab es kein Wasser im Becken mehr, nur ein Loch, tiefer als tief direkt in den Erdkern. Die Luft füllte sich mit dem Geruch von Schwefel und Eisen. Mir die Nase zuhaltend suchte mein Blick ihren Adonis. An ihrem Platz waren weder er noch ihre Handtücher.

My island in the ocean | © Foto: Ankalina Dahlem

Letzte Änderung: 16.05.2024  |  Erstellt am: 30.04.2024

In der Ferne taucht der Oktopus Cover | © Ankalina Dahlem

Ankalina Dahlem In der Ferne taucht der Oktopus

Kurzgeschichten
80 Seiten
ISBN-13: 9783943758351
B3 Verlag

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