Alexander Adrions Zwischenräume

Alexander Adrions Zwischenräume

Ein Zauberer füllte die Welten zwischen den Dingen
Nach Hieronymus Bosch: Der Beschwörer

Auf dem ersten Foto des ersten Bandes der Texte zur elektronischen und instrumentalen Musik von Karlheinz Stockhausen sieht man den Komponisten an der Wand vorm Klavier, Ende 1951, auf Tournee mit dem Zauberer Adrion. Der Zauberer selbst steht links im Bild und beobachtet einen freiwillig Mitwirkenden. Matthias Buth erzählt, wer dieser Bühnenkünstler war.

„Sagen Sie nichts Ihren Kindern. Sie dürfen nicht wissen, dass ich Zauberer bin.“ Das waren seine ersten Sätze, als er 1991 mit seiner Frau Anne in unser Haus kam. Unsere Kinder waren noch in der Grundschule und ließen sich von mir gerne was vorzaubern. Legosteine verschwanden dann in der Lampe oder im Ärmel. Aber sie durchschauten mich, ließen mir aber das Spiel.

Alexander Adrion? Wie sollten meine Frau und ich ihn anreden? Seine Frau hieß Engelsleben und so heißt sie immer noch, denn sie lebt seit 1970 in Hoffnungsthal, zunächst mit der Familie, mit Tochter Lucia und Sohn Tobias nah dem waldreichen Bergrücken des Lüderich und nun seit dem Tod ihres Mannes in der Ortsmitte, nahe der Sankt Servatius Kirche. Wer kam ins Haus? Gerhard Engelsleben oder der Illusionskünstler Adrion, der Gaukler und Zauberer? Zwei Menschen in einem oder durch einen? Auf dem Hoffnungsthaler Friedhof ist er seit 2013 begraben. Nicht als Zauberer, sondern mit dem Namen, den ihm die Eltern gaben, ein Name, von dem auch Zauber ausgeht und in dem er sich sicher wusste in seinem Leben, dass wie behütet und gesegnet zu sein schien von Worten wie

Denn er hat seinen Engeln befohlen über dir,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf den Händen tragen,
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.

Das Doppelquartett aus Felix Mendelssohn-Bartholdys Oratorium „Elias“ (op. 70), im achtstimmigen Chorsatz gesungen, erweicht die Gedanken und entführt in eine andere Welt. Zu Beginn des herzergreifenden Werkes singen „Zwei Frauen“: „Zion streckt ihre Hände aus, und da ist niemand, der sie tröste.“ Da sind sie, die Hände, die des Trostes bedürfen. Denn Hände sind Seele. Adrion wusste es. Er sprach unentwegt. Besonders intensiv mit den Händen. Mit diesen war er dem Zauber, der sich in ihm und aus ihm mitteilte, am nächsten. Sein Bühnenspiel tröstete über die innere Begrenztheit hinweg, ließ sie vergessen, da er den Zuschauer und Zuhörer in seine Kunst einfing, sie zum Teil seines Spiels machte. Hilde Domin erkannte das poetische Lebenspaar „Wort und Ding“. Sie schrieb

Wort und Ding
lagen eng aufeinander
die gleiche Körperwärme
bei Ding und Wort

So war es bei Alexander Adrion. Körper und Geist, die Dinge und das Vorgestellte verbanden sich zu einer Einheit, zu einer neuen Wirklichkeit, die er für sich erschuf. Zuerst für sich, erst dann für das Publikum. Denn Adrion war ein Poet. Er erschuf sich eine Kunst, um sich und dann auch andere in eine andere Welt zu entführen und so denen davon zu geben, was die Seele erfüllte und manche auch tröstete und sie vom Nachkriegsalltag erlöste durch Staunen. Immer wieder gelang es ihm. Nach den Verheerungen von Weltkrieg und Shoah bedurften alle, die das Trauern noch nicht abgelegt hatten, dringlich der Verzauberung durch Augenblicke.

Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.

So dichtete 1964 Hilde Domin in ihrem Gedichtband „Hier“. Und so zauberte Adrion. Er wurde nicht müde. Nur so konnte er seine innere Spannung erlösen und sich eine Uneigentlichkeit erschaffen, die mehr war als ein Trick. Dieser war ihm Mittel zum Zweck. Und der Zweck war, die Dinge auf dem Zaubertisch mit Leben zu erfüllen. Täuschen heißt lieben, erklärt Fernando Pessoa (1888 – 1934) in seinem „Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares“ und ergänzt: „Wir lieben alle einander, und die Lüge ist der Kuss, den wir tauschen.“ Zu seinem Publikum hatte der zaubernde Künstler Adrion eine ebenso freundschaftliche wie innige Beziehung. Er wollte es nicht hinters Licht führen, ängstigen oder gar erschrecken, er nahm es förmlich in den Arm. Die verwandelnde Hand des Zauberers rufe Geheimisse hervor, seine Worte führten an das Wunderbare heran, bekannte er 1968 in „Zauberei Zauberei“ und präzisierte: „Er lädt dazu ein, sein Spiel für möglich zu halten als eine Eröffnung aus einer anderen Welt. In diese Welt – so meint der Zauberer – darf der Zuschauer nicht eindringen, um ihren Reiz nicht zu zerstören.“

Und wenn Adrion nicht zauberte, zauberte er dennoch. Sein Blick funkelte stets, hatte etwas Gebieterisches, etwas, was Wänden, Tisch und Stühlen eine neue Ordnung gab – seine. Von seiner Sprache und seinen Gesten ging eine feine Disziplinierung aus. Man konnte sich ihr nicht entziehen. Auch im Tischgespräch entfaltete sich eine Hoheit der Gedanken, seine, und so war sein Blick ins Innere wie der eines Arztes, wie von jemandem, der die Seele des anderen erfassen will. Psychologie und Philosophie waren ihm Geschwisterwissenschaften, beide benachbart von der Literatur. Und Schriftsteller haben ihn besonders bewundert, mit Staunen und einer Prise Neid. Marie Luise Kaschnitz und Alfred Andersch gehörten ebenso dazu wie Edzard Schaper, Werner Bergengruen, Rudolf Jürgen Bartsch oder Hans Daiber.

Adrion wurde immer gefragt, warum und wie er Zauberer geworden sei. Dann erzählte er von seiner Geburtsstadt Berlin, von seiner Kindheit an der Spree in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Die Familie lebte nahe des S-Bahnbahnhofs Frankfurter Allee. Einer Fee sei er als Kind begegnet, weiß gekleidet auf einem Pferdeschlitten, sie habe einen Korb auf dem Schoß mit kleinen weißen Bällen gehabt. Einen davon habe sie ihm zugeworfen und so verwirrt, aber glücklich gemacht. – Eine Märchenerzählung, also wahr. Die Bälle blieben sein ‚Ding’.

Kinder sind die Freunde aller Zauberer, denn sie haben sich den inneren Zauber bewahrt und lassen ihn erwecken vom Spiel, das ins Geheimnisvolle entführt. Im Buch „Zaubereien oder das Spiel mit dem Schein“ von 1994 gibt Adrion Auskunft von zauberhaften Begegnungen auf dem Weihnachtsmarkt am Lustgarten, in den Berliner Straßenschluchten, wo sich Gaukler tummelten und auch im Kino „Schwarzer Adler“ in Lichtenberg, wo dem Hauptfilm eine „Bühnenschau“ vorausgestellt war, ein kleines Varietéprogramm, das ins Orientalische wies, als ein Harun al Raschid Uhren und Tauben verwandelte. Die Seele des Sechsjährigen hatte zu schwingen begonnen.

All das gibt Auskunft und erklärt doch wenig. Man muss wohl tiefer loten. „Der Augenblick ist mein / und nehm ich den in acht /So ist der mein, der Zeit und Ewigkeit gemacht, dichtete 1663 Andreas Gryphius. Diese Konklusion scheint mir zu Alexander Adrion hinzuführen. Er sprach keine Zauberformeln, doch bereitete er mit Worten das Zauberereignis vor, er entfaltete seine Welt also zweistufig und war darin in eine Methodik eingewoben, die uralt ist, die sich in den Merseburger Zaubersprüchen erhalten hat. Erzählung und Kunststück bilden ein Ganzes und sind insofern den philosophischen Denkbildern von Philosophen wie Walter Benjamin verwandt. Das Staunen stellt sich nur auf der Grundlage der Basiserzählung ein, der Wahrnehmung der Dinge, die sich durch Behändigkeit der Finger, Anrufung oder Zauber in einen anderen Aggregatzustand versetzen lassen. Der Zauber ist weniger als endlich, er ist der unmittelbare Augenblick.

Nur über diesen verfügen wir. Gryphius hatte dies schon im 17. Jahrhundert erkannt und dieser Unmittelbarkeit göttliche Dimension gegeben. „Das wahre Bild der Vergangenheit huscht vorbei. Nur als Bild, das auf Nimmerwiedersehen im Augenblick seiner Erkennbarkeit aufblitzt, ist die Vergangenheit festzuhalten“; diese Erkenntnis von Walter Benjamin liegt der Welt des Barockdichters nahe und so dem Illusionskünstler Adrion.

Er war ein Mann, dem Gott kein Fremder war. Katholisch wuchs er auf, und die Liturgie der Kirche erfasste ihn, ist doch die Messfeier mit Wort- und Opferteil etwas Mystisches, ein sich dem wirklich Erfahrbaren entziehendes Geschehen. Das Doktrinäre der Amtskirche vereiste ihn. Das war nicht seine Welt. Als es ans Sterben ging, war sein Wunsch, als Gerhard Engelsleben ins Grab zu versinken, nicht als Alexander Adrion. So ist es geschehen.

Aber irgendwie zaubert er weiter. Wer seine zahlreichen kulturhistorischen Bücher liest oder in die von Stefan Alexander Rautenberg 2016 zusammengestellten Radiobeiträge von und über Adrion hört, ist sogleich wieder eingefangen. Seine Sprache ist unprätentiös, klar und anmutig. Er entführt. Sogar blinden Zuschauern ist es so ergangen. In Bad Orb und in Sindelfingen führte er einmal Teilnehmer seiner Bühnenabende, die blind waren, hinter die Bühne, denn sie wollten es, waren sie doch über das Sichtbare hinaus angesprochen und verzaubert worden. Adrion leitet so zu einer Erkenntnis von Antoine de Saint-Exupéry, welche er den „Kleinen Prinzen“ sagen lässt: „Aber die Augen sind blind. Man muss mit dem Herzen suchen.“ Und was für ein Herzenssucher war er! In seinen autobiographischen Zeugnissen findet sich ein wunderbarer Satz, der tief in sein Selbstverständnis hineinleuchtet und ihm sicherlich Lebensprinzip geworden ist. Jeder kennt seine eigene Unvollkommenheit und so den Wunsch, die wahrgenommenen Lebens-Zwischenräume zu füllen mit dem Uneigentlichen, der Profession jeder Kunst. Und zu dieser Erkenntnis hat Adrion nicht ein Dichter, nicht ein Künstler, sondern ein Politiker geführt oder in Worte gefasst, was die Weisheit des Satzes deutlich unterstreicht und diesem universellen Glanz gibt. Er heißt: „Ein Mann muss stark genug sein, sich aus der Eigenart seiner Unvollkommenheit die Vollkommenheit seiner Eigenart zu schmieden.“ Das ist grandios. Eine Erkenntnis von Walther Rathenau. Oder in anderen Worten: Die Welt in den Fingerhut nehmen, um aus der Begrenztheit des eigenen Lebens das Modellhafte und das Menschenverbindende zu entwickeln. Das konnte er wie kaum ein anderer.

Und auch der aus Görlitz stammende Werner Finck (1902 – 1978) hatte ihm den Mut zugefächelt, den eigenen Weg auf der Bühne des Zauberischen und so ins Leben zu gehen. Mit der nur kurze Zeit als Komödiantin auftretenden Isa Vermehren (1918 – 2009) – lesenswert ihr Buch „Reise durch den letzten Akt“ von 1946 sowie die 2016 herausgegebenen „Tagebücher 1950-2009“ – überlegte Adrion 1946 in Tübingen gemeinsame Programme. Es kam nicht dazu, aber durch sie lernte er Finck kennen. Er war wie Adrion dem Soldatendasein im Osten entronnen, hatte sich aber schon zuvor als Erfinder des Berliner Kabaretts „Die Katakombe“ einen Namen gemacht und so die Gestapo auf den Plan gerufen. Der Görlitzer sagte er ihm, er solle „magische Kammerkunst“ machen, nicht wie er politisch-satirisches Kabarett. Er solle sich sein eigenes Publikum erobern durch das Spiel mit dem Schein. Und er versuchte es. Und es gelang.

Zu Beginn der 50er Jahre hatte er musikalische Partner, einen aus der Nachbarschaft, künstlerisch wie örtlich: Karlheinz Stockhausen. Als Studenten lernten sie sich kennen, Adrion war bei Philosophie und Psychologie eingeschrieben, der angehender Komponist natürlich an der Musikhochschule. Anderthalb Jahre war der später in Kürten lebende Stockhausen sein Klavierimprovisator, denn er stellte sich mit seinem Spiel direkt auf das Bühnengeschehen ein wie im Stummfilm. Später kamen die Pianisten Dieter Nagel und Wolfram Gehring (geb. 1928 in Köln, der später auf der Orgel den „Kreuzweg“ von Marcel Dupré einspielte) hinzu. Bis 1954 gab’s Klavierbegleitung. Dann blieb er allein. Und das war sein Beruf. Das Studium versandete. Die Bühne wurde seine Welt.

Als ich seine Frau Anne 2018 frage, ob er vielleicht finanzielle Sorgen gehabt habe, schließlich sei er ja Freiberufler gewesen, sagte sie mir: „Ach wissen Sie, das war wie in einem Schneeballsystem.“

Auftrittsbitten hatte er tatsächlich permanent und mit wachsender Bekanntheit und aufgrund seines künstlerischen Ranges stiegen die Honorare. 1966 heiratete er seine Freundin Anne aus Euskirchen, die ihm nicht nur Bewunderin, sondern auch kluge Ratgeberin und Lektorin bei seinen zahlreichen Büchern wurde. Als Übersetzerin (englisch/französisch) und Journalistin mit einigen Jahren Erfahrung in Brüssel lag dies nahe. Adrion tourte durch ganz (West-) Deutschland, aber auch ins Ausland und oft auf Einladung des Auswärtigen Amtes als „Kulturbotschafter“ der Nachkriegs-Republik. Parallel dazu präsentierte er sich in 22 ARD-Hörfunksendungen, machte Interviews und Hörstücke, oft auch im WDR. Dort stand ihm mit dem Rösrather Hans Daiber ein aufgeschlossener und kompetenter Theater- und Radiomann zur Seite. Und natürlich wurde in diesen Funkmedien auch viel über ihn in Szene gesetzt. Denn Adrion traf den Nerv der Zeit.

Freunde aus der Welt der Literatur hatte er viele, doch zwei Persönlichkeiten waren ihm besonders wichtig: Jürgen Becker und Heinrich Böll. Der seit Jahrzehnten in Odenthal lebende Dichter Jürgen Becker ist mit Familie Adrion freundschaftlich verbunden, nicht nur durch die Kunst. Seit den fünfziger Jahren schon kannte man sich, aber unabhängig voreinander. Adrion begegnete seiner Anne erst rund zehn Jahre später in Brüssel. Und Becker war es, der literarisch den Bogen ziehen konnte vom Taschenspieler-Bild des Renaissancemalers Hieronymus Bosch (1450-1516), der eigentlich van Aken hieß, zu den Kammerspielen des Scheins von Alexander Adrion. In der (damaligen) Deutsche Zeitung vom 27./28.2.1960 komponierte er einen Text, der sich an das Zaubern, Vorstellen und märchenhafte Staunen anschmiegt und die intellektuelle Brillanz des Künstlers erkennt. Becker führte zu dem Angstmoment, wenn der Zauber erloschen ist. „Eine Handvoll Staub, das ist das Ende, während der Zauberstab zu Staub zerfällt“. Den prosaischen Zauberkoffer an der Hand: so verlässt er die Bühne. Wie leer der Saal plötzlich, wie grell das Licht, wie nackt jeder – ohne den Zauber. Ja, dem Nichts entgegenzaubern, es für Momente erfüllen mit dem Unvorstellbaren, das war Adrions Kunst und Ziel.

Die Zeit brachte am 6.10.1967 ein langes Gespräch mit Heinrich Böll. Mit dem großen Kölner Autor war Adrion über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden, obwohl immer eine gewisse Distanz blieb, die über das Sie nicht hinausreichte. Böll fragte in diesem Gespräch, ob die „Intellektuellen das beste Publikum“ bildeten, was Adrion bejahte. Aber der „Nichtintellektuelle, oder sagen wir der nichtgeistige Mensch, ist ja ständig in einem Konkurrenzverhältnis zum Zauberer.“ Der vollkommen einfältige Mensch sei eben nicht immer nur kindlich. Das Kind denke oft, dass der Zauberer ihm etwas vormachen wolle. Adrion betonte, dass er sein Publikum nicht überlisten wolle. Das leuchtete Böll ein und er präzisierte, Adrion brauche ein „einverstandenes Publikum“. So war es, ein „Publikum, das kräftig genug ist, sich aktiv an der Täuschung, ein positives Täuschen also zu beteiligen“ (Adrion). Das war die Brücke zum Dichter, denn Böll ergänzte, der Zauberer brauche ein Publikum, „das selber so viel Täuschung produziert wie Wissenschaftler, Schriftsteller, Intellektuelle, so dass es nicht noch Ihre (Adrions, MB) Täuschung durchschauen möchte.“ Ein inniges Einverständnis zwischen diesen beiden! Irgendwie waren beide Gaukler, für Adrion übrigens eine stolze Bezeichnung.

Und er zauberte weiter, unterhielt das Publikum und durch dieses Gewerbe seine vierköpfige Familie, die nach den Kölner Jahren 1970 ins Bergische, auf die Höhen die Hoffnungsthal einfassen, zog. Aber 1985 war plötzlich Schluss. Wodurch den Bühnenabschied erfolgte, lässt sich schwer einschätzen. Ich frage seine Witwe Anne danach. Die nachlassende Fingerfertigkeit war es nicht, die blieb. Es war wohl eher seine seelische Verausgabung, das langsame Verlöschen der inneren Spannung, das ihn vom seinem großen Publikum Abschied nehmen ließ. Das seelische Hochseil auf der Bühne schien nachzulassen. Oder: Der Schein im inneren Theater begann zu flackern.

Aber er blieb seinem Thema treu und schrieb weiterhin darüber Bücher. Sein Tod im Jahre 2013 machte mich traurig, sah ich in ihm doch einen Seelenverwandten, jemanden, der viel von dem erfahren hatte, was ich mir noch auf Versfüßen erkunden wollte. In meinem Gedichtband „Gnus werden auf der Flucht geboren“, Weilerswist, 2015 versuche ich, ihm nahe zu sein mit Verwandlungsworten, vielleicht auch um seiner Witwe zu sagen: er zaubert weiter, sein Geist lebt weiter wie alle Kunst.

Alexander Adrion
(1923 – 2013)


April
Diese kühle Lichtzauberin
Sie weiß alles aber verbirgt noch
Die Wunder des Sommers
Die Heiterkeit der Düfte und Nähen
Die Kammerspiele des Scheins

In eine Rose verwandeln
Was in der Hand kein Seidentuch mehr sein will
Juwelen stäuben aus dem Fenster
Das die Sonne zersplittert und wieder zusammenlegt
Ohne zu ermüden

April
Die sanfte Seelenverkäuferin die vom Mai spricht
Ihm alle Namen gibt mit Scheherazadeworten
Im Theaterraum des Mundes
Werden alle Täuschungen wahr und
Unvernunft zum Spiel das auffliegen lässt

Letzte Änderung: 05.09.2022  |  Erstellt am: 05.09.2022

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