Ruhe und Unruhe

Ruhe und Unruhe

Günter Haese zum Hundertsten
Günter Haese | © Eri Krippner

Am 18. Februar würde der Düsseldorfer Bildhauer Günter Haese 100 Jahre alt. Isa Bickmann erinnert an den 2016 verstorbenen Künstler und seine feinen Gebilde aus Uhrmaterialien.

Der „Popstar-Effekt“ in der Kunst, der seit den achtziger Jahren zunehmend auch in den Medien zelebriert wird, ist keine neue Entwicklung. Vieles, was heute eine künstlerische Karriere steil nach oben befördern lässt, Netzwerke und „Momentum“ – und die damit einhergehenden Produktions- und Präsentationszwänge – formierte sich bereits in den 1960er Jahren. Günter Haese ist ein Beispiel dafür. Doch er entschied sich auf dem Höhepunkt seiner internationalen Wahrnehmung für einen Rückzug und ist damit wahrlich eine Ausnahmeerscheinung. Das Bedürfnis, in für ihn notwendiger Seelenruhe Kunst entstehen zu lassen, stand bei ihm stets im Vordergrund.

Haese hatte eine fulminante Karriere hingelegt, die ihn jedoch derart unter Druck brachte, dass er die Qualität seiner Arbeiten nicht mehr garantieren konnte, wie er verschiedentlich betonte. Heutzutage würde sich ein Künstler ein paar Assistenten zulegen, um dem Verlangen des Kunstbetriebs standhalten zu können, immer neue Arbeiten in Ausstellungen zu zeigen. Nicht so Haese: Er zog sich zurück und verkaufte fortan nur an „meine Zahnärzte“, wie er das charmant umschrieb.

1924 in Kiel geboren, musste er wie so viele in den Krieg. Drei Jahre war er Soldat. Nach Kriegsende malte er die Zerstörungen des Krieges, entdeckte Picasso und die aktuelle Kunst auf Zigarettenbildern. „Ein Schock war das“, wie er die für ihn – wie für viele andere seiner Generation – aufwühlende Konfrontation mit jener neuen Kunst aus Frankreich und den USA beschrieb, die ihnen in den langen Jahren der Isolation durch die Nazi-Kulturpolitik verborgen geblieben war. Nach dem Besuch einer Kunstschule in Plön wurde er 1950 zum Studium an der Kunstakademie Düsseldorf zugelassen und war zuerst Schüler bei Bruno Goller, verzweifelte an dessen Leitbild emotionaler Malerei, wechselte dann 1951 zur Bildhauerei bei Ewald Mataré, dessen Meisterschüler er wurde. Gemeinsam mit Joseph Beuys, ebenfalls Meisterschüler Matarés und sein Mitschüler, mit dem ihn allerdings „nichts verband“, wie Haese später anmerkte, assistierte er Mataré bei der Schaffung der Domtüren am Südportal des Kölner Doms als sogenannter „Gipsknecht“. Nachdem er sich vorrangig an Matarés oder Marino Marinis volumenbetonter Plastik orientiert hatte, entdeckte er einen neuen Werkstoff für die Bildhauerei: Er nahm 1960/61 einen Wecker auseinander, dessen Innereien er zunächst mit Druckgraphik verarbeitete, um sie dann zu feinen Plastiken zu verlöten. Er hatte – im schon für einen Künstler reiferen Alter von 38 Jahren – sein Material gefunden!

Es entstanden Gebilde von 30 bis 70 cm Höhe, die auf Sockeln präsentiert werden. Luftbewegung im Raum, der eigene Atem, ein Vorbeigehen bringen die verlöteten Spiralen, Federn, Gitterkügelchen, Unruhen und Drähte in zarte Schwingung. In der Zeit kinetischer Plastik war das durchaus zeitgemäß, aber bei ihm nie dynamisch-bewegt oder quietschend laut, sondern stets nur leise vibrierend und damit zutiefst poetisch. Haeses Figuren bieten mal anthropomorphe, mal biomorphe, mal architektonische, mal technische Anklänge. In den Titeln: Reminiszenzen an die damals hochaktuelle Raumfahrt bei dem frühen Werk „Ein anderer Mond“ (1963), später „Helicon“ oder „Wega“, Geografisches aus aller Welt, wie „Baghdad“, „Südliche Sporade“, „Montenegro“ oder „Bülk“, Architektonisches wie „Stupa“, „Stele“ oder „Turm“ sowie Mythologisches, das ein solides Allgemeinwissen beim Betrachter voraussetzt mit Titeln wie „Hathor“, „Koronis“ oder „Oreade“.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Und es ging rasant: 1964 Teilnahme an der documenta III, im gleichen Jahr Einzelausstellung im Museum of Modern Art. Ein Schwergewicht des Kunstmarkts, die international tätige Marlborough Gallery, nahm ihn in ihr Programm auf, 1966 vertrat er gemeinsam mit Horst Antes und Günter Ferdinand Ris (kuratiert von Eduard Trier) Deutschland auf der XXXIII. Biennale von Venedig, 1969 auf der X. Biennale von São Paulo. Er wurde mit bedeutenden Preisen bedacht, wie z.B. dem Cornelius-Preis der Stadt Düsseldorf und dem Preis der Solomon R. Guggenheim Foundation in New York.

Solche Erfolge verlangen vom Künstler, dass er kontinuierlich neue Werke nachliefert. Das widersprach jedoch völlig Haeses Arbeitstempo. Elementar für das Gelingen seiner Werke war die besonnene Arbeitsweise. Er zog sich vom Markt zurück.

Diese Genügsamkeit und Bescheidenheit hat bei meinem Besuch im Herbst 2002 einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Nach langem Gespräch fuhren wir gemeinsam von seinem Düsseldorfer Atelier in der Sittarder Straße mit der Bahn zur Art Cologne. Eigentlich sei dieser „Messezirkus“ nicht seine Welt, betonte er. Er, der lieber allein arbeitete, charakterisierte das Personal des Kunstbetriebs mit entwaffnender Ehrlichkeit. Auf der Messe eingetroffen, begegnete er dann auf dem Weg zur Koje seiner Hamburger Galeristin Andrée Sfeir-Semler ebendiesem Personal überaus freundlich und zuvorkommend. Doch nie ließ er seine künstlerischen Prinzipien im Stich und ist als unkorrumpierbarer Bewahrer seines Werkes eher selten in Ausstellungen zu sehen gewesen. Nichtsdestotrotz ist sein Werk in vielen öffentlichen Sammlungen zu finden.
Und er war auch für eine Überraschung gut: Haese, 1994 vom Land Schleswig-Holstein mit dem Ehrentitel „Professor“ ausgezeichnet, schuf 2006/2007 für den Skulpturenpark in Viersen die Großplastik „Optimus II“ (https://skulpturensammlung-viersen.de/skulpturen/guenter-haese-optimus-ii/) von sieben Metern Höhe. Jahre zuvor hatte er mir einmal gesagt, dass er eine Form schwerlich vergrößern könne, sie sähe dann aus wie ein Apparat. Hier hatte der über Achtzigjährige also einen Weg gefunden, noch einmal über die Monumentalität nachzudenken.
Eine Ausstellungstour ehrte Günter Haese 2022 im Museum Lothar Fischer, Neumarkt i.d.OPf., im Ernst Barlach Haus Hamburg und im Skulpturenmuseum Glaskasten Marl. Der Nachlass des 2016 Verstorbenen ist im Kunsthandel erfreulicherweise präsent. So wird sein Schaffen nicht vergessen.

Letzte Änderung: 21.02.2024  |  Erstellt am: 18.02.2024

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