Ich bin doch nur ein Depp

Ich bin doch nur ein Depp

Herbert Achternbusch zum Gedenken
Herbert Achternbusch

Das Selbstdenken, die Archaik, das ambivalente Traditionsbewusstsein, das anarchistische Selbstverständnis und die groteske Komik – das alles und mehr hatte sich in der Persönlichkeit des Künstlers, Schriftstellers, Dramatikers und Filmemachers Herbert Achternbusch zusammengefunden. Dieser Mann war eine anspruchsvolle Provokation für die biederen Zeitgenossen. Als er 80 wurde, hatte Uwe Schütte ihm einen Geburtstagsartikel geschrieben, mit dem wir nun, da Achternbusch gestorben ist, seiner gedenken.

Achternbusch, der letzte Mohikaner aus Plattling

Seinen Lebensunterhalt bestritt Herbert Achternbusch in späteren Jahren vornehmlich durch die Malerei. Und nachdem er lange Zeit in seinem Bauernhaus im österreichischen Waldviertel lebte, verbrachte er seine Zeit wieder vorwiegend in der Geburtsstadt München. In Österreich fand er auch einen neuen Verleger, Richard Pils von der Edition Bibliothek der Provinz, in der Achternbuschs Bücher seit 1998 in wunderschön gestalteten Hardcoverausgaben mit farbigen Illustrationen des Autors erschienen. Dieses verlegerische Engagement kann man nicht hoch genug loben. Schließlich fällt es nicht schwer sich auszumalen, dass Achternbusch und sein Werk ansonsten in der Versenkung verschwunden wären.

Gleichsam als Gabe zum Geburtstag des Ausnahmekünstlers erschien in der Bibliothek der Provinz die von Manfred Loimeier herausgegebene Sammlung Sommernachtsträume mit sorgfältig ausgewählten Essays zu dessen Büchern, Filmen und Theaterstücken. Sie wiesen einen informativen Weg in das singuläre Gesamtkunstwerk und regten an, sich auch die neueren Erzählwerke vorzunehmen, die kaum weniger faszinierend sind als die Texte, die einstmals bei Suhrkamp und anderen deutschen Verlagen erschienenen sind.

Im Rückblick ragt unverändert der Skandalfilm „Das Gespenst” (1983) aus dem Werk heraus, der seit 2010 wieder auf DVD (nun mit Altersfreigabe 12) erhältlich ist: Achternbusch spielt darin die Hauptrolle als eigenwilliger Jesus, der in einem Kloster vom Kreuz absteigt und mit der Schwester Oberin durch die Münchner Fußgängerzone und den Viktualienmarkt wandelt. Unverstanden und angefeindet, von der Polizei als gefährlicher Verrückter betrachtet, wird er von der Gesellschaft verfolgt – so wie einst der historische Jesus. Die katholische Kirche protestierte prompt, CSU-Innenminister Zimmermann dekretierte Blasphemie und versagte versprochene Förderungsmittel.

Eine Postkarte, die den Gekreuzigten mit einem Dildo im Mund zeigte, ergänzt durch die Worte „Dieses Kreuz ist keine Sicherheit. Dieses Kreuz ist eine Frage.“ gehörte in den Haushalt jedes Achternbusch-Anhängers. Den einen galt Achternbusch als Nestbeschmutzer und den anderen als einzig wahrer Vertreter der anarchischen bajuwarischen Tradition vom Komiker Karl Valentin bis zum Sozialisten Kurt Eisner, der in der Novemberevolution 1918 die Monarchie abschaffte, um den Freistaat Bayern zu errichten.

In den letzten Jahren war Achternbusch weitgehend aus dem Blickfeld der breiten Öffentlichkeit verschwunden. Sein die Genres und Medien transzendierendes Werk aber geriet dankenswerter Weise wieder verstärkt in den Fokus der Germanistik und Filmwissenschaften, die ihn Anfang November 2018 mit einer dreitägigen Konferenz im Filmmuseum Potsdam ehrten. Im Leipziger Luru-Kino fand eine komplette Achternbusch-Werkretrospektive statt, die von November 2018 bis Mai 2019 lief. Vielleicht können solche Veranstaltung dazu beitragen, Achternbusch wieder mehr ins Bewusstsein zu heben. Zu wünschen wäre es jedenfalls.

Zum Schriftsteller wurde der erstmalige Kunststudent eher durch Zufall. Ermutigt von Martin Walser begann er ab Mitte der sechziger Jahre zu schreiben, seine Erzählungen erschienen ab 1969 im Suhrkamp Verlag, wo er mit seinem Debütroman „Die Alexanderschlacht” (1971) Furore machte. Doch kaum hatte er seinen Durchbruch als Autor geschafft, verlegte sich Achternbusch auf ein anderes Feld, das seinen eigentlichen Ruhm begründen sollte: den Film. Ausgehend von „Das Andechser Gefühl” (1975), einem bayerischen Heimatfilm der anderen Art, entstand ein Filmwerk, das seinesgleichen sucht.

Als „enfant terrible“ des deutschen Autorenfilms drehte Achternbusch bis 2002 insgesamt 30 Filme ab, darunter Meisterwerke wie „Die Föhnforscher” (1985) oder „Hick’s Last Stand” (1990). Außerhalb anspruchsvoller Programmkinos hatten diese Filme freilich keine Chance ein Publikum zu finden, nicht zuletzt, weil ihnen die Stars fehlen. Die Hauptrollen besetzte Achternbusch nicht nur aus Geldgründen zumeist mit sich selber, in weiteren Rollen sind wiederholt zu sehen seine 2005 verstorbene Lebensgefährtin Annamirl Bierbichler und eine ganze Reihe von Freunden.

Die Filme sind immer auch Autobiographie und haben einen Zug ins Dokumentarische. Besonders eindringlich in „Bierkampf” (1977), als sich Achternbusch dabei filmen lässt, wie er als Polizist verkleidet durch die Bierzelte des Münchner Oktoberfests geht, um Zigaretten zu verkaufen (ein Job, den er bereits als Student ausgeübt hatte). Durch gezielte Unverschämtheiten provoziert er dabei körperliche Angriffe, um die Gewalt zu demaskieren, die unter dem Frohsinn der bierseligen Volksseele lauert.

Wenig Scheu vor Tabus zeigte Achternbusch in anderen Filmen, wenn er etwa den schwer AIDS-kranken Fassbinder-Darsteller Kurt Raab in „Wohin?” (1987) in einem Biergarten über seinen bevorstehenden Tod sprechen lässt oder seinen Intimfeind, den ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß in der Schlussszene von „Der Depp” (1982) im Münchner Hofbräuhaus vergiftet.

Vom Schreiben der Filmdrehbücher war es dann nicht mehr weit, sich auch als Bühnenautor zu betätigen. Seine über 25 Theaterstücke waren der unterschätzteste Teil des wildwüchsigen „Gesamtschriftwerks“. Vor allem solche Stücke wie „Ella” (1978), „Susn” (1980), „Plattling” (1981) oder „Linz” (1988) gehören zu den außergewöhnlichsten Dramentexten, die das deutschsprachige Theater der achtziger Jahre hervorgebracht hat. Es handelt sich fast durchweg um Einpersonenstücke, in denen im niederbayerischen Heimatdialekt Achternbuschs monologisiert wird. Der Schriftsteller W.G. Sebald hat übrigens zwei bemerkenswerte Essays zum dramatischen Werk verfasst, in denen er die Texte insbesondere aus kulturanthropologischer Sicht interpretiert. Achternbusch, der letzte Mohikaner aus Plattling, mit einer Adlerfeder am Hut.

Hervorzuheben unter den Theaterarbeiten von Achternbusch ist insbesondere „Gust” (1979), das mit Josef Bierbichler, dem Bruder von Annamirl Bierbichler, in den Münchner Kammerspielen gezeigt wurde: Während seine todkranke Frau im Sterben liegt und nur noch ein gelegentliches Röcheln von sich gibt, erzählt Gust die traurige Geschichte seines verpfuschten Lebens und seiner qualvollen Ehe. Achternbusch hat sie nahezu wortwörtlich einem Onkel abgelauscht, doch was er auf die Bühne bringt ist kein Voyeurismus, der es Großstadtintellektuellen und Bildungsbürgern erlaubt, sich über den Irrglauben eines Provinzlers und seine unzureichende Sprachbeherrschung amüsieren können. Vielmehr begegnet uns hier eine anrührende Botschaft aus einem in der Moderne überwunden geglaubten Provinzleben, dessen Fortexistenz sonst in vergleichbarer Weise nur zugänglich wurde in den frühen Büchern von österreichischen Provinzschriftstellern wie Franz Innerhofer oder Josef Winkler.

Überhaupt ist die provinzielle Herkunft der Schlüssel zum Verständnis der Kunst von Herbert Achternbusch. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als uneheliches Kind eines Zahnarztes und einer Sportlehrerin in München zur Welt gekommen, die sich später mit einer Pistole erschoss, wuchs er bei seiner im Bayerischen Wald lebenden Großmutter auf. Damit ist seine Kindheit und Jugend bestimmt von fast schon prä-zivilisatorischen Bedingungen, ein Leben ohne Strom, elektrisches Licht und fließendes Wasser mitten in der Natur. Seine dabei erworbene ‚Verwilderung’ hatte sich Achternbusch bis ins hohe Alter bewahrt.

Der Anthropologe Claude Lévi-Strauss hat anhand so genannter Primitiver die Vorzüge einer „pensée sauvage“, eines „wilden Denkens“ also, gegenüber dem an Vernunft und Logik ausgerichteten technologischen Denken dargestellt. Achternbusch war dementsprechend ein wilder Künstler, der keine Eingrenzung auf bestimmte Bereiche oder Genres kannte, sondern sich ganz allein von seinen persönlichen Impulsen leitend eines bastlerischen Verfahrens bediente, das in dezidiertem Gegensatz zum sozusagen ingenieursmäßigen Vorgehen der anerkannten Filmemacher, Schriftsteller, Theaterautoren und Maler steht.

Bedenkenlos wurde bei Achternbusch bereits bestehendes Textmaterial in anderen Medien recycelt, einen Unterschied zwischen Leben und Kunst kannte er nicht, seine Bibliografie ist ein einziges Chaos sich über mehrere Verlage erstreckender und jeweils Fragment gebliebener Werk- und Gesamtausgaben, das Tiefsinnige trifft auf das Triviale, das Tragische kollidiert mit dem Absurden, etwa wenn im Film „Das letzte Loch” (1981) die von Achternbusch gespielte Hauptfigur Nil die sechs Millionen im Holocaust getöteten Juden vergessen will, indem er für jeden Ermordeten einen Schnaps trinkt, was ihm aber natürlich nicht gelingt, so dass er sich ertränkt.

Wie nahe Achternbusch einem „wilden“ Kunstbegriff stand, zeigten seine Bilder und Skulpturen schon auf den ersten Blick. Er bevorzugte für seine oftmals großformatigen Bilder insbesondere Aquarell- und Mischtechnik, wobei er mit der Farbe ausgeprägt impulsiv umging. Die poetisch sensiblen, kraftvollen und phantastischen Arbeiten, denen zumeist mythologische Motive zugrunde liegen, weisen eine unverkennbare Nähe zu jener Außenseiterkunst sogenannter Naiver auf, die als „art brut“ in der Kunstwissenschaft ein Obdach gefunden haben.

Achternbusch sah einen solchen Vergleich sicher als eine Auszeichnung an, da er in den Interviews immer gerne betonte, in erster Linie ein Depp zu sein. Denn er weiß: Narren und Kinder sprechen immer die Wahrheit. Achternbusch hat es geschafft, ein genialer Depp zu werden, indem er sich seine Kindheit nicht nehmen ließ. Er erwies sich als einer der bemerkenswertesten deutschsprachigen Außenseiterkünstler, der in Würde gealtert und zugleich im unverändert widerspenstigen Geiste jung geblieben war.

Letzte Änderung: 02.02.2022  |  Erstellt am: 14.01.2022

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Kommentare

Joachim Petrick schreibt
Lebte Herbert Achternbusch Epochenfigur wie der Simpel Simplizissimus im gleichnamigen Buch in seelischer Verwüstung, die er selber in vaterloser Kriegs-, Nachkriegsgesellschaft erlebt, unfähig persönlichen Verlust von Personen, Heimat zu betrauern, anderen zuzufügen trachtete?, wenn ja, was ihm nie so richtig gelang, weil das seine Bildungsstand Fantasie überstieg in Trümmerlandschaften 30jährigen Krieges 1618-48 durch brandschatzend, mordierend, plündernd, vergewaltigend, eigene und fremde Landsknecht Heere, die sich nur auf hinterhältiges Kriegshandwerk in seinen grotesk brutal unerbittlich widerwärtigst gewalttätigen Ausprägungen verstanden, boshaft, tückisch listig einfallsreich zur allseitigen Belustigung nie reflektierend stets agierend "Einer geht noch" mit Leben und Tod Entsetzen Hohn uFd Spott trieben. Erinnert sei an das zum Synonym gewordene Begriff "Magdeburgsieren" Brandschätzen, Plündern, von Städten, Mordieren von Einwohnern*nnen Habsburger Kaiser Ferdinand II Genralissimus Abert Wallenstein 1632 der protestantischen Stadt Magdeburg. Dass der kalte Krieg 1948-89 Achternbusch Kriegskinder Epoche unter Packeis gelegt, machte ihn seelisch zutiefst in Unschärferelation verloren fassungslos in Auf-, Abbrüchen brabbelnd, stammelnd heimatlos, dass er im geteilten Europa, Deutschland als ein epochal Fremder auf sich zurückgeworfen empfand, ohne sich dessen wohl bewusst zu sein, sein Unwesen einmal liebenswert dann ungestüm boshaft pointiert trieb und dabei folglich bei allen Anwürfen gegen sein Tun, seine Grotesk Präsenz im Öffentlichen ungestümer Frechheit, Dreistigkeit, eigentlich eher gedämpft denn tückisch hinterhältig unterwegs war mit Sinn für abgrundtiefe Selbstreflektion, Reflektion jüngster NS-, Nachkriegsgeschichte von Schwarzmarkt, Schmuggel, Hehlerei mit NS Beutegut feiner Herren in feinem Tuch heller Wahn im khakibraunen Anzug, mittenmang 12 Millionen Störenfriede sog "Displace Persons" überlebend vormals Zwangsarbeiter*nnen, Kriegsgefangene ohne Aussicht auf Versetzung in vorherigen Heimatstand noch Entschädigung für ihr Elend, Leid in deutschem und im Namen eigener beim Holocaust, Zwangsarbeit kollaborierender Länder Europas und über diese hinaus bis in französische, portugiesische, spanische Kolonien Nord-, Zentralafrikas, in Übersee im Spiegel dessen an Gegenwart, was ihm in Bayern vor die Flinte seines burlesken Scharfsinns flinke Zunge geriet, statt sich erschöpfend Auszuagieren?

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