Ästhetisch ausgeklügelte Bilder

Ästhetisch ausgeklügelte Bilder

Dokumentation „Dancing Pina“
Pina Bausch | © ArtsLife

Der Biographie der Tänzerin und Choreographin Pina Bausch lässt sich entnehmen, wie sie sich von Station zu Station Schritt für Schritt von den traditionellen Vorgaben des klassischen Balletts, aber auch des Modern Dance frei macht und im Vertrauen auf Gefühl und Wahrheit, sowie im Austausch mit ihren Tänzerinnen und Tänzern eine neue Dimension des Tanzes schuf. Nun zeigt die Dokumentation „Dancing Pina“ die Bedeutung ihrer Arbeit. Thomas Rothschild hat sie sich angesehen.

Das Vermächtnis der Ausnahmechoreographin

Dies ist kein Film über Pina Bausch. Den hat Wim Wenders schon vor 12 Jahren gedreht. Dies ist ein Film über Pina Bauschs Vermächtnis. Zwar wird viel von ihr geredet, von der Ausnahmechoreographin, aber auch von einem bewundernswerten, einfühlsamen Menschen. Zu sehen jedoch ist sie nicht. Sie geistert wie ein Phantom, für die Beteiligten auch wie ein Guru durch den Film, der jetzt als Blu-ray und DVD vorliegt.

„Dancing Pina“ zeigt, in ständigem Wechsel, Proben zu den in jeder Hinsicht – musikalisch, choreographisch, räumlich, bezüglich der kulturellen Voraussetzungen der Beteiligten – unterschiedlichen Remakes von zwei frühen Inszenierungen Pina Bauschs: „Iphigenie auf Tauris“ zur Musik von Christoph Willibald Gluck und Igor Strawinskys „Le sacre du printemps“. Organisch integriert in diese sparsam kommentierten Dokumentationen sind Interviews als Porträtskizzen der Beteiligten, aber auch von Wegbegleiter*innen Pina Bauschs wie ihre Apostelin Josephine Ann Endicott. Die Tänzer*innen kommen in einem Fall aus einer Vielzahl afrikanischer Länder und größtenteils aus der Tradition des Volkstanzes und des zeitgenössischen Streetdance, gehören im anderen Fall zum ebenfalls multinationalen klassisch ausgebildeten Ballett der Dresdner Semperoper.

Besonderes Lob gebührt der Kamera des Regisseurs Florian Heinzen-Ziob und von Enno Endlicher sowie der Montage. Anstelle der üblichen, zwanghaft die Perspektiven wechselnden Hektik, die jede Choreographie zerstört, nimmt sich „Dancing Pina“ nicht nur die Zeit für ästhetisch ausgeklügelte Bilder, vor allem in der offenen Landschaft an der senegalesischen Küste, sondern, in langen Einstellungen in Halbtotale, vor allem für die Kontinuität der choreographischen Arrangements. Das Ensemble wird nicht fragmentiert, was schon beim Sprechtheater fragwürdig, beim Tanztheater aber hirnrissig ist. Und selbst, wenn eine Solistin, wie in den Eröffnungsszenen, aus der Starre erwacht, rückt ihr die Kamera nicht auf den Leib, sondern lässt Raum um sie herum.

Das Geheimnis der Revolution, die Pina Bausch im Tanztheater ausgelöst hat und die inzwischen unzählige Schüler gefunden hat, ja von neuen, radikaleren Ansätzen überholt wurde, kann dieser Film nicht lösen. Es bedarf aber keiner analytischen Kenntnisse. Was es da zu sehen gibt, ist von solch unmittelbarer, suggestiver Schönheit, dass auch Ballettverächter, die bei „Schwanensee“ und „Giselle“ eher die Augen schließen, fasziniert sein dürften. Dass es nicht an die Wuppertaler Compagnie von Pina Bausch gebunden ist, gehört zu den Lehren aus Afrika und Dresden. Dem in mancher Beziehung vergleichbaren Kollektiv des „Living Theatre“ um Julian Beck und Judith Malina ist derlei nicht gelungen. Ihre Schöpfungen sind mit ihrem Tod verschwunden.

Eine Dokumentation dieser Art ist nicht ganz leicht dramaturgisch zu gliedern. Der Zufall hat ihr eine, leider unerfreuliche, Pointe geliefert. Wegen Corona kann die afrikanische Truppe mit ihrem mühsam erarbeiteten Resultat nicht nach Dakar und nicht, wie vorgesehen, nach Europa reisen. (Inzwischen hat sie das nachgeholt.) Die Enttäuschung steht Einzelnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Eine Tänzerin hatte sich so darauf gefreut, dass ihr Sohn, der sie noch nie in einem Stück beobachten konnte, tanzen sehen würde. Aber die Szene variiert zugleich ein Leitmotiv des Films: dass man an sich glauben und gegen alle Widerstände weitermachen müsse. Vielleicht ist das Zweckoptimismus. Aber wenn’s was nützt…
 
 

Siehe auch:
Walter Krämer über Dancing Pina

Letzte Änderung: 21.03.2023  |  Erstellt am: 20.03.2023

Dancing Pina  | © ArtsLife

Regie: Florian Heinzen-Ziob Dancing Pina

BRD, 2022
FSK ab 0 freigegeben
Bestellnummer: 11038249
Genre: Dokumentation, Tanz

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