Berühmt oder vergessen?

Berühmt oder vergessen?

Ausstellungen am Frankfurter Museumsufer

Rekordverdächtig sind schon jetzt die Besucherzahlen der Frankfurter Van-Gogh-Ausstellung. Doch wenn man sich nicht in die Schlangen vor dem Städel Museum einreihen mag, könnte man 400 Meter den Schaumainkai entlang laufen zum Museum Giersch. Das dort erstmals zu einer Retrospektive vereinte, wenig bekannte Werk des Max-Beckmann-Schülers Georg Heck lohnt unbedingt einen Besuch. Im Idealfall jedoch sieht man sich beide Ausstellungen an, meint Isa Bickmann.

Einen richtigen Künstler umweht ein Hauch von Tragik. So hat zumindest die Gestalt Vincent van Goghs das Künstlerbild auf lange Sicht geprägt. Ein schwieriger Hitzkopf, psychisch labil und erfolglos – so wurde der Mythos eines Bohemiens geschaffen, wie ihn Kirk Douglas 1956 in dem Hollywood-Streifens „Lust for Life“ dargestellt hat. Die deutsche Übertragung des Filmtitels „Ein Leben in Leidenschaft“ nach der Romanvorlage von Irving Stone (1934) traf damit den Nerv. Die öffentliche Wahrnehmung des Mannes, den man gerne wie einen alten Freund beim Vornamen nennt, stimmt allerdings nicht ganz mit der Realität überein, wie die Forschung inzwischen richtiggestellt hat. Das Städel Museum konzentriert sich in seiner von vornherein als „Blockbuster“ konzipierten Ausstellung auf den beginnenden Van-Gogh-Hype, der schon bald nach dem vermutlichen Freitod des Künstlers im Alter von 37 Jahren 1890 einsetzte. Dafür hat man die Sammlung des 20. Jahrhunderts aus den hohen Gartenhallen geräumt, um den Besucherströmen etwas mehr als üblich Luft zu lassen. Dass mittleren Formaten kleinere Räume besser stehen, spürt man dagegen in den Ausstellungskabinetten des in einer alten Villa beheimateten Museum Giersch, wo der nahezu vergessene Künstler Georg Heck erstmals in einer Retrospektive präsentiert wird.

Ausstellungsansicht „Making van Gogh“ | © Foto: Foto: Städel Museum – Norbert Miguletz

Tragik eines Künstlerlebens

Während Vincent van Goghs Tragik sich vor allem an seiner instabilen Psyche, der Selbstverletzung am Ohr und an seinem Suizid festmacht, ist Hecks Tragik eher eine von äußeren Umständen bestimmte. Der Frankfurter, geboren sieben Jahre nach van Goghs Tod, verliert früh Vater und Mutter und wächst als Waisenkind auf. Er macht eine Lehre als Kunstschmied, bevor er im 1. Weltkrieg eingezogen wird. An der Westfront durchlebt er die Schrecken des Krieges. Nach dreijähriger französischer Kriegsgefangenschaft kehrt er zu seiner Arbeitsstelle als Fabrikarbeiter in den Frankfurter Adlerwerken zurück. Ein Arbeitsunfall 1921 führt zur Erblindung des rechten Auges. Dennoch beginnt er 1923 im vergleichsweise reifen Alter von 26 Jahren ein Kunststudium an der Städelschule, 1928 tritt er in die Meisterklasse Max Beckmanns ein. Ein frühes Hauptwerk ist das Wandrelief im sich vom Stil des Lehrers abkehrenden Neoklassizismus im Casino des I.G.-Farben-Hauses, heute unter der Obhut der Goethe-Uni, das kurz nach der Fertigstellung 1936 übertüncht und erst 2006 freigelegt worden ist. Nach einer aufgrund politischen Drucks abgebrochenen Ausstellungsbeteiligung im Frankfurter Kunstverein verliert er 1933 bei der Bücherverbrennung auf dem Römerberg einen Teil seines Werkes, jene Bilder, die die Stadt von ihm angekauft hatte. Er muss aufgrund von Mietschulden sein Atelier in der Städelschule räumen und kommt im Karmeliterkloster unter.
Am 25. August 1937 werden seine in der Sammlung des Städelschen Kunstinstituts befindlichen Werke beschlagnahmt. Er wird zum Luftschutz eingezogen, muss schwere körperliche Tätigkeit als Asphaltarbeiter verrichten. Und dann verliert er während der Bombardierung der Stadt Frankfurt 1944 nahezu sein gesamtes Frühwerk. Zwei Monate vor Kriegsende versetzt man ihn zu einem SS-Regiment nach Ungarn. Der unmenschliche Transport dorthin, Heimweh und die „Knechtschaft“ (Heck) vor Ort fügen ihm Leid zu.

Wiederentdeckung eines Künstlers: Georg-Heck-Retrospektive  | © Foto: Museum Giersch

Förderer

Nach dem Krieg sucht Heck wieder Anschluss an die Kunstszene und findet positive Resonanz: Das Städel tätigt Ankäufe, er wird Mitglied der Neuen Darmstädter Sezession und der Frankfurter Sezession, er stellt bei Hanna Bekker vom Rath, Dorothea Loehr – dort übrigens 1961 parallel zum Frühwerk Charlotte Posenenskes – und in der Zimmergalerie Franck aus. Er lebt seit Kriegsende im Haus der Schwiegereltern in Nied, arbeitet in einem Raum von kaum zehn Quadratmetern Größe. Materielle Not begleitet ihn durch die Jahre trotz einiger Kunst-am-Bau-Aufträge und zahlreicher Ausstellungen. Erst spät mit über 80 Jahren findet der stets als bescheiden und zurückhaltend beschriebene Künstler starke Unterstützung in Person des Paters Friedhelm Mennekes, der als Pfarrer an Sankt Markus Nied, seine rege Ausstellungstätigkeit beginnt, für die er später mit Sankt Peter in Köln bekannt wird. Die Pfarrei veranstaltet Verkaufsausstellungen für Georg Heck, und endlich kommt das Ehepaar Heck ein wenig zu Geld. Noch zu Lebzeiten des Künstlers gründet sich 1982 der Kulturkreis Georg Heck e.V., der die Kultur in Nied, aber auch das Werk Hecks fördert und seit dem Tode des Künstlers im gleichen Jahr den Nachlass verwaltet. Ohne diese Nachlasspflege wäre das Werk Hecks wohl dem Vergessen anheimgefallen.

Vincent van Goghs Werk wird nach seinem und dem nur sechs Monate später erfolgten Tod des Bruders Theo von der Nachlassverwalterin, seiner Schwägerin Johanna van Gogh-Bonger, umsichtig und fördernd verwaltet. Das Städel-Museum fächert sehr eindrucksvoll auf, wie in der postumen Erfolgsgeschichte verschiedene Faktoren aufeinandertreffen: Zusammenarbeit mit verschiedenen deutschen Kunsthändlern, darunter Paul Cassirer in Berlin, der erste Museumsankauf in Deutschland durch das Städel Museum 1908, die Sonderbund-Ausstellung in Köln 1912, in der van Gogh mit sage und schreibe 125 Arbeiten vertreten ist, Meier-Graefes Bücher über den Künstler 1904 und 1910, die Veröffentlichung der Briefe van Goghs, die vielen privaten Sammler und die „Van Goghiana“, wie Ernst Nolde die Fans unter den Künstlern des Expressionismus so spöttisch nennt. Grundsätzlich unabdingbar für das Überleben eines Künstlernamens ist die Arbeit mit dem Nachlass, und Johanna Bongers großzügiger Bereitstellung der Werke ihres Schwagers ist es zu verdanken, dass die Nachfrage auch zeitnah bedient wird.

Wiederentdeckung eines Künstlers: Georg-Heck-Retrospektive  | © Foto: Museum Giersch

Deutsche Geschichte

Beide Œuvres sind betroffen von der brutalen Kulturpolitik der Nazis. Fünf Monate nach den Werken Hecks verliert das Städel auch das Bildnis des Dr. Gachet, ein Porträt, das im Todesjahr Vincent van Goghs entstanden ist. Nicht erst seit es 1990 in den Fokus der Öffentlichkeit kommt, als es für die Rekordsumme von 82,5 Millionen Dollar bei Christie’s in New York versteigert wird, gilt es als eines seiner berühmtesten Werke – das allerdings – wenn auch in einer etwas schwächeren zweiten Version mit dem Digitalis-Zweig ohne die modernen Romane mit den gelben Umschlägen auf dem Tisch liegend – im Pariser Musée d’Orsay hängt und dort seit der kürzlich erfolgten Neuhängung recht ansprechend präsentiert ist. Dr. Gachet spielt in der Frankfurter Van-Gogh-Ausstellung eine zentrale Rolle, nicht nur wird prominent der leere Rahmen, der sich seit 1937 noch im Museumsdepot befindet, präsentiert, sondern man erstellte auch einen Podcast über die späteren Standorte des Bildnisses, der derart spannend erzählt ist, dass man getrost alle Netflix-Serien ignorieren kann. Die Geschichte ist natürlich ein Glückfall, nicht nur, weil es eines der letzten Werke des berühmten Künstlers und als eines seiner besten Portraits anzusehen ist, sondern weil es eine bewegte Vergangenheit hinter sich hat und heute an einem unbekannten Ort verwahrt wird. Der Versuch, es für die Frankfurter Ausstellung auszuleihen, scheiterte an der Verschwiegenheit des Kunsthandels. Also hat man aus der Not eine Tugend gemacht, und einen Podcast produziert, der sich in mehreren Episoden von jeweils annähernd einer Dreiviertelstunde der Rezeptionsgeschichte des Werkes widmet. Das Gemälde befindet sich heute in einer Privatsammlung in der Schweiz, in welcher wissen nur wenige Eingeweihte. Mit dem Rahmen und dem Podcast ist es nichts desto trotz anwesend.

Aufwändige Ausstellungsarchitektur: „Making van Gogh“ | © Foto: Foto: Städel – Norbert Miguletz

Kommunikation

Während das Städel gewohnt mit allerlei Mitteln die digitale Kommunikation befeuert, der Podcast ist neben Digitorial und Audioguide ein Mittel der gewohnt ansprechenden Bildungsarbeit des Hauses, hat auch das Museum Giersch der Goethe-Universität eine Website eingerichtet, die mit Filmen und Vertiefungen aufwartet. Das ist informativ und erhellend, jedoch als „Digitalprojekt“ recht behäbig und alles andere als innovativ aufgebaut. Auf der Startseite sind die Filme selbst nur über die Navigationsleiste zu finden, nicht als Rubrik auf der Seite, im Gegensatz etwa zu der Biografie des Künstlers.

Das Städel Museum unterteilt seine Schau mit Hilfe aufwändiger Ausstellungsarchitektur in „Mythos“, „Wirkung“, „Malweise“ sowie entsprechende Unterkapitel und führt dabei die BesucherInnen immer auf einen zentralen, leeren Platz zurück. Das ist unbedingt notwendig angesichts der räumlichen Dimensionen der Gartenhallen. Dem Museum Giersch fällt dies leichter, der Weg durch die Räume ist hervorragend strukturiert. Eingebundene Werke der Zeitgenossen Hecks und Texte auf den Bildlabels bieten Hintergrundinformationen, die weit über das Thema hinausführen (man hätte sich die Aufnahme dieser Kurztexte in den Katalog gewünscht). Dabei wird auch ersichtlich, dass noch manche KünstlerInnen Wiederentdeckungspotenzial bieten, zum Beispiel Louise Rösler (1907-1993), wie Heck Gründungsmitglied der Frankfurter Sezession, oder der Offenbacher Erich Martin (1905-1977), ebenfalls ein Gründungsmitglied, der sein abstraktes Frühwerk 1933 fast komplett zerstört hat, um seine Familie zu schützen.

Ein ganz besonders gelungener Raum ist übertitelt mit „Frankfurter Städelschule: Fensterblicke“ und vereint die Beckmann-Schüler Georg Heck, Inge Dinand, Theo Garve, Anna Krüger, Friedrich Wilhelm Meyer und Karl Tratt mit jenem typischen Motiv ihres Lehrers. Max Beckmann ist in der Städel-Ausstellung vertreten als einer der vom Werk van Goghs inspirierten Künstler. Der Katalog hält fest, dass er sich bis zum Ende seines Lebens immer wieder mit van Gogh beschäftigt und auch den im Verlag Paul Cassirer 1914 erschienenen Briefwechsel zwischen den Brüdern van Gogh gelesen habe. Die Ausgabe liegt in einem Raum neben den vielen anderen zeitgenössischen Publikationen rund um van Gogh.

Existenzielle Grunderfahrungen

Das Verbindende beider Werke ist das Existenzielle, das sich im Leben und der Natur über die Bilder mitteilt. Van Goghs unmittelbarer Zugang zum Motiv, seine expressive Art des Malen und Zeichnens – sehr eindrucksvoll wird das im Nebeneinander mit z.B. Max Pechstein und E.L. Kirchner demonstriert – und die Identifikation mit seinem „Lebensschicksal“ (Grete Ring, zit. nach Felix Krämer im Katalog, S. 50) sind die Triggerpunkte.

Während van Gogh bereits aufgrund seiner enormen Produktivität zum Zeitpunkt seines Todes ein immenses Werk geschaffen hat, muss Georg Heck den Verlust fast seines gesamten Frühwerks während der Diktatur verkraften. Die für Künstler entscheidenden Jahre des vierten Lebensjahrzehnts werden stark eingeschränkt durch die Mechanismen der nationalsozialistischen Kultursuppression. Heck muss als 48-Jähriger quasi neu anfangen.

Das unbedingte Kunstwollen ist beiden Künstlern gemein. Wie offen Hecks Bildgestaltung bleiben wird, präsentiert die Ausstellung umfassend. Besonders eindrucksvoll ist die hervorragende Qualität seiner Holzschnitte, die zunehmend alleiniges Medium seines künstlerischen Ausdrucks werden sollten. Leider haben die Zeitgenossen das nicht bemerkt und vom wesentlich prominenteren Documenta-Teilnehmer HAP Grieshaber gekauft. Allein wegen der Farbholzschnitte der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre lohnt sich der Besuch der Heck-Ausstellung.

Die Georg-Heck-Retrospektive im Museum Giersch der Goethe-Universität ist ein Beispiel für die Neu- oder Wiederentdeckung eines qualitätvollen künstlerischen Œuvres, deren es noch viele gibt. Abgesehen von der auch im Fall eines bekannten Namens gleichfalls aufwändigen Recherche und Forschung, zumal wenn im Fall van Goghs neue Aspekte des Werkes präsentiert werden sollen, hat ein Haus, das einen weniger bekannten Namen vermarkten muss, es ungleich schwerer als ein Museum, das von Vornherein mit der Prominenz eines van Gogh kalkulieren kann. Absurd scheint auch, dass ein Museum mit der Berühmtheit eines Künstlers seine eigene Beliebtheit steigern kann, in dem es untersucht, wie es zu dieser Prominenz gekommen ist.

Mit dem Augenmerk auf die Zahl der verkauften Tickets holt man große Namen ins Haus und legt selbst die Messlatte hoch für künftige Ausstellungsplanungen, wird jedoch nie die eigene Einbindung in die systemischen Zwänge wie den Nachweis von Besucherzahlen hinterfragen wollen. Diesem „Blockbustern“ ist nur durch eine nachhaltige Präsentation des weniger Bekannten entgegenzusteuern.

Letzte Änderung: 07.08.2021

Georg Heck in seinem Atelier, um 1970 | © Foto:  Kulturkreis Georg Heck e. V., Fotograf unbekannt
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