Weimar weiblich

Weimar weiblich

Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918 – 1933)

Lichtspieltheater – heute: Kinos – hießen aus gutem Grund so. Das tonlose Spiel mit dem Licht in der Frühzeit des Films, aber auch mit dem manipulierten und manipulierenden Licht des Tonfilms begleitete zumeist, metaphorisch oder, seltener, offen das voyeuristische Begehren. Wie sich das Weibliche in den emanzipativen Bestrebungen der Weimarer Zeit filmisch darbot, zeigt die Ausstellung „Weimar weiblich“, die Walter H. Krämer besucht hat.

„Zurück ins Licht!“ – so der Titel einer Ausstellung, die gerade im Jüdischen Museum Frankfurt Werke und Lebenswege von den vier Frankfurter Malerinnen Erna Pinner, Rosy Lilienfeld, Amalie Seckbach und Ruth Cahn ausstellt. „Zurück ins Licht!“ könnte aber auch über einer Ausstellung stehen, die derzeit in den Opelvillen Rüsselsheim gezeigt wird und Werk und Leben der beiden Fotografinnen Frieda Riess & Yva präsentiert. Und dieses Motto – besser vielleicht noch „Ins Licht!“ – wäre auch treffend für die noch bis zum 12. November 2023 dauernde Ausstellung WEIMAR WEIBLICH – Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918 – 1933) im DFF – Deutsches Filminstitut Filmmuseum Frankfurt.

Die Ausstellung spürt dem Leben und Wirken von Frauen nach, die sich in den Jahren 1918-1933 in vielerlei Hinsicht und Funktion um den Film und das Kino der Weimarer Republik verdient gemacht haben und die zum Teil vergessen waren und deren Biografien und Wirken jetzt über umfangreiche Recherchen wiederentdeckt und ans Licht gebracht wurden.
Die Ausstellung ist thematisch gegliedert und einzelne Schwerpunkte – Frauen und Geschlechterfragen im Film – Frauen hinter der Kamera – Kino und Gesellschaft – Kino, Stars und Fans – Individuum und Typ – Frauenbilder im Film – Homosexualität im Film – Cross-Dressing und Kontroversen – Frauen in der Filmindustrie – Filmkritikerinnen – Blick ins Private – geben ihr eine übersichtliche Struktur:
Das Kino dieser Zeit ist ein Spiegel der Gesellschaft und thematisiert in seinen Filmen nicht nur Geschlechterrollen, sondern hat die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit insgesamt im Blick. Bubikopf-Frisuren, luftige Chiffonkleider, extravagante Schuhkreationen und endlich Beinfreiheit – schon auf den ersten Blick sind die Veränderungen gewaltig, die die 1920er Jahre für das weibliche Geschlecht bringen. Zu den wichtigsten gehört die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen, die dazu beiträgt, Frauen auch im gesellschaftlichen Alltag präsenter werden zu lassen.

In der Ausstellung geht es darum, jene, in allen Gewerken wirkenden Frauen ins Licht zu rücken, die die aufkommende Filmindustrie mit zum Blühen brachten – als Regisseurinnen, Drehbuch-Autorinnen, Kostüm- und Szenenbildnerinnen – und die heute vielfach vergessen sind. Zum anderen lotet die Ausstellung aus, wie das Kino der Weimarer Zeit Geschlechterfragen verhandelt, und dabei Themen wie körperliche Selbstbestimmung, Crossdressing und Homosexualität in den Fokus rückt.

Kino war ein Massenphänomen. Mehr als 5.000 Lichtspielhäuser – und keine kleinen! – gab es in den 1920er Jahren, und die Menschen strömten in die Kinosäle und begeisterten sich für die Geschichten und ihre Stars. Mode, Freizeit, Lebensstil wurden durch die Filme beeinflusst. Und auch bei brisanten Themen – Genderfragen, Queerness, § 218 – hielt man sich nicht zurück.

Herzstück der Frankfurter Ausstellung, die insgesamt knapp 100 Exponate aus den Sammlungen der Deutschen Kinemathek präsentiert und etwa 65 weitere Leihgaben versammelt (die Kristina Jaspers für die Ausstellung Kino der Moderne. Film in der Weimarer Republik in ganz Deutschland zusammengetragen hat), bildet die Frauengalerie „Weimar, weiblich“, in der 21 weitgehend unbekannte weibliche Filmschaffende mit Biographien, Exponaten, Filmausschnitten und Audioaufnahmen erstmals einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Etwa 150 zusätzliche Exponate konnten für die Frankfurter Präsentation mit den Themenschwerpunkten Frauen und Geschlechtervielfalt im Weimarer Kino versammelt werden.
Im Ausstellungsfoyer Fotografien und Anekdoten, die vom Leben der Frauen in den Jahren 1918 bis 1933 erzählen, und die vornehmlich aus dem Rhein-Main-Gebiet stammen – eingezäunt nach einem Aufruf der Kuratorin Daria Berten in den Medien.

Mit Ende des ersten Weltkrieges wird eine neue Zeit eingeläutet: „Die Frauen befreien sich aus ihren Korsetts, sie rauchen, trinken und pfeifen auf damenhaftes Benehmen. Im Film sind Frauen in Hosenrollen zu sehen. Sie verweigern die Heirat, küssen als Männer verkleidet Männer, oder verlieben sich in andere Frauen“.

Die Filme aus dieser Zeit zeigen deutlich und anschaulich, dass Geschlechterrollen in jenen Jahren „nicht in Stein gemeißelt“ sind und – auch das eine Erkenntnis – dass mit dem aufkommenden Faschismus und der Machtergreifung der Nazis diese Errungenschaften auch wieder umkehrbar sind. Demokratische und geschlechtliche Fortschritte sind eben kein Selbstläufer, sondern müssen immer wieder bestätigt oder neu erkämpft werden. Selbstverständlich ist und bleibt hier nichts.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg nutzen viele Frauen die sich neu ergebenden beruflichen Möglichkeiten in der wachsenden Filmindustrie und arbeiten im Kostüm- und Szenenbild, komponieren und schreiben Lieder für den Film, stellen als Grafikerinnen Filmplakate her und betätigen sich im Filmverleih. Produzentinnen, Regisseurinnen, vor allem aber Drehbuchautorinnen bedienen nahezu alle Genres und Themen.

Dennoch blieben die meisten von ihnen weitgehend unbekannt. Diesen Frauen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ihnen Namen, Gesicht zu geben und ihre Biografie ans Licht zu bringen ist ein großer Verdienst dieser Ausstellung.

Großformatige Filmplakate, Szenen aus wegweisenden Filmen, Kostüme, Fanpostkarten und Fanartikel und vieles mehr – das alles versammelt diese Ausstellung, deren Fülle kaum bei einem Besuch zu bewältigen ist. Etwas mühsam allerdings ist das Betrachten der kleinformatigen Fotos mit noch kleineren Schriftbildern.

Für mich bei einem ersten Rundgang das absolute Highlight: ein abgetrennter Raum mit Sitzmöbeln und Ausschnitten aus den Filmen „Mädchen in Uniform“ und „Die weiße Hölle vom Piz Palü“. Die Szenen werden von den Filmkritikerinnen Lucy von Jacobi und Lotte Eisner bildsynchron kommentiert / rezensiert. Sprachlich und in der Genauigkeit auf allerhöchstem Niveau und ein Beispiel dafür, was Filmkritik leisten kann. Und auch ein Beweis dafür, dass sich bereits in der Weimarer Republik eine lebendige Szene der Filmkritik entwickelte.

Wie immer gibt es ein ausführliches Begleitprogramm und eine Filmreihe zur Sonderausstellung. Nutzen sie die Gelegenheiten und haben Sie Spaß und Erkenntnis!

https://www.dff.film/ausstellung/weimar-weiblich/

Letzte Änderung: 01.04.2023  |  Erstellt am: 01.04.2023

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