Psychedelic Semiotics

Psychedelic Semiotics

Fabian Ginsberg

Fabian Ginsberg (*1983) studierte Freie Bildende Kunst in Mainz und Düsseldorf. Er beschäftigt sich in seinem Werk mit Wert- und Bewertungssystemen, mit Repräsentation, mit Modellen politischer Ökonomie und mit den Möglichkeiten von Kommunikation. Im März ist er zu Gast in der Galerie von Jens-Uwe Beyer in Köln.

Das Aposteriori

In einer wohlbekannten Passage seines Kapital unterscheidet Karl Marx zwischen dem Sehen von Dingen und dem Wahrnehmen von Waren. Beim Sehen von Dingen wird wirklich Licht von einem Ding, dem äußeren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge, geworfen. Es ist ein physisches Verhältnis zwischen physischen Dingen. Dagegen hat die Warenform und das Wertverhältnis der Arbeitsprodukte, worin sie sich darstellt, mit ihrer physischen Natur und den daraus entspringenden dinglichen Beziehungen absolut nichts zu schaffen. Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche Verhältnis der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt.¹

Was Fabian Ginsberg mit “Psychedelic Semiotics” unternimmt, ließe sich, vor diesem Hintergrund betrachtet, so umschreiben: Das Phantasmagorische wird wieder physisch, das Gesellschaftliche schiebt sich ins Sehen ein und das Wertverhältnis lenkt das Mensch-Ding-Verhältnis.

Doch ist das nicht etwa ein Fall zurück in eine prälapsarische Primitivität, sondern ein großer Sprung nach vorn in eine Welt voller Risse und doppelter Böden, in eine durchlebte Phantasmagorie, die mit der Psychedelik gemein hat, verfremdete und entfremdete Wahrnehmung zu sein. Allerdings, bei Marx wird der Produzent zum Konsumenten und erkennt das eigene Produkt nur mehr als Warenfetisch. Bei Ginsberg wird der Konsument zum Produzenten, der den Fetisch zu reproduzieren sucht. Und der Künstler reproduziert die versuchte Reproduktion. Und wir wiederum versuchen … regressus ad finitum.

Das führen die Gemälde vor, auf denen uns die Dinge als Waren, als Marken- und Marktzeichen entschlüpfen und uns zugleich an sich ziehen, ja zu ihresgleichen machen. Um sie zu fassen, müssen wir sie erst kognitiv herstellen. Doch indem wir sie herstellen, entstellen sie sich und uns. So macht sich die Phantasmagorie der Nivea-Tube geltend, die keinen Gebrauchswert, aber einen Tauschwert von Matisseschem Blau besitzt. Um das zu verstehen, sollten wir, wie es Jacques-Bénigne Bossuet für die Anamorphosen im Besonderen und die geschaffene (produzierte) Welt im Allgemeinen empfohlen hat,² unseren Blickwinkel verändern und Spiegel verwenden. In diesem Fall sind wir selbst die Spiegel.

Spiegel sind allgegenwärtig in dem Trailer „Paranoia“. Es spiegeln sich Sprecher und Sprecherin, es spiegeln sich ihre Sprachen, es spiegeln sich im Text die Produkte in den Waren und die Waren in den Geldzeichen, und es spiegelt sich nicht zuletzt die Kamera in ihren Fassbinderschen 360-Grad-Tracking-Shots. Das Seltsame am Spiegel ist sein Da-Nicht-da. Er kennt kein Apriori, sondern nur eine sich als Gegenwart gerierende ewige Nachträglichkeit. Erst sie erlaubt das Aposteriori von Fabian Ginsbergs Kunst, die das Wunder vollbringt, auf schwindelerregender Reflexionshöhe anschaulich zu sein.

Stefan Ripplinger, Februar 2024

¹ Karl Marx, Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie, Erster Band (1867), Berlin 1962, S. 86.

² [Jacques-Bénigne] Bossuet, „Sermon sur la Providence“ (1656), in: ders., Œuvres, hg. v. Abbé Velat, Paris 1961, S. 1039–1057, hier S. 1045f.

Letzte Änderung: 06.03.2024  |  Erstellt am: 06.03.2024

Fabian Ginsberg:
Psychedelic Semiotics

Eröffnung
8.3. 2024 / 18-21 Uhr

Dauer der Ausstellung
8.3. – 20.4.2024

JUBG
Albertusstrasse 13-17
50667 Köln
www.jubg.space

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