Gesprengtes Quadrat

Gesprengtes Quadrat

Markus Ebner bei Jacky Strenz

Die Werke des Malers und Konzeptkünstlers Markus Ebner werden der Appropriation Art zugeordnet. Ebner studierte von 1981 bis 1988 Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in München. In seiner aktuellen Ausstellung in der Galerie von Jacky Strenz zeigt er den Werkkomplex „Gesprengtes Quadrat“.

Ein Skandal erschütterte im Jahr 2007 die Kulturverwaltung der Stadt Hamburg und sorgte bundesweit für Schlagzeilen. Sogar die ARD-Tagesthemen widmeten dem Ereignis einen Bericht.1 Auslöser für die Aufregung war eine Ausstellung mit acht aus China eingeflogenen antiken Terrakotta-Kriegerfiguren im Hamburger Museum für Völkerkunde,2 die sich drei Wochen nach Ausstellungseröffnung als originalgetreue Kopien herausstellten. Obwohl sich die Präsentation trotz der Kopien beim Publikum weiterhin großer Beliebtheit erfreute, wurde sie vorzeitig geschlossen. Warum? Der süffisante Tenor in den deutschen Medien war einhellig. „Das Hamburger Völkerkundemuseum hat sich hinters Licht führen lassen. Der Museumsskandal zeigt, dass auch das Fälschen von Kunstwerken Konjunktur hat“, urteilte etwa Deutschlandfunk Kultur und zitierte den damaligen Museumsdirektor Wulf-Dietrich Köpke: „In China werde alles gefälscht, was Geld bringt, meint Köpke, nicht nur Markenturnschuhe oder Luxusuhren, sondern eben auch Kunstschätze.“3 Wo der westliche Originalbegriff in Anschlag gebracht wird, kann anscheinend alles über denselben Kamm geschert werden: ob Sneakers, Luxusuhren oder eben chinesisches Kulturgut.

In seinem 2011 erschienen Essay Shanzhai. Dekonstruktion auf Chinesisch bietet der Philosoph Byung-Chul Han eine differenzierte Lesart des Hamburger Vorfalls an. Der Text des in Seoul geborenen Kulturtheoretikers legt nahe, dass sich das Hamburger Museum im Vorfeld der Ausstellung womöglich nicht genügend mit den interkulturellen Unterschieden auseinandergesetzt hatte, die das chinesische und das westliche Verständnis von Begriffen wie „Kopie“ und „Original“ voneinander trennen. Die Chinesen, so Han, hätten zwei verschiedene Begriffe für die Kopie: „Fangzhipin (仿製品) sind Nachbildungen, bei denen der Unterschied zum Original offensichtlich ist. Es sind kleine Modelle oder Kopien, die man z. B. in dem Museumsshop erwerben kann. Der zweite Begriff für die Kopie heißt Fuzhipin (複製品). Hier handelt es sich um eine exakte Reproduktion des Originals, die für die Chinesen mit dem Original gleichwertig ist. Sie ist überhaupt nicht negativ konnotiert. Die Diskrepanz hinsichtlich der Auffassung der Kopie hat oft zu Missverständnissen und Kontroversen zwischen China und westlichen Museen geführt. Die Chinesen schicken oft Kopien statt Originale auf die Reise, und zwar aus fester Überzeugung heraus, dass sie sich von den Originalen nicht wesentlich unterscheiden. Die Ablehnung, die dann von Seiten der westlichen Museen kommt, wird von ihnen als Kränkung empfunden.“4 Als hintergründige Folie für dieses eigentümliche Verständnis von Kopie und Original macht Han die buddhistische Vorstellung des ewigen Kreislaufes des Lebens aus: „Im endlosen Kreislauf des Lebens gibt es nichts Einmaliges, Ursprüngliches, Singuläres oder Endgültiges mehr. Es existieren nur Wiederholungen und Reproduktionen.“5 Aber auch in vielen westlichen Museen hat sich die Fixierung auf das historische Original zugunsten eines neuen Pragmatismus längst zu lockern begonnen. Der Grund für das Ausstellen von Kopien liegt in diesen Fällen oft in konservatorischen oder versicherungstechnischen Überlegungen.

Bezugnehmend auf Hans Essay schrieb der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich 2012, dass die größere Präsenz Asiens im Allgemeinen und Chinas im Besonderen infolge der Globalisierung auch für den inter- und innerkulturellen Diskurs nicht folgenlos bleibe. Der Blick auf die eigenen, westlichen kulturellen Traditionen verändere sich, die Reflexion über den Stellenwert von Individualität und Originalität werde offener. Wertungen, die bislang als selbstverständlich galten, würden womöglich jetzt stärker hinterfragt. „Während die Globalisierungsdebatte im Westen immer nur darüber geführt wird, inwieweit man expansionistisch auf andere Kulturen einwirkt, sollte man auch einmal erwägen, ob es nicht ebenso gegenläufige Phänomene gibt: Warum sollten kulturelle Praktiken etwa aus Asien nicht umgekehrt den Westen beeinflussen? Und könnte sich eine seit einigen Jahren auffällig neue Vorliebe westlicher Künstler für Formen des Kopierens gar Impulsen aus dem fernen Osten verdanken?“6 Selbst wenn sich heute im Westen arbeitende Künstler•innen nicht spezifisch auf asiatisch geprägte Kulturtechniken beziehen, ist doch davon auszugehen, dass Praktiken des Kopierens, Reproduzierens und Wiederholens besonders im konzeptuell informierten Teil der Kunstszene ganz selbstverständlich zum zeitgenössischen Repertoire gezählt werden.

Die konzeptuelle Art und Weise, wie sich Markus Ebner das Werk seines ehemaligen Lehrers Günter Fruhtrunk in der eigenen künstlerischen Praxis seit dem Jahr 2000 aneignet, ähnelt zweifellos dem chinesischen Fuzhipin-Begriff, wie Han ihn in seinem Essay beschreibt. Bei Ebner, der Anfang der 1980er drei Semester bei Fruhtrunk kurz vor dessen Suizid an der Münchner Kunstakademie studierte, scheinen Original und Kopie nahezu reibungslos ineinander zu fallen. Allerdings mit einem wichtigen Unterschied. Missverständnisse hinsichtlich der Autorschaft sind ausgeschlossen. Ebner signiert und stempelt seine Bilder auf der Rückseite mit seinem Namen. So bleibt seine eigene Individualität als Autor gewahrt. Doch darüber hinaus wird in Ebners künstlerischer Praxis das Original so konsequent radikal infrage gestellt wie bei Fruhtrunk selbst, der oft mehrere Versionen eines Motivs in verschiedenen Größen produzierte. Das Bild Zuneigung etwa, das Fruhtrunk kurz vor dessen Suizid im Winter 1982 noch fertigstellte, ist mit den Maßen 149,5 × 139,5 cm eine kleinere Version von Bild (207 × 192 cm), ebenfalls 1982 entstanden.7 Im Jahr 2006 machte Ebner diese Fruhtrunk-Praxis selbst zum Gegenstand einer Ausstellung. In der Schau Wendepunkt in Frankfurt bei Jacky Strenz8 zeigte Ebner sieben Versionen des Fruhtrunk-Bildes Wendepunkt, so wie sie im Fruhtrunk-Werkverzeichnis9 ausgewiesen sind. Ein andermal baute er die historische Fruhtrunk-Präsentation auf der documenta 4 in Kassel in einer zweiteiligen Ausstellung in Frankfurt nach.10 Aufgrund dieser Form des konzeptuell-künstlerischen Nachvollzugs bleibt offen, ob der Begriff des Originals bei Ebner tatsächlich dekonstruiert oder am Ende nicht doch bekräftigt wird – vielleicht sogar beides.

Markus Ebners Arbeitsweise erscheint heute womöglich auch deshalb so zeitgenössisch, weil in der fortgeschrittenen Copy-and-„Paste-Moderne“11 die traditionelle Trennwand zwischen Original und Kopie immer poröser geworden ist. Mühelos lassen sich mit dem Klick einer Maus Dateien duplizieren, das Hochladen eines Handyfotos in die sozialen Netzwerke kommt einem unendlichen Kopiervorgang gleich. Das Internet ist eine einzige riesengroße Kopiermaschine. Aktionen wie die Plakat- und Aufkleber-Kampagne „Kopieren ist keine Kunst!“, mit der der Börsenverein des Deutschen Buchhandels noch im Frühjahr 2007 bei den sogenannten „Digital Natives“ für einen Bewusstseinswandel werben wollte, wirken angesichts des weit verbreiteten Teilens und Kopierens im Netz – dominierenden Kulturtechniken unserer Zeit – seltsam neben der Wirklichkeit.12 In anderen gesellschaftlichen Bereichen besitzt der Begriff der Kopie den Beiklang des Minderwertigen oder gar Kriminellen gar nicht.13

Und doch würde ein Vergleich von Ebners künstlerischer Praxis mit Kopiertechniken in der digitalen Kultur sicher den eigentlichen Kern verfehlen. Denn obwohl die Hard-Edge-Malerei Günter Fruhtrunks einer Reproduktion entgegenkommt, baut Ebner seine Bilder doch in einem mühevollen und langwierigen Prozess regelrecht aus dem Inneren heraus, mithilfe von originalmaßstabsgetreuen Repro-Plots auf. Wie im Mittelalter überträgt der Maler wichtige Punkte mit einem Stecher vom Plot auf die grundierte Leinwand, um sie danach mithilfe von Schienen miteinander zu verbinden und mit Tape abzukleben. So entsteht „ein Original von einem Original“, wie es der Düsseldorfer Künstler Hans-Peter Feldmann in einem anderen Zusammenhang einmal formulierte.14

Ebner bezieht sich in seiner eigenen Arbeitsweise auf jene Fruhtrunks, er „emuliert“ sie in seiner eigenen Atelierpraxis und verwendet wie Fruhtrunk etwa Ziehfedern, Pinsel und Abklebe-Tape. Als technische Anhaltspunkte dienen alte Fotografien aus Fruhtrunks Atelier, aber auch überlieferte Dokumente wie der „Handwerkliche Waschzettel“, ein Brief, den Fruhtrunk 1978 an den stellvertretenden Direktor der Hamburger Kunsthalle schickte, in dem der Maler recht detaillierten Einblick in die handwerklich-technische Ausführung seiner Bilder zu dieser Zeit gibt.15 Ebner verwendet dieselben französischen Vinylfarben („Lefranc & Bourgeois Flashe“), die auch Fruhtrunk in seiner Spätphase benutzte, und lackt schwarze Flächen zusätzlich, genauso wie Fruhtrunk es machte. Zudem ist Ebner beständig auf der Suche nach feinem Porträtleinen, das heute nur noch schwer aufzutreiben ist. Doch von einer exakten Kopie kann man dennoch nicht sprechen. „Der einzige Unterschied ist vielleicht, dass ich mehr Schichten male“, erklärt Ebner. Bis zu 15 Farbschichten trägt er auf, um eine Farbfläche fertigzustellen. „Es ist viel leichter, ein eigenes Bild selbst zu malen, als eine genaue Kopie herzustellen“, sagt Ebner. Er betont, dass man auch bei der Herstellung einer Kopie permanent Entscheidungen treffen müsse.16 Ob und wie die Kopien gelingen, das komme zudem auch auf die „physische und psychische Tagesform“ an. Die Hand, der Körper und der Kopf des Künstlers sind also entscheidende Teile im Reproduktionsprozess, in dem Ebners Bilder entstehen. Die Aneignung jedes Fruhtrunk-Motivs erscheint – so besehen – geradezu als das Gegenteil eines entfremdeten, distanzierten wie beiläufigen Kopierens. Vielmehr handelt es sich um eine Form von spezifischer Einfühlungsleistung in eine Haltung von formal-ästhetischer Strenge. „Die Disziplin musste ich mir selbst beibringen“, so Ebner.

Fruhtrunks Originalbild Zuneigung (1982) gehört heute zur Sammlung Maximilian und Agathe Weishaupt.17 Der Fokus der Sammlung liegt auf ungegenständlicher, konstruktiv-konkreter Kunst nach 1945. Ebner sagt, dass er das Bild als Original einmal in einer Ausstellung im Museum für Konkrete Kunst (MKK) in Ingolstadt gesehen habe. Wie bei allen vorangegangenen Bildern Ebners bleibt auch hier die Geste ambivalent. Handelt es sich um ein „selbstloses, demütiges, dienendes Kopieren“, das deshalb relativ neu ist, weil eine solche künstlerische Praxis im Programm der Avantgarden zumindest bis in die 1980er Jahre aufgrund des „Autonomie- und Originalitätsdogmas“ sowie der Zentralstellung des Fortschrittsimperativs18 einfach nicht vorgesehen war? In seiner Kunst, die sich auf den „Meister“ Günter Fruhtrunk bezieht, bricht Ebner mit modernen Dogmen und nimmt mit seinem produktiven Bezug auf das Wiederholen einen Faden auf, der mit dem Beginn der Moderne abgerissen schien. Zugleich arbeitet er in der Tradition von konzeptuellen Ansätzen fort. In seinen Bildern gelingt Ebner auf überraschende Weise die Gleichzeitigkeit von Kunstgeschichte und Gegenwart. Weil diese Leinwände ästhetischen Genuss bieten und ihre Betrachter auch mit einer historischen Dimension und diskursiven Fragestellungen konfrontieren, funktionieren sie wie futuristische, sehr diskrete Zeitmaschinen.

Kito Nedo, in: Markus Ebner: Zuneigung (mit Beiträgen von Jürgen und Ute Habermas, Kito Nedo, Florian Illies, Astrid Fendt und Florian Ebner), d/e, Spector Books, Leipzig, 2022, S. 29-33

[1] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt240.html, 24:38–27:45.

[2] Nach der Umbenennung 2018 heißt das Museum heute Museum am Rothenbaum – Kulturen und Künste der Welt (MARKK).

[3] Werner Nording, „Hamburger Terrakotta-Ausstellung wird geschlossen. Museum für Völkerkunde will juristische Schritte einleiten“, https://www.deutschlandfunkkultur.de/hamburger-terrakotta-ausstellung-wird-geschlossen.1013.de.html?dram:article_id=167527

[4] Byung-Chul Han, Shanzhai. Dekonstruktion auf Chinesisch, Berlin: Merve 2011, S. 62f.

[5] Ebd., S. 70.

[6] Wolfgang Ullrich, „Rituale der Wiederholung. Zum wiedererwachten Interesse zeitgenössischer Künstler an Formen der Kopie“, in: Ariane Mensger u.a. (Hg.), Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube, Ausstellungskatalog Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Bielefeld/Berlin: Kerber 2012, S. 136–145, hier: S. 137.

[7] Vgl. Günter Fruhtrunk Gesellschaft e.V (Hg.) / Silke Reiter, Günter Fruhtrunk. Werkverzeichnis der Bilder 1952–1982. Band 1. Werkverzeichnis der Bilder – Bildmotivisch, Berlin: Hatje Cantz 2018., S. 500.

[8] Markus Ebner, Wendepunkt, 8. September – 11. November 2006. Jacky Strenz, Frankfurt am Main.

[9] Vor dem Erscheinen des Werkverzeichnisses der Bilder 1952–1982 bei Hatje Cantz 2018 stützte sich Ebner bei seiner Arbeit hauptsächlich auf die Angaben in Karin Wendts 2001 im Frankfurter Peter Lang Verlag erschienenem Buch Günter Fruhtrunk. Monographie und Werkverzeichnis. Möglichkeiten und Grenzen des konkreten Bildes.

[10] Documenta 4, 1968, Part 1 (4. Februar – 22. April 2012), Documenta 4, 1968, Part 2 (26. Mai – 15. Juni 2012). Beide Ausstellungen fanden bei Jacky Strenz in Frankfurt am Main statt.

[11] Der Begriff „Pastemoderne“ geht als Bonmot ursprünglich auf den Berliner Künstler und Medienphilosophen Martin Conrads zurück, der Teil des Berliner Medienkunstzusammenhangs convex tv war. In einer schriftlichen Nachricht (Oktober 2021) teilte Conrads mir mit, dass der Begriff seinen Ursprung im Spiel mit dem „Begriffspaar ‚Post-media‘ vs. ‚Paste-media‘“ hatte.

[12] Vgl. Dirk von Gehlen, Mashup. Lob der Kopie, Berlin: Suhrkamp 2011, S. 13

[13] Nur um ein aktuelles Beispiel zu nennen: In der Pharmazie helfen sogenannte „Generika“, also Arzneimittel, die identische Wirkstoffe wie ehemals patentgeschützte Präparate enthalten und deswegen genauso wirken, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Aufgrund der besonderen Bedrohung für die Bevölkerung in wirtschaftlich schwächeren Ländern in der Covid-19-Pandemie fordert etwa die Initiative „People’s Vaccine Alliance“ (peoplesvaccine.org), ein Zusammenschluss von über 70 internationalen Hilfsorganisationen, den internationalen Verzicht auf die Patentrechte für Covid-19-Impfstoffe.

[14] Eva Karcher, „Drei Minuten kann ein Herz stillstehen. Zur Ausstellung von Hans Peter Feldmann in Düsseldorf – ein Gespräch über Welt als Chaos und Kunst als Voodoo“, in: Süddeutsche Zeitung, 18. Juni 2010, S. 13; vgl. auch Wolfgang Ullrich, „Ein Original vom Original“, in: Mensger (Hg.), Déjà-vu?, S.25–27.

[15] Vgl.: Günter Fruhtrunk, „Voilà, der handwerkliche Waschzettel“, in: Werkverzeichnis der Bilder 1952–1982. Band 1, S. 75f.

[16] Alle wörtlichen Zitate stammen aus einem Gespräch mit Markus Ebner in dessen Frankfurter Atelier im September 2021

[17] Vgl. Werkverzeichnis der Bilder 1952–1982. Band 1, S. 500

[18] Vgl.: Ullrich, Rituale der Wiederholung, S. 140f.

Letzte Änderung: 18.02.2024  |  Erstellt am: 15.02.2024

MARKUS EBNER
Gesprengtes Quadrat /Exploded Square

Dauer der Ausstellung:
24.2. – 30.4.2024

Eröffnung:
24.2.2024, 14-17 Uhr

JACKY STRENZ
Kurt-Schumacher-Str. 2
60311 Frankfurt am Main

https://jackystrenz.com

divider

Kommentare

Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.

Kommentar eintragen