Die Natur als Ganzes

Die Natur als Ganzes

Interview mit Hermann Rohlfs
Hermann Rohlfs in Namibia

Wenn wir uns nicht mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen, mehr noch, setzen wir sie nicht um, findet das Leben auf diesem Planeten ein jähes Ende. Der Apotheker und Arten- und Tierschutzaktivist Hermann Rohlfs begreift den globalen Kampf um Nachhaltigkeit als Lebensaufgabe, bleibt dabei jedoch gerne im Hintergrund. Sarah C. Schuster war mit Hermann Rohlfs im Gespräch, der sich der Schwierigkeit seiner Aufgabe bewusst ist: Die Aufforstung des Urwaldes braucht länger als ein Menschenleben. Wir müssen jetzt damit anfangen.

Sarah C. Schuster: Sie haben im Arten- und Tierschutz, unter anderem mit einer eigenen Stiftung zum Schutz der vom Aussterben bedrohten Spitzmaul- und Breitmaulnashörner in Namibia, viel erreicht. Was braucht es, um solche wichtigen Projekte umzusetzen?

Hermann Rohlfs: Wenn Sie im Flieger sitzen, steht über Ihnen ein Hinweis, dass im Falle des Druckverlustes Sauerstoffmasken herausfallen, und dann mögen Sie zuerst sich selbst die Sauerstoffmaske aufsetzen, um dann anderen zu helfen. Diese Reihenfolge ist bezeichnend für meine grundsätzliche Idee des Lebens. Ich muss mich zunächst in eine Position bringen, aus der ich aktiv handeln kann. Wenn ich nichts auf den Schirm kriege, kann ich nichts bewirken. Jeder lernt sein Handwerk. Ich habe das Apothekertum gelernt.

Verfügt man über die Möglichkeiten, etwas bewegen zu können, entscheidet man sich für ein stiftungsfähiges Thema von globaler Tragweite und setzt seine Schaffenskraft und sein vorher erworbenes Kapital, im besten Fall aus eigener Tätigkeit und nicht Geerbtes, dafür ein. Die Idee ist es, mit dem zur Verfügung gestellten Geld den Grundstock für immer weitere Ideen zu legen, damit ein Projekt sich selbst befruchtet und befeuert wie eine Art Perpetuum mobile, also ein sich selbst antreibendes, sich finanzierendes und im besten Fall wachsendes Gebilde, das dem Kernzweck uneingeschränkt und ohne Verluste dient.

Unser Planet und die Natur,
die uns umgibt,
sind das höchste Gut,
das uns zur Verfügung steht.

Die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit ist im wahrsten Sinne das brennendste Thema, was wir, die Menschheit, auf diesem Planeten haben.

Genau deshalb bewegt mich dieses Thema an allen Ecken und Enden meines Tuns. Ich habe mir mit Namibia früh eine Stelle ausgesucht, von der aus ich einen guten Multiplikatoreffekt erzielen konnte. Dort, so war mein Gedanke, kann ich mit der Bevölkerung ein nachhaltiges Gesamtkonzept umsetzen. Dieses Konzept muss sich so gut von selbst finanzieren, also nicht mehr auf Zufluss von außen angewiesen sein, dass es im allerbesten Falle wächst und mehr Menschen ernährt, als dieses Land ernähren würde, wäre es noch seiner ursprünglichen Nutzung verpflichtet.

Wie essenziell ist es, von Beginn an das Konstrukt als Gesamtes zu bedenken, das Land, die Menschen, die Tiere, die Gemeinschaft…?

Es zählt das Gesamte. Pickt man sich nur eines raus, funktioniert es schon nicht mehr.

Der Weg zum Apotheker

Um an den Anfang zurückzukehren, bevor wir weitergehen: Wann haben Sie sich entschieden, Apotheker zu werden? Gab es einen bestimmten Grund für die Wahl?

Ich kam am 07.04.1963, einem Sonntag, um 19:00 Uhr zur Welt, und habe gedacht, ich muss Geld verdienen, um damit etwas zu tun, auch wenn damals noch nicht klar war, was. (lacht) Ich habe mir das tatsächlich schon als Kind überlegt. Auf den ersten Blick hat man damals mit Medizin und Zahnmedizin gut verdient. Der Numerus Clausus bei Medizin lag vielleicht bei 1,3, meine Abiturnote jedoch bei 1,5. Da es nur wahrscheinlich, aber nicht sicher war, dass ich einen Medizinplatz bekomme, habe ich geschaut, was denn ähnlich ist: Apotheker.

Ich wollte Wissenschaftler werden und dachte mir, du machst ein paar Semester Pharmazie und dann wechselst du in die Medizin oder die Forschung. Im dritten Semester erzählte mir jemand, dass man mit einem Pharmaziestudium immer Apotheker wird. Das geht gar nicht anders. (lacht) Ich war zunächst entsetzt und habe mich damit auseinandergesetzt, dass ich auf dem falschen Pferd saß, wollte aber nichts anderes mehr machen, und so habe ich das Studium abgeschlossen und bin Apotheker geworden.

Wie kamen Sie zu Ihrer ersten Apotheke?

Ich wollte nicht einen Tag als Angestellter arbeiten, sondern sofort selbstständig sein. Mit 24 Jahren schloss ich mein Studium ab und hatte auch mit 24 Jahren meine erste Apotheke, die Rats-Apotheke in Uslar. Der vorherige Apotheker war verstorben und man brauchte einen Nachfolger. Ein Großhandel rief mich an, den ich zuvor gebeten hatte, mich wissen zu lassen, wenn sie etwas hören. Ich hatte mein Praktikum in der Hof-Apotheke Detmold gemacht und wollte eine schöne, möglichst alte Apotheke haben. Während ich gerade das Studium abgeschlossen hatte, bekam ich den Anruf. Daraufhin bin ich nach Uslar gefahren und dageblieben.

Vom Durchschnittsalter waren wir die jüngste Apotheke Deutschlands. Der Chef war 24 Jahre alt, die Angestellten waren bis auf eine per Zufall noch jünger als ich und der Lehrling war 16. Das war schön. Es war eine überdurchschnittlich große Apotheke mit einer spannenden Historie. Hinter der Apotheke gab es eine kleine Fabrik, die lange stillgelegt war. Vor den Weltkriegen produzierte die Rats-Apotheke selbst und verschickte in alle Welt. In den 90er Jahren begann die Zytostatika-Produktion, da sich die ambulante Onkologie entwickelte, das heißt die Krebsbehandlung, die nicht mehr ausschließlich im Krankenhaus stattfinden musste. Durch ein weiteres Spektrum an Arzneimitteln wurde die Krebsbehandlung immer differenzierter.

Während meines Studiums gab es vielleicht drei oder vier Krebsmittel, heute gibt es hunderte. Diese Medikamente mussten hergestellt werden. Ich wurde von Ärzten angesprochen, die sich bei uns in der Region niederlassen wollten und sich fragten, wer das für sie tun könnte. Das war dann ich. Sie sagten der, der ist immer so rege.

Historischer Apothekerschrank

Pionier in der Pharmazie und der Druck der Pharmaindustrie

Hält man sich als Apotheker mit der Wissenschaft weiter vertraut oder steigt man mit praktischem Fokus in die Apothekenführung ein?

Es gibt selten die Ambition, tiefer in die Wissenschaft einzusteigen. Daher kamen die Ärzte auf mich zu. Wobei es weniger Wissenschaft war als Innovation. Ich war bereit, technologisch fordernde Dinge innovativ umzusetzen zu wollen. Ein Labor musste her. Da es so etwas damals noch nicht gab, habe ich mein erstes Zubereitungslabor selbst erfunden. Ich musste mir selbst überlegen, wie ich das am geschicktesten anstelle, denn es gab zu diesem Zeitpunkt keine Richtlinien. Ich hatte eine Berner Box, einen großen Kasten mit zwei Eingriffen, wie man sie aus alten Filmen kennt, in denen es steril war und die vor den Aerosolen, die man selbst erzeugte, schützte.

Es stellten sich wichtige Fragen. Wo kriegt man chemodichte Handschuhe und geeignete Kittel her? Ich produzierte von links durch die Maschine nach rechts, damit man sich nicht vertut, und stellte selbst verschiedene Regeln auf, die heute festzementiert sind. Es kam mein erstes Labor, mein zweites, mein drittes, und es wurde immer besser. Als bekannt wurde, dass ich ein Labor habe und das gut mache, dass die Logistik stimmt und pünktlich geliefert wird, kamen immer mehr Onkologen zu mir.

Was war ein entscheidender Punkt in Ihrer Laufbahn, an den Sie sich erinnern?

Es kam der Tag auf, an dem Medizinische Versorgungszentren, kurz MVZen, gesetzgeberisch ermöglicht wurden. Wir, die Apotheker, waren gründungsberechtigt. Ich war der erste Apotheker, der in Thüringen ein onkologisch ausgerichtetes MVZ gründete. Das war ein entscheidender Wachstumsschritt für mich.

Wir haben als MVZ-Betreiber dafür gesorgt, dass Standorte weiterhin erhalten bleiben. Viele Ärzte möchten nicht als Selbstständige arbeiten, da der Bürokratismus sie davon abhält, Arzt zu sein und ärztliche Leistung zu erbringen. Dazu kommt das wirtschaftliche Risiko, für Patientenverordnungen in Regress genommen zu werden, die die Ärzte dann selbst bezahlen müssen. Dafür, dass sie sich aufopfern, erleiden sie so den wirtschaftlichen Ruin. Wenn ein Investor dieses Risiko trägt, dürfen Ärzte ihrer Kerntätigkeit nachkommen.

Irgendwann durften Apotheker keine MVZen mehr gründen. Die Zielsetzung des Gesetzes war es, diejenigen aus der Gründungsberechtigung rauszunehmen, die keine Ärzte sind oder keine Arztnähe aufweisen. Ein Apotheker ist kein Arztnaher, sonst hieße er Arzt und nicht Apotheker. Außerdem wollte man das Großkapital raushalten. Es erschließt sich mir nicht, was das Großkapital mit Apothekern zu tun hat. Wenn wir über Krankenhäuser nachdenken, kommen wir auf die ein oder andere Firma, die sich doch mehr im Großkapital aufhält. Es gibt börsennotierte Leistungserbringer wie Helios oder Fresenius, die deutlich mehr Kapital aufweisen als ein Apotheker, der immer einzeln unterwegs ist.

Wir können auf anderem Wege weiter gründen, doch jetzt wollen sie uns wieder einen Riegel vorschieben. Jetzt müssen wir wahrscheinlich Krankenhaus werden. Inzwischen haben wir ungefähr eine Größe, dass es anfängt, sich die Waage zu halten. Wir sind ein kleines Schwergewicht in unserer Fachrichtung geworden.

Reinraumlabor Klasse A/B.
Der Bereich, in dem Sie sich bewegen, ist mit sehr hohem Druck verbunden. Sie wurden von Novartis und Bayer verklagt. Ihre Existenz stand auf dem Spiel. Wie kam es dazu?

Als das Auseinzeln von Augenspritzen anfing, machten wir bei den Zytostatika aus großen Gebinden, die die Industrie herstellt, patientenindividuelle Gebinde. Wenn wir 1000 mg von einem Wirkstoff bekommen, der Arzt aber nur 875 mg verordnet, müssen wir das, ich drücke es jetzt einmal laienhaft aus, portionieren. Wir haben Augenspritzen gegen altersbedingte Makuladegeneration patientenindividuell zurechtgemacht, was preiswerter für die Kassen war, die bis dahin immer ein Originalgebinde finanzieren mussten, und haben damit die Behandlungskosten signifikant gesenkt.

Wer regte sich darüber auf? Die Industrie, die sagte, dass dieser Trick deren Marge halbiert. Novatis und Bayer haben uns auf Schadensersatz verklagt, 80 Millionen Euro etwa, was so viel bedeutet wie das Ende der Existenz. Sie boten mir an, zu unterschreiben, dass ich mit der Produktion aufhöre, dann würden sie das Ganze einstellen. Nach ein, zwei durchwachten Nächten, schweißgebadet, habe ich mich entschieden, mich gegen Novatis, Bayer und die ungefähr 50 Anwälte zur Wehr zu setzen, die jeder auf seinem Briefbogen stehen hatte und die sich anschließend über mich hermachten. Wir wurden eingeschüchtert und bedroht. Das ist schon hart gewesen.

Ich wurde als exemplarische Apotheke verklagt, weil alle anderen Apotheken klein beigegeben hatten. Es gab zunächst ein Urteil gegen einen anderen Apotheker, den Novatis als Herstellungsbetrieb verklagt hatte und dem die Herstellung untersagt wurde. Wir haben uns mit dem Herstellungsbetrieb zusammengetan und sind bis vor den Europäischen Gerichtshof gezogen, auch wenn wir namentlich nicht erwähnt wurden. Vorm Europäischen Gerichtshof bekamen wir eine Rechtsempfehlung zu unseren Gunsten.

Das Landgericht Hamburg hat Urteile gesprochen, auch gegen uns, aber uns die Produktion nicht unmittelbar untersagt. Das war die Zeit, in der wir immer größer wurden, weil wir die einzige Apotheke waren, die produzieren durfte. Hätte ich verloren, wäre alles weg gewesen. Damit haben wir Pharmaziegeschichte geschrieben und für die Apotheker ein neues Tätigkeitsfeld geschaffen, das weiterhin zur Kostenersparnis im Gesundheitssystem beiträgt. Gleichzeitig haben wir die Qualität der Augenspritzen verbessert, die nicht mehr unter nicht-keimfreien Bedingungen in den Arztpraxen, sondern bei uns in der Sterilproduktion aufgezogen werden. Wir haben dem Apothekerberuf etwas Gutes getan. Ein Dankesschreiben habe ich aber nicht bekommen. (lacht)

Die Standards, denen Sie sich verpflichten, scheinen die allerhöchsten zu sein. Sie denken stets weiter, was Sie optimieren und im Zweifel neu erfinden können.

Wir befassen uns intensiv damit, die höchste Stufe der Reinheit und Produktionsqualität zu erkennen. Wir sind neben einer anderen Firma auch die Einzigen, die alle Rohstoffe, Verpackungsmaterialien, Flaschen, Spritzen und ähnliches nochmals sterilisieren. Wir haben eine riesige H2O2-Besprühungsanlage, in der mit H2O2 über einige Stunden erneut sterilisiert wird, damit eventuelle Keime besonders tot sind, also toter als tot. (lacht) Und damit haben wir im Gegensatz zu fast allen Betrieben tatsächlich den geringsten Eintrag an Keimen in unseren Reinräumen mit GMP-Standard (A/B).

Wir haben aktuell eine Eyebox entwickelt, einen isolierten Kasten aus dicken Plastikwänden, der innen mit Leinen ausgestattet ist und den man sich wie eine Kühltasche vorstellen kann. Ist die Eyebox voll, ist sie wie ein Köfferchen, ist sie aber leer, kann man sie zusammendrücken. Wir haben genau geschaut, wie lange die Eyebox unterwegs ist, bis sie in der Arztpraxis ankommt, und haben sie systematisch in einer Temperaturkammer getestet. Die Box ist, anders als ein Styroporkasten, zertifiziert, was eines unserer Qualitätskriterien ist. Die Eyebox ist dadurch, dass sie dauernd wiederverwendbar ist, außerdem ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, die ein wichtiges Kriterium für uns ist. Alle anderen Mitbewerber nehmen Styroporboxen, die im Anschluss vernichtet werden.

Alles für die Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit ist für Sie von zentraler Bedeutung. Zu Beginn unseres Gesprächs kam beispielsweise Ihre Stiftung zum Schutz der vom Aussterben bedrohten Spitzmaul- und Breitmaulnashörner in Namibia zur Sprache. Wie und warum fing alles in Namibia an?

Namibia war kein abstraktes Land für mich. Ich bin dort oft hingefahren und habe mich verliebt. Mein Stiftungsgedanke fing mit der Teufelskralle an, die ausnahmslos in der Kalahari wächst und die man als Apotheker als Heilpflanze kennt. Die Teufelskralle wurde übererntet und so eine bedrohte Art. Während ich in der Kalahari eine Lodge baute, dachte ich gleichzeitig an ein Artenschutzprojekt für diese Teufelskralle: Was wäre, wenn sie nicht wild geerntet werden müsste, sondern auf einer Teufelskrallenplantage zwischen den Dünen angebaut werden könnte?

Ich machte einen Professor aus Münster ausfindig, der inzwischen in Rente war und in Südafrika lebte, der ein Mittel gefunden hatte, wie man Teufelskrallensamen zum Keimen brachte. Das Problem der Teufelskralle ist nämlich, dass die Samen nur keimen, wenn sie es möchten. Du kannst sie in die Erde geben, kannst auch dazu tanzen und ihnen etwas vorsingen, es ist egal. Es ist bislang nicht geklärt, warum das so ist. Der Professor aber hatte einen Chemikaliencocktail entwickelt, mit dem diese Samen behandelt werden konnten. Wir legten eine große Plantage mit Bewässerungsstrukturen und speziellen Saatbeeten an, um den Erntedruck auf die Wildpflanzen zu reduzieren. Wir haben über Jahre hinweg einen Riesenaufriss betrieben, doch um es kurz zu machen: Es hat nicht funktioniert.
 
 

Warum hat es nicht funktioniert?

Die Babys, so nannte der Professor die Knollen, hatten ausgetrieben, aber das Hauptproblem war, dass es in Namibia etwa neun Jahre nicht regnete, zumindest nicht ausreichend. Vom Samen zum Baby entwickelte sich die Teufelskralle in einem Jahr. Das Heranwachsen zu großen Pflanzen hingegen dauert viele Jahre. Anfangs hatte ich noch bewässert, doch irgendwann hätte es regnen müssen. Es ist unökologisch, in der Wüste dauerhaft eine Plantage zu bewässern. Die Teufelskralle wächst aber nur in der Wüste, also haben wir das Projekt nach zehn Jahren eingestellt. Die Teufelskralle ist eine Diva oder anders betrachtet, sie hat Zeit. Sie liegt dann eben zehn Jahre in der Erde.

Die Teufelskralle kann nichts dafür.
Sie ist so konzipiert und hat
Jahrmillionen überlebt,
bis der Mensch kam.

Die Idee wäre noch weitergegangen. Im Moment werden die Knollen ausgegraben, getrocknet und in die Welt verschifft, wo dann alle restlichen Wertschöpfungskettenschritte stattfinden. Das ist eine Art Spätkolonialismus: Bodenschätze raus und keine weiteren Veredelungsschritte. Bedrohte Arten werden weiter geschädigt und es findet keine Wertschöpfung statt. Den Extraktionsprozess, der beispielsweise in Deutschland stattfindet, wollte ich in Namibia lassen, zumindest die Herstellung des Dickextrakts. Der Dickextrakt wäre vom Transportvolumen viel geringer, wenn er zur Medikamentenherstellung nach Deutschland gebracht wird, und vor allem hätte man so mehr Arbeit in Namibia selbst.

Wie ging es nach der Teufelskralle weiter?

Es musste keine bestimmte Spezies sein, sondern die Natur als Ganzes, die es zu beschützen galt. Es sollten große Landstriche wieder natürlich werden und keiner landwirtschaftlichen Übernutzung zum Opfer fallen. Das betraf insbesondere die nicht mehr richtig funktionierenden Schafsfarmen im Süden Namibias mit durchschnittlich etwa 10.000 Hektar Fläche, aber nur noch ein oder zwei Arbeitsplätzen. Wir haben mittlerweile Habitate mit Adlern, Geiern, Hyänen und Löwen, die dort hingehören.

Meine erste Schaffarm hatte zwei Arbeitsplätze. Nachdem wir dort eine Lodge gebaut haben, hatten etwa 20 Mitarbeiter ein festes Beschäftigungsverhältnis, also etwa Faktor zehn. Während des Teufelskrallenprojekts hatten schon mehrere Leute bei uns Arbeit gefunden. Am Ende hatten wir nicht nur das 10- oder 20-fache an Beschäftigung, sondern auch unterschiedliche Qualifikationen der Beschäftigten, vom Lodgemanager, der studiert hat, bis zu den Tagelöhnern. Vorher waren es durchweg Billigstarbeiter gewesen, die einen Tagelohn von einem Euro hatten.

Durch den Tourismus, den wir betreiben, regenerierte sich der Boden. Wir konnten Tiere ansiedeln. Manche kamen von selbst. Je größer dieses Gebiet wird, desto naturnaher wird das Ganze, und trotzdem ist die Wertschöpfung in Namibia so eine viel höhere als durch die ursprüngliche landwirtschaftliche Nutzung. Wir haben inzwischen weit über 1.000 Quadratkilometer Fläche und sind das Missing Link zwischen zwei großen Naturschutzgebieten geworden. Im Laufe der letzten zehn Jahre habe ich Farm für Farm zusammengekauft, das Gebiet renaturiert und Straßen rückgebaut. Die Migration der Tiere hat sich dadurch weitaus verbessert, so dass sie beispielsweise dort hinkönnen, wo es regnet. Wenn zwischendurch Farmland liegt, bleiben sie in den Zäunen hängen oder werden erschossen.
 
 

Sie haben in Namibia nicht nur Arbeitsplätze geschaffen, sondern arbeiten, wenn ich mich nicht irre, an einer Verbesserung der medizinischen Versorgung.

Ich habe an eine Klinik und Krankenstationen in der Wüste gedacht, wo nicht nur unsere Mitarbeiter hingehen können, sondern auch die von anderen Lodges, aber da ist uns Corona in die Parade gefahren, doch jetzt geht es wieder los. Wir bewegen uns langsam in einer Größenordnung, bei der man solche Dinge denken kann. Es ist angedacht, aber aufgrund von Corona noch nicht umgesetzt.
 
 

Sie betreiben mit Ihren Ondili Lodges nachhaltigen Tourismus. Was muss man dabei beachten?

Tourismus ist nicht nachhaltig, aber er schafft Nachhaltigkeit. Wir haben unser Arial zu den jagenden und kommerziellen Farmen eingezäunt und zu den Naturparks hin für die Tiere offengelassen. Unsere Zäune sind keine Halbzäune, wie es in Namibia oftmals der Fall ist, sondern hoch genug, damit die Tiere nicht zu Tode kommen. Wir haben uns dauerhaft mit dem Rückbau auseinandergesetzt, haben Häuser abgerissen, Straßen renaturiert und Müllkulen ausgehoben und bereinigt, damit es wirklich wieder Natur ist. Uns wird manchmal vorgeworfen, dass wir in der Wüste einen Pool haben. Hast du keinen Pool, kommen keine Touristen. Doch was war vorher da, wo jetzt der Pool ist? Genau an der Stelle sicherlich nichts, doch auf dem Großgebiet war zuvor eine Rinder- oder Schaffarm, wo aus der Erde von morgens bis abends und nachts mit Beleuchtung, wenn du Pech hast, Wasser in riesige Behälter gepumpt wurde und wenn diese voll waren, liefen sie über.

Um eine Lodge zu bauen, haben wir jeweils zehn Farmen stillgelegt. Wir senken den Wasserverbrauch, auch wenn man es im ersten Moment anders denkt. Wir erzeugen unseren Strom selbst und erwärmen das Wasser mit Solarenergie. Das Duschwasser wird aufgefangen und doppelt genutzt. Diese Dinge sind für uns selbstverständlich. Alle touristischen Gewinne werden ausnahmslos in die Natur reinvestiert. Durch den Tourismus können wir die Natur autark machen. Es war bislang immer ein Reingeben, aber mit der Zielsetzung, dass das Gebiet selbstständig wird.

Natur und Tiere sind unser höchstes Gut

Die Einwohner in Namibia kriegen ihre Bemühungen um das Land, die Landschaft und die Tiere mit Sicherheit mit.

Die Einwohner verstehen das Prinzip. Sie sagen: „Das ist gut, dass du hier bist. Du schaffst Arbeitsplätze.“ Wir sagen: „Wenn wir die Nashörner beschützen, gibt es hier Arbeit, dann kommen die Gäste.“ Die Menschen dienen dem Nashorn, nicht andersherum. Das Gleiche gilt für die Wüstenelefanten. Die Tiere in dieser schönen Landschaft müssen als das höchste zu erhaltende Gut erkannt werden. Wir haben in Kooperation mit der Regierung bestimmte Reservate für das Spitzmaul- und Breitmaulnashorn geschaffen, beides bedrohte Arten, eine noch bedrohter als die andere. An den Nashörnern gibt es kein Eigentum. Man kriegt sie verliehen, wenn man mit seinem Naturschutzgebiet bestimmte Kriterien erfüllt, um in das _Custodianship_-Projekt aufgenommen zu werden, das sich über das südliche Afrika erstreckt.

Zielsetzung ist es, dass die Nashörner möglichst verbreitet aufbewahrt werden, nicht nur in Nationalparks, sondern auch auf privaten Farmen. Jeder hat sein eigenes Sicherheitskonzept. Hinter den Nashörnern gehen zum Beispiel ununterbrochen bewaffnete Einheiten her. Sie sind permanent in der Nähe und direkt mit den Nashörnern zusammen, die wegen ihres Horns gewildert werden, dass aus Keratin – also Fingernägeln – besteht, und diesem werden alle möglichen Wirkungen nachgesagt, diesem besonderen Fingernagel. Besonders wegen der Form des Horns wird es im asiatischen Raum als Aphrodisiakum verwendet. Ein totes Nashorn bringt ungefähr 100.000,– US-Dollar. Ich glaube, dass der Kampf verloren ist.
 
 

Aber Sie kämpfen noch.

Ich kämpfe noch, aber ich glaube, man zögert es nur hinaus, wenn uns nicht irgendetwas Gutes einfällt. Du hast keine Chance, wenn die Wilderer mit Helikoptern reingeflogen kommen, das Tier erschießen und mit der Kettensäge das Horn abtrennen. Die Einwohner passen auf, dass andere Einwohner, die zu Fuß kommen, keine Nashörner umbringen. Gegen Wilderer, die Maschinengewehre in den Händen halten, haben auch die bewaffneten Einheiten endgültig keine Chance.

Es werden deutlich mehr
Nashörner getötet
als nachwachsen können.
 
 

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

Ich plane, die vorhandenen geschützten Gebiete in Namibia weiter auszubauen. Ich setze das in Deutschland verdiente Geld für das Entstehen dieser Flächen ein. Das will ich auch in Borneo machen. Die Geburtsstunde des weiterbeschleunigten Abholzens der Urwälder am Amazonas und insbesondere in Borneo war die Einführung von Biotreibstoffen in Deutschland vor einigen Jahren. Die Grundidee war erst einmal eine gute, dass man sagt, aus Pflanzen hergestellter Alkohol, Bioethanol, kommt mit ins Benzin, um fossile Brennstoffe zu sparen. Doch in Deutschland stellen wir nicht ausreichend Bioethanol her, weshalb Bioethanol zugekauft wird.

Wenn man an Borneo denkt, denkt man an die wildesten Urwälder mit riesigen Bäumen und Orang-Utans. Dieses Land ist in den letzten zehn Jahren zu 70 Prozent entwaldet worden und es sind Ölplantagen entstanden. Die Palmenfrüchte werden gepflückt und als ganze Früchte um die halbe Erdkugel transportiert, damit sie in Deutschland raffiniert und zu Bioethanol verarbeitet werden, der dann unserem Treibstoff zugesetzt wird.

In Borneo wird für den deutschen ökologischen Gedanken der Urwald abgeholzt. Die bedrohten Arten sind dadurch noch viel bedrohter. Die Orang-Utans sitzen nur noch auf einer kleinen Insel, auf der ein Rest Urwald ist. Falls sie in die Palmölplantagen kommen, werden sie getötet. Die kleinen Urwaldelefanten, die es dort gibt, dürfen erst recht nicht rein. Sie werden mit Melonen geködert, die mit Rattengift präpariert sind. Die Elefanten essen das, kommen vielleicht sogar nur wegen den Melonen in die Plantagen, und sterben erst zwei Tage später, weil sie innerlich verbluten. Elefanten sind sehr intelligente Tiere, aber diese Fallen können sie nicht zuordnen. Auch das Bantengrind und besondere Nasenaffen sind vom Aussterben bedroht. Sterben diese Tiere in Borneo, ist die ganze Spezies weg, die nur dort lebt.

Wenn man sein Geld einsetzt, um Palmölplantagen zu kaufen, kann man zwei getrennte Inseln durch einen Korridor aus ehemaligen Palmölplantagen verbinden. Diese Gebiete würden dann umzäunt, geschützt und wieder zu Urwald aufgeforstet. Glücklicherweise gab es ein Gesetz, dass man die Plantagen nicht bis direkt an den Fluss bauen durfte, so dass man schon einmal einen Streifen von etwa hundert Meter Breite hat. Wenn man diesen noch breiter zurechtkauft… das ist ein Projekt, an dem ich dran bin. Das wird etliche Millionen kosten, aber man kann mit wenig Landkauf große Effekte erzielen, damit die Tiere wieder viel größere Flächen zur Verfügung haben.

Das dauert länger,
als wir leben,
trotzdem muss man
damit anfangen.

Letzte Änderung: 16.11.2022  |  Erstellt am: 02.11.2022


Hermann Rohlfs ist Apotheker, pharmazeutischer Unternehmer und Philanthrop, der sich vor allem in Namibia für den Arten- und Tierschutz bedrohter Spezies einsetzt und dort auf nachhaltige Weise moderne Lodges betreibt, wodurch er eines der größten, auf privater Initiative basierenden Naturschutzgebieten weltweit geschaffen hat.

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