Butterfly im Kleinformat

Butterfly im Kleinformat

Bregenzer Festspiele 2022
Madama Butterfly

In Bregenz schwimmt die Opernbühne auf dem Wasser, und das unsichtbare Orchester könnte irgendwo auf der Welt spielen, übertragen wird sein musikalischer Beitrag über Lautsprecher. Spielt es wirklich? Aber darauf kommt es am Bodensee gar nicht an. Dort wird das geschätzt, was man kennt. Produziert für ein digitales Medium gewinnt das Spektakel allerdings an Qualität. Thomas Rothschild hat sich Puccinis „Madama Butterfly“ angesehen.

Die Bregenzer Festspiele sind das zweitgrößte und am zweithöchsten subventionierte Sommerfestival Österreichs. Anders als in Salzburg mit seinem breit gestreuten Programm, steht in Bregenz eine einzige Produktion im Zentrum sowohl der medialen Aufmerksamkeit, wie der Selbstdarstellung: das „Spiel auf dem See“, das jeweils zwei Jahre hinter einander gezeigt wird. 2022 war, nicht sonderlich originell, nach „Turandot“, „Carmen“ und „Rigoletto“, Puccinis „Madama Butterfly“ an der Reihe. Sie wird im kommenden Sommer turnusmäßig noch einmal mehrere Tausend Schaulustiger nach Bregenz locken und zu Tränen rühren.

Zwar wurde die Produktion, ein wenig überraschend, für den International Opera Award 2022 nominiert (man fragt sich, wie weit die Juroren gereist und was sie an den diversen Opernhäusern gesehen haben), aber es kann keinen Zweifel geben: das Alleinstellungsmerkmal der Bregenzer Opern auf dem Bodensee ist weder die musikalische Qualität, noch die Regie, noch gar die Erweiterung des Repertoires, sondern die äußerliche Dimension. Hier ist alles, allem voran das Bühnenbild, riesig und eher ein Fall für das Guinness Buch der Rekorde als für einen Opernführer.

Angesichts dieses Befunds darf man wohl feststellen, dass DVD und Blu-ray nicht die idealen Medien für die Superlative der Bregenzer Festspiele sind. Halbnahaufnahmen und Halbtotalen rücken die Sänger*innen zwar in eine Nähe, die den Zuschauern in Bregenz verwehrt bleibt, aber sie zerstören die Gesamtkonzeption und insbesondere die Choreographien der stummen Tänzer. Freilich: Gedanken über Formate sind nicht beliebt, wo der Markt alle Überlegungen beherrscht. Wer fragt danach, ob ein Bildband seinen Objekten gerecht wird, wenn es darum geht, sie zu verkaufen? Und so gibt es, kaum dass die Festspiele zu Ende gegangen sind, das Spektakel auf DVD und Blu-ray, ohne Rücksicht auf Verluste.

„Madama Butterfly“ ist, vor dem „Freischütz“, die letzte Inszenierung auf dem See, ehe die Intendantin Elisabeth Sobotka 2024 an die Berliner Staatsoper Unter den Linden geht. Das aktuelle Bühnenbild von Michael Levine, ein vertikal aus dem Wasser emporragendes, leicht zerknülltes Blatt Papier, unterscheidet sich allerdings von seinen aufwendigeren Vorläufern durch den Verzicht auf prätentiöse semantische Aufladung. Stattdessen wird diesmal, mit eher zurückhaltenden Projektionen, mehr graphisch als räumlich gedacht. Auch akrobatische Einlagen und Wasserzauber sind diesmal fast verschwunden.

Wenn man freilich das Spektakel, das sich im Kleinformat nur erahnen lässt, abzieht, bleibt eine geradezu deprimierend konventionelle Regie ohne den geringsten Interpretationsansatz. Butterfly und ihre Entourage trippeln mit unterwürfiger Körpersprache dem Klischee von der Japanerin entsprechend durch die traurige Story. Dabei gibt es musikalisch nichts zu mäkeln. Die Wiener Symphoniker, die, einer Tradition folgend, aber zu Unrecht im Schatten der Wiener Philharmoniker stehen, bringen das, in Bregenz nur über seitliche Bildschirme sichtbare große Orchester unter der Leitung von Enrique Mazzola höchst differenziert zum Erklingen. Und die Solisten, deren Rollen für die Dauer der Festspiele zwei- und dreifach besetzt waren, lassen nichts zu wünschen übrig, wobei Brian Mulligan als der amerikanische Konsul Sharpless, Edgaras Montvidas als Pinkerton und Annalisa Stroppa in der nicht allzu großen Rolle der Suzuki hervorgehoben seien.

Die usbekische Sopranistin Barno Ismatullaeva ist eine perfekte Cio-Cio-San, alias Butterfly. Sie trifft jeden Ton mit unbeirrbarer Präzision und ausgefeiltem Wohlklang, sie singt mit dem erforderlichen Schmelz, aber niemals verschmiert. Und sie macht hörbar, warum „Un bel dì, vedremo“ als eine der schönsten Arien der Operngeschichte gilt.

Ein echter Vorzug des Mediums ist das Bonusmaterial von Ingrid Bertel, das Auskunft gibt über die Vorüberlegungen und Bedingungen der Produktion. Da kann auch kein Programmheft mithalten.

https://www.jpc.de/jpcng/classic/detail/-/art/madame-butterfly/hnum/11008784

Letzte Änderung: 29.11.2022  |  Erstellt am: 31.10.2022

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