Angst, Wahn zum Tod

Angst, Wahn zum Tod

Poulencs Oper in Frankfurt
Szenenfoto | © Barbara Aumüller

Kaum hatte man sich wieder daran gewöhnt, in die Oper zu gehen, ist schon die Saison wieder zu Ende! Denn mit der Aufführung von Francis Poulencs Oper „Dialogues dés Carmélites" beendet die Oper Frankfurt eine pandemiebedingt kurze Saison und verabschiedet sich in den Sommer. Stefana Sabin hatte doch noch Gelegenheit, die Poulenc-Inszenierung zu sehen.

Poulencs Oper über Nonnen und Revolutionäre

Als Komponist und Pianist war Francis Poulenc (1899-1963) ein Liebling der Pariser Kulturszene nach dem Ersten Weltkrieg. Er war das jüngste Mitglied der Groupe des Six, eines losen Zusammenschlusses von Musikern – fünf Männern und einer Frau –, die sich um Erik Satie als musikalischen Mentor und Jean Cocteau als literarischen Schriftführer formierten. Es war weniger ein musikästhetisches Programm als vielmehr die Abkehr von der wagnerianischen Spätromantik und von der impressionistischen Klanglichkeit Débussyscher Prägung, was sie verband, eher eine Orientierung an Unterhaltungsmusik, an Variété und Vaudeville. Poulenc war von Maurice Chevalier ebenso beeinflusst wie von Igor Strawinsky, und er kombinierte dadaistische Techniken mit eingängiger Melodik.

Sein frühes Werk war von Klaviermusik und Vertonungen von Gedichten seiner Montparnasse-Freunde dominiert, aber nach dem Besuch der Schwarzen Madonna von Rocamadour wandte sich Poulenc um 1936 dem katholischen Glauben zu und schuf eine Reihe geistlicher Kompositionen, die seinen Ruhm befestigten. Allerdings sah er sich selbst als Opernkomponist.

1956 erhielt Poulenc einen Opernauftrag von der Mailänder Scala: Dialogues des Carmélites, die dort 1957 in italienischer Übersetzung uraufgeführt wurde. Das Libretto schrieb Poulenc selbst und verwendete als Vorlage das gleichnamige Bühnenstück von Georges Bernanos, das wiederum auf einer Novelle von Gertrud von Le Fort basierte. Es ist eine tragische Oper in drei Akten – eine Antioper gewissermaßen, insofern als sie keine wirkliche Handlung hat, sondern die Stimmung – und die Gespräche – der Karmeliterinnen wiedergibt, deren Kloster während der Französischen Revolution aufgelöst werden sollte und die selbst zum Tod verurteilt und hingerichtet wurden – und 1906 von Papst Pius X. selig gesprochen wurden.

Bis heute sind die Dialogues des Carmélites Poulencs bekannteste Oper, die immer wieder inszeniert wurde. 2010 wurde die Inszenierung von Dmitri Tschernjakow an der Bayerischen Staatsoper zu einem juristischen Fall: der abgewandelte Schluss, in dem nur die Hauptfigur stirbt, empörte die Erben von Poulenc und Bernanos derart, dass sie gerichtlich dagegen vorgingen – allerdings vergeblich.

Nun ist die Oper also in Frankfurt aufgeführt worden – unter Beachtung der geltenden hygienischen Regeln. Der Zuschauerraum war nur zur Hälfte besetzt, der Eintritt nur mit Impfpass oder tagesaktuellem Negativtest möglich. Darüberhinaus wurde eine Bearbeitung für Kammerorchester von Takeshi Moriuchi gespielt, um die Zahl der Musiker im Orchestergraben zu begrenzen; der Chor blieb hinter der Bühne, und die Figuren hielten (fast) immer Abstand voneinander. Das Bühnenbild von Martina Segna ist sparsam, es suggeriert mehr, als dass es vorführt. Die Kostüme von Anna Sofie Tuma sind einer undefinierbaren Gegenwart nachempfunden, ohne jeden historisierenden oder katholischen Fummel.

Denn Claus Guth inszeniert die Geschichte als Wahnvorstellung einer jungen Frau, die im Kloster Schutz vor einer zersetzenden Lebensangst sucht, auch dort weiterhin von Angstvisionen verfolgt wird, vor realen Bedrohungen angesichts des Revolutionsgeschehens steht und schließlich in den Tod getrieben wird. Die Visionen werden in die Handlung integriert und ausagiert, wobei Nonnen und Geister manchmal nicht auseinanderzuhalten sind.

Es gibt eindrucksvolle Bilder, etwa wenn die verstorbene Priorin in einem gläsernen Sarg, der halb Märchenzubehör und halb Intensivmedizingerät ist, aufgebahrt wird, oder wenn die blau gekleideten Nonnen in einer zwischen Betritual und Breakdance wechselnden Choreografie die Novizin umtanzen, oder am Schluss, wenn diese ihre Geister in den Abgrund schubst und dann selbst zusammenbricht.

Aber vor allem ist diese Inszenierung ein musikalisches Ereignis. Die junge litauische Dirigentin Giedre Slekyte führt das Orchester mit sicherem Gespür für die symphonischen wie für die chansonartigen Arrangements. Die rumänische Sopranistin Florina Ilie, die zu Beginn der Saison vom Opernstudio in das Ensemble gewechselt ist, gibt eine ebenso lebensfrohe wie elegante Sœur Constance und die italienische Mezzosopranistin Elena Zilio als alte Priorin ist mit wallendem grauem Haar und klirrender Stimme eine beeindruckende Präsenz. Vor allem aber glänzt die schwedische Sopranistin Maria Bengtsson als Novizin Blanche und prägt stimmlich und schauspielerisch die ganze Aufführung.

Letzte Änderung: 26.07.2021

Maria Bengtsson (Blanche de la Force) | © Foto: Barbara Aumüller

Francis Poulenc: Dialogues des Carmélites

Premiere / Frankfurter Erstaufführung vom 4. Juli 2021

Oper in drei Akten
Text vom Komponisten nach Georges Bernanos
Bearbeitung für Kammerorchester von Takeshi Moriuchi
In französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Musikalische Leitung: Giedrė Šlekytė
Inszenierung: Claus Guth
Bühnenbild: Martina Segna
Kostüme: Anna Sofie Tuma
Choreografie: Ramses Sigl
Licht: Olaf Winter
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Oper Frankfurt

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