Die Essays zum Thema Völkerrecht und Globalisierrung erklären in mehreren Teilen die Bedeutung des Völkerrechts im historischen Kontext und beleuchten künftige Herausforderungen bei der Verteidigung von universellen Menschenrechten und bürgerlichen Freiheiten. Im dritten Teil gibt Michele Sciurba einen kurzen Abriss über die Geschichte der Globalisierung und blickt auf den grenzüberschreitenden Einfluss von Internet und Sozialen Medien auf politische Entwicklungen.
Die Geschichte der Globalisierung
Die nach Ende des Zweiten Weltkriegs entstandene liberal-demokratische wirtschaftliche und soziale Ordnung liefert keine ausreichenden Lösungen mehr, um heutige globale Krisen beherrschbar zu machen. Covid-19, internationaler Terrorismus, Finanz- und Flüchtlingskrisen, Klimawandel und andere neue globale Bedrohungen zeigen, dass die einst gängigen neoliberalen Antworten auf solche Krisen, nämlich die Vorteile zu privatisieren und die Kosten zu sozialisieren, nicht mehr greifen. Die derzeitige Pandemie verdeutlicht die Notwendigkeit wirtschaftlicher Strategien, die auf nachhaltigen Wachstumsmodellen basieren und eine gerechte Ressourcenverteilung vorsehen, um die Kluft zwischen armen und reichen Ländern zu verringern. Die gegenwärtigen globalen, existenzbedrohenden Krisen bewegen sich nicht nur in ihrer Art, sondern auch in ihrem Ausmaß außerhalb früherer Globalismus-Modelle. Dieser Essay folgt der Geschichte dieser Modelle seit Beginn der modernen Globalisierung, um zu zeigen, wie wir dorthin gelangt sind, wo wir heute stehen.
Die Geschichte der modernen Globalisierung beginnt etwa 1850–1914, als Kommunikationstechnologien wie der Telegraf Märkte weltweit miteinander verband, wodurch einheitliche Rohstoffpreise und Wechselkurse entstanden. Der Anfang des globalen Finanzmarktes und der globalen Waren- und Dienstleistungsströme löste immense Arbeitsmigration aus, insbesondere von Europa in die Vereinigten Staaten, infolgedessen viele Länder anfingen, Handelsprotektionismus zu betreiben, um ihre Volkswirtschaften vor dem Zustrom billigerer Waren aus dem Ausland zu schützen und Arbeitsmigration zu begrenzen. Zu diesen Maßnahmen gehörte die Erhebung von Zöllen, zum Beispiel auf Weizenimporte aus den USA und andere Produkte aus dem Ausland. Einwanderung und Wirtschaftsprotektionismus waren bereits in den 1920er Jahren Teil einer nationalen Antiglobalisierungsstrategie vieler Länder gewesen, beginnend in den Vereinigten Staaten, deren Beispiel viele andere entwickelte Länder folgten. Europäische Länder und die USA konkurrierten miteinander, um ausländische Märkte zu monopolisieren und Rohstoffe zu sichern. 1)
Die Große Depression
Die erste Kehrseite der Globalisierung und der wechselseitigen Abhängigkeit von Wirtschaft und globalen Finanzmärkten wurde 1929 mit dem Ausbruch der Großen Depression deutlich. 2) Damals beschränkte sich Globalisierung auf die Ausweitung des weltweiten Handels mit Waren und Kapitalmärkten durch die Verbesserung von Dampfschiffen, Eisenbahnen und Telegrafenleitungen in Übersee. 3) Der 1919 im Rahmen der Pariser Friedenskonferenz gegründete Völkerbund wurde in erster Linie gegründet, um den freien Welthandel zu entwickeln und Wohlstand und Wachstum zu fördern. Die Idee nach dem Ersten Weltkrieg, eine neue Weltordnung auf der Grundlage von Zusammenarbeit und Frieden zu schaffen, kam im Abschluss des Kellogg-Briand-Pakts zum Ausdruck, der die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln wie Angriffskriegen verbot. Der Einsatz von Giftgas als Massenvernichtungswaffe hatte immenses menschliches Leid verursacht. Die Weltwirtschaftskrise hat gezeigt, dass souveräne Staaten nicht in der Lage sind, globale Probleme allein zu lösen. Frankreich, Italien und Russland erhielten erhebliche Darlehen von England, um die Kosten des Ersten Weltkriegs zu tragen, und England hatte, um sich diese Darlehen leisten zu können, erhebliche Summen von den Vereinigten Staaten geliehen. Die Grundidee der Siegermächte bestand darin, dass diese Darlehen mit Reparationszahlungen aus Deutschland, die im Versailler Vertrag vereinbart wurden, zurückgezahlt werden würden. Darüber hinaus hatten die Vereinigten Staaten Deutschland erhebliche Darlehen zur Verfügung gestellt. Doch mit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse und der damit verbundenen Weltwirtschaftskrise brach dieser Wirtschaftskreislauf gegenseitiger Abhängigkeit vollständig zusammen. Die Krediteinziehung der Vereinigten Staaten verschärfte die Wirtschaftskrise in Europa dramatisch.
Der Aufstieg der Nationalsozialisten
Die Industrialisierung und Globalisierung der Wirtschaft vor dem Zweiten Weltkrieg nährte die Idee, dass kontinuierliches und progressives Wirtschaftswachstum zu Wohlstand und Demokratie führen würde. Tatsächlich war die Politik auf nationaler Ebene jedoch nicht in der Lage, die Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs abzufedern. Der Zusammenbruch der New Yorker Börse, gefolgt von Massenarbeitslosigkeit und Hyperinflation in den Vereinigten Staaten und Europa, führte zu einem massiven Rückgang der Industrieproduktion, des Welthandels und der internationalen Finanzströme. In einer Reihe von Ländern löste dies eine Rückkehr zu nationalistischer Politik und Antiinternationalismus aus. Die Nationalsozialisten nutzen das soziale Elend der Weltwirtschaftskrise in Nazi-Propaganda aus, um an die Macht zu gelangen. Der Vertrag von Versailles und die hohen deutschen Reparationszahlungen wurden als nationale Schande und als Hauptgrund für die extreme Verschlechterung der Lebensbedingungen in vielen Gebieten Deutschlands angesehen. Die von der SPD geführte Regierung scheiterte 1930 an einem Streit mit den Koalitionspartnern und Moderaten in der Partei über die Frage der weiteren Finanzierung der Arbeitslosenversicherung. 4)
Die Weltwirtschaftskrise ließ nicht nur das kapitalistische System scheitern, sondern untergrub auch die Idee, dass Kapitalismus und Demokratie im Gleichschritt voranschreiten. Da viele Europäer nach der Weltwirtschaftskrise den Glauben an Politik, Demokratie und eine kapitalistische Wirtschaftsordnung verloren hatten, schienen für diese kommunistische und faschistische Bewegungen in den frühen 1930er Jahren eine plausible Alternative zu den traditionellen politischen Parteien zu sein. Damals kehrten die meisten Länder zu einer protektionistischen und nationalistischen Politik zurück, anstatt auf internationaler Ebene zusammenzuarbeiten, um die Krise einzudämmen, was die Weltwirtschaftskrise von 1929 zu einem Hauptgrund für die Machtergreifung der Nationalsozialisten machte, die zum Zweiten Weltkrieg und zum Holocaust führte und die Globalisierung der Kapital- und Handelsströme beendete. Erst in den 1970er und 1980er Jahren erreichte die Globalisierung von Kapital- und Handelsströmen das Niveau der 1920er Jahre.
Internationale Kooperation
Nach dem Zweiten Weltkrieg richtete die internationale Gemeinschaft Institutionen ein, die grenzüberschreitende politische und wirtschaftliche Beziehungen fördern und regeln sollten. 5) Angetrieben von dem politischen Willen, Frieden zu sichern und ein System völkerrechtlich verbindlichen Rechts zu schaffen, wurden die Vereinten Nationen gegründet. Im Gegensatz zu ihrem Vorgänger, dem Völkerbund, verfügte die UNO über ein mehrstufiges Sanktionsregime, das künftige Kriege verhindern sollte. Gleichzeitig wurden 1944 unter der Führung der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreichs auf der Konferenz von Bretton Woods 6) der IWF und die Weltbank als internationales Handels-, Währungs- und Finanzsystem nach Völkerrecht gegründet. 7) Das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) wurde 1947 ins Leben gerufen und gipfelte in der Gründung der WTO, um die Weltwirtschaft zu liberalisieren, die soziale Ungleichheit zu verringern und künftige Krisen durch globale Zollsenkungen und Anti-Dumping-Abkommen zu verhindern. 8)
Der Zusammenbruch der Sowjetunion
So attraktiv die Idee der Sowjetunion, ein System sozialer Gleichheit auf Grundlage einer Planwirtschaft zu schaffen, abstrakt gesehen auch erschien, in Wirklichkeit erwies sie sich als ein gescheitertes System. Im Jahr 1989, nach dem Fall der Berliner Mauer, sah es so aus, als hätte der liberal-demokratische Kapitalismus gesiegt. Die Lehren aus den 1920er und 1930er Jahren waren jedoch in Vergessenheit geraten. Demokratie und Kapitalismus bewegten sich nicht im Gleichschritt miteinander. Tatsächlich wurden, wie Marx vorhergesagt hatte, die internationalen Widersprüche des zügellosen Kapitalismus durch die Dominanz von neoliberaler Politik immer deutlicher. Das Ergebnis waren aufeinanderfolgende Wellen von Deregulierung und Liberalisierung, insbesondere der Finanzmärkte, deren zunehmende Abhängigkeit zum Grund für die Asienkrise 1997, die großen Unternehmenszusammenbrüche Anfang 2000 und schließlich die globale Finanzkrise 2008 und das Entstehen „gescheiterter Staaten“ wurde.
Gesellschaft und nationale Politik beeinflussen sich gegenseitig durch die globale Verbreitung von Information und Kommunikation. 9) Globale Einflüsse bestehen jedoch auf einer anderen Ebene. In den 1990er Jahren markierten das Ende des Kalten Krieges und der Zusammenbruch der Sowjetunion den Beginn einer Weltordnungspolitik, die auf der Notwendigkeit eines größeren Systems international verbindlicher Regelungen beruht, um den neuen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Bedürfnissen gerecht zu werden, die sich aus komplexen und weitreichenden Interdependenzen zwischen den Staaten ergeben. Die globalen Ströme von Handel, Dienstleistungen und Daten sowie die großen Migrationsströme haben die internationale Zusammenarbeit zu einer zentralen Aufgabe der staatlichen Politik gemacht. 10)
Neoliberalismus und seine Folgen
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges hat sich das Modell der neoliberalen Wirtschaft in den meisten Teilen der Welt durchgesetzt. Die meisten westlichen Staaten glaubten, dass Privatisierung und Deregulierung in Verbindung mit dem Abbau von Handelsschranken, Zöllen und Subventionen weltweit zu Wirtschaftswachstum und Wohlstand führen könnten. Dieses System hat jedoch auch die Kluft zwischen den reichen und armen Nationen vergrößert. Das hauptsächlich von der WTO geprägte Welthandelssystem wurde zunehmend von der Trump-Administration angegriffen, die versucht hat, ihre „America First-Strategie” zum Nachteil von Entwicklungsländern und des multilateralen Handelssystems durchzusetzen. Durch die Auslagerung spezialisierter Zuliefer- und Dienstleistungsunternehmen können multinationale Konzerne eine zunehmende Zahl von Produktionsprozessen in Niedriglohnländer mit niedrigen Kosten verlagern, wodurch Wertschöpfungsketten komplexer, aber auch flexibler geworden sind. Für viele der am wenigsten entwickelten Länder ist diese Entwicklung verheerend, weil sie nicht am Welthandel teilnehmen können. Infolgedessen wirken die WTO-Regeln, so gut sie auch gemeint sein mögen, um den freien und fairen Handel zu fördern, zum Nachteil der ärmeren und zum Vorteil der reicheren Länder. Die eklatanten Diskrepanzen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern spiegeln sich in den Auswirkungen der zunehmenden Liberalisierung auf Umweltfragen und soziale Gerechtigkeit wider.
Die globale Vernetzung durch Internet und Soziale Medien
Heutzutage sind unzählige Informationen aus der ganzen Welt rund um die Uhr online verfügbar. Die großen Erwartungen, die mit der Schaffung des Internets einhergingen, nämlich dass der freie Informationsfluss rund um Inhalte, Gemeinschaft und Handel zu einer digitalen Version des liberal-demokratischen Kapitalismus führen würde, haben sich nicht erfüllt. Der utopische Traum einer Basisdemokratie auf der Grundlage des freien Informationsflusses, der Schaffung einer Gemeinschaft gleichgesinnter Bürger und dem kapitalistischen Gedanken, dass die besten Ideen siegen, hat sich nicht erfüllt. Das Internet und die Sozialen Medien sind zu einem Medium für „fake news“ und „alternative Fakten“ geworden und haben Verschwörungstheoretikern und rechten Demagogen ein öffentliches Forum gegeben. Der öffentliche Diskurs im Internet hat meist nicht zu einer Steigerung der Informationsqualität geführt, sondern in vielen Fällen zu Fehlinformationen und einer Verdummung öffentlicher Debatten. 11) Globalisierung in Verbindung mit Sozialen Medien hat rechtspopulistische Bewegungen in der westlichen Welt gestärkt. Die etablierten Parteiensysteme in Europa scheinen nicht in der Lage zu sein, diesen aufkommenden Neonationalismus zurückzudrängen. Die Wahl von Donald Trump in den Vereinigten Staaten trug zum Wiederaufleben eines Aufschwungs nativistischer Nationalismen in Europa bei. Trumps „America-First“-Politik hat seitdem die internationale Zusammenarbeit und Global Governance stark untergraben. Infolgedessen müssen sich Europa und die Welt heute mit immer stärker werdenden separatistischen und populistischen Bewegungen auseinandersetzen, deren einziges Ziel darin besteht, sich von der Welt in sozial homogene Enklaven auf der Grundlage regionaler oder nationalistischer Identitäten zurückzuziehen und in einer „Blase“ von Nachrichten und Informationen zu leben, die den eigenen politischen Idealen entspricht.
Fazit
Unsere Gesellschaft ist heute nicht nur kulturell divers, sondern auch in verschiedene interessengetriebene soziale Gruppen gespalten. Verklärte und irrationale Vorstellungen von der eigenen nationalen Identität werden zu einem politischen Instrument stilisiert, das sich diffus gegen Andersdenkende und die Globalisierung richtet. Die Idee der Wiedererlangung des souveränen Nationalstaates, der unabhängige Entscheidungen auf der Grundlage von Herkunft oder Staatsbürgerschaft trifft, beruht nicht nur auf einer anachronistischen Ideologie, sondern ignoriert auch die sozialen und kulturellen Lebensrealitäten der Menschen. Seit jeher haben die Kulturen zu ihrem gegenseitigen Nutzen und zu ihrer gegenseitigen Bereicherung miteinander interagiert. Aber es ist nicht nur ein Versagen, der Realität ins Auge zu sehen, sondern auch ein Versagen, die Natur des Problems zu erkennen, das das gegenwärtige Coronavirus so gefährlich macht. Die populistischen Nationalismen, die in Europa und den USA gerade wiederentstanden sind und Parallelen zu den politischen Mustern der 1930er Jahre aufweisen, sind nicht in der Lage, globale Herausforderungen zu bewältigen, da sie alle Probleme als lokal oder national betrachten.
1) P Hirst and G Thompson, ‚The Future of Globalisation‘ 37(3) Cooperation and Conflict 247, 248.
2) J Michie, Advanced Introduction to Globalisation (Edward Elgar 2017) 72.
3) N Crafts, ‚Globalisation and Economic Growth: A Historical Perspective‘ (2004) 27(1) World Economy 45, 45.
4) P Morgan, Fascism in Europe, 1919–1945 (Routledge 2003) 12–13.
5) I Take, ‚Weltgesellschaft und Globalisierung’ in S Schieder und W Spindler (Hrsg.), Theorien der Internationalen Beziehungen (Verlag Barbara Budrich 2010) 282–283.
6) M Beise, Die Welthandelsorganisation (WTO) Funktion, Status, Organisation (Nomos 2001) 37. Siehe [88]: „Unterzeichnung der Konvention von Bretton Woods am 22.7.1944, in Kraft getreten am 27.12.1945, Aufnahme der Geschäftstätigkeit am 25.6.1946 (Weltbank) bzw. 1.3.1947 (IWF).“
7) M Krajewski, Wirtschaftsvölkerrecht (3rd edn, CF Müller 2012) 231–232.
8) ibid 51.
9) I Take, ‚Weltgesellschaft und Globalisierung‘ (n 5) 297–298.
10) M Herz and AR Hoffmann, ‚Democracy Questions Informal Global Governance‘ (2019) 21(2) International Studies Review 244, 244–245.
11) N Gardels and N Berggruen, Renovating Democracy: Governing in the Age of Globalization and Digital Capitalism (University of California Press 2019) 2–3.
Letzte Änderung: 15.12.2021 | Erstellt am: 05.12.2021
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