Widersprüche in Zeiten des Krieges

Widersprüche in Zeiten des Krieges

Kontrapunkt

Der Glaube, das Richtige tun zu können, hat gerade aus Tauben Falken gemacht und aus Maulhelden fromme Pazifisten. Wir werden bedrängt von Anklagen derer, die es plötzlich schon vorher gewusst haben, von wohlfeilen Ratschlägen und irrationalen Selbstanklagen. Thomas Rothschild benennt die Widersprüche, die wir auszuhalten haben, weil wir sie nicht lösen können.

Klar sind wir gegen den Krieg. Und mehr oder weniger literarische Texte gegen den Krieg, in geschliffener Sprache oder leider oft auch bestenfalls in der phrasenhaften Rhetorik von Funktionären des guten Gewissens, haben eine schöne Tradition. Wer möchte sich da nicht einreihen. Es gibt einem ein angenehmes Gefühl. Freilich: Dichter haben noch keinen Krieg verhindert. Die edelsten Texte haben weder Hitler, noch den Zweiten Weltkrieg auch nur um einen Tag verzögert. Es gilt, was der Mathematiker und Liedermacher Tom Lehrer so unübertrefflich und schmerzhaft sarkastisch (was nicht, wie so oft, mit zynisch verwechselt werden sollte) formuliert hat: „Remember the war against Franco?/ That’s the kind where each of us belongs./ Though he may have won all the battles,/ We had all the good songs!“

„Gleichzeitig dürfen wir die kulturellen Brücken nach Russland auf keinen Fall abreißen lassen“, sagte der Intendant des Thalia Theaters Joachim Lux einen Tag nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine dem Hamburger Abendblatt. Und mir geht durch den Kopf, was es wohl bedeutet hätte, wenn der Intendant von, sagen wir, Covent Garden am 2. September 1939 diesen Satz ausgesprochen hätte, mit „Deutschland“ anstelle von „Russland“. Ich habe mich oft gefragt, wie der Alltag im Zweiten Weltkrieg ausgesehen hat, wenn man sich nicht gerade in der Nähe des Kriegsgeschehens befand. Wie konnte man über „Quax, der Bruchpilot“ lachen, während Brüder und Söhne an der Front fielen und Nachbarn in Konzentrationslager deportiert wurden? Jetzt weiß ich es: so. Man besucht das Kino oder das Theater, weil man begreift, dass sich nichts ändert, wenn man zu Hause bleibt. Ich weiß es und besuche das Theater, höre Musik, lese einen Roman. Es ist nur einer von vielen Widersprüchen, die ich zurzeit aushalten muss. Der schwierigste ist dieser: Ich weiß, dass man in der gegenwärtigen Situation alles vermeiden muss, was zu einer Ausweitung des Krieges führt. Aber ich weiß auch, dass es mich nicht gäbe, wenn die Engländer, die Russen, die Amerikaner und die Franzosen nach dem Überfall auf Polen und die Sowjetunion so gedacht hätten.

Die Politiker und Intendanten, die innerhalb von nur wenigen Tagen Künstler, die wie der Dirigent Valerij Gergiev mit Putin befreundet sind, ihn politisch mehrfach verteidigt und sich aktuell nicht von dessen „brutalem Angriffskrieg“ distanziert haben, fristlos entlassen oder deren Verträge gekündigt haben, halten sich nicht an die Forderung von Joachim Lux. Und man kann ihnen zugute halten, dass sie damit auf ihre Weise gegen den Krieg protestieren. Aber ihre weltweit kolportierten Taten sind nicht mehr als Symbolpolitik. Sie ändern nichts. Die Panzer rollen, ob Gergiev in Mailand oder New York dirigiert oder nicht. Und eins möchte man bei dieser Gelegenheit doch gerne wissen: Wie viele österreichische und deutsche Politiker und Orchester haben sich von Dirigenten getrennt, weil diese mit Hitler befreundet waren und sich nicht eindeutig und unmissverständlich von dessen brutalem Angriffskrieg distanziert haben? Der Mut von Königsthronen bewährt sich, wo es etwas kostet. Aber allein diese Frage scheinen viele Zeitgenossen für ungehörig zu halten.

Und doch: mir wird mulmig, wenn Kommentatoren mahnen, man dürfe die aktuelle Situation nicht schwarz-weiß sehen, man müsse auch die Gründe Putins würdigen. Sogar Hitler mag Gründe gehabt haben. Hätte man sie nach dem Überfall auf Polen berücksichtigen sollen? Es gab Politiker in England oder in den USA, die so dachten. Hatten sie recht? Es gab auch in Polen oder in der Sowjetunion Meinungen und Taten, die mehr als nur unsympathisch waren, wie es in der Ukraine Gruppen gibt, die extrem reaktionäre, ja faschistische Positionen vertreten. Aber rechtfertigt das „militärische Spezialoperationen“? Wo zieht man die Grenzen, wohin begibt man sich, wenn man das zulässt? Ist der Krieg wirklich nur, wie Clausewitz meinte, „eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“?
Und wiederum: so wenig es für mich in Zweifel steht, dass Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, so sehr ich wünschte, man könnte Putin an seiner Aggression hindern, so sehr graut mir vor dem Gedanken, dass Deutsche in Russland einmarschieren könnten. Man kann die Gegenwart nicht ohne die Geschichte denken. Nichts wäre fataler, als die Überlegung, Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion wäre durch Russlands gegenwärtige Politik auch nur im Ansatz gerechtfertigt. Dass diese Überlegung sich schneller, als wir ahnen, verbreiten könnte, ist nicht auszuschließen. Es wäre nicht die erste Überraschung, die wir in diesem Jahr erleben.

Letzte Änderung: 18.04.2022  |  Erstellt am: 18.04.2022

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Kommentare

Joachim Petrick schreibt
Das überkommene Narrativ von den USA als Befreier Europas vom Hitlerregime 1945 im Bündnis mit UdSSR, England, Frankreich wirft bei aller unbenommenen Anerkennung dieser historischen Leistung bisher unbeantwortete Frage auf, warum Hitlerregime solange Zeit zur ausgeweitetet radikalisiert außergesetzlichen Kriegsführung gelassen wurde bis hin zur Vollstreckung sog Endlösung der Judenfrage nach Wannsee Konferenz 11.1.1942, dabei deutschbesetzte Länder bis nach Nordafrika in französisch-koloniale Überseegebiete Vichy Regimes Angebote der Kollaboration zu unterbreiten an deren Justiz, Militär, Finanzenbehörden, Banken, Versicherungen, das die nicht ablehnen mochten durch administrativ logistisch organisatorische Beteiligung am Holocaust zynisch sog. Schutzmachtbesatzungskosten Deutscher Wehrmacht auf Basis letzter Berechnung vor Kriegsbeginn 50 % BIP jeden Landes zu finanzieren. Selbst das nicht am Krieg beteiligt katholische Franco Regime Spanien war dabei, jüdischen Teil seiner Bürger*nnen auszubürgern, staatenlos zu stellen, deren Vermögen entschädigungslos zu enteignen, deren Deportation nach Auschwitz zur Vernichtung durch Arbeit, Tod durch Gas einzuleiten, die deutsche Kriegswirtschaft am Laufen zu halten, statt Hitler Regime, das lt. Einlassung damaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht (1877-1970), Grauer Eminenz der Schattenfinanzierung deutscher Aufrüstung seit 1933 am Staatshaushalt vorbei, durch verdeckt von der Reichsbank garantiert begebene Handelswechsel im Volumen 12 Milliarden RM Laufzeit bis Fälligkeit November 1938 gezeichnet auf privatrechtlich unscheinbare Metallurgische Forschungsanstalt GmBH (MEFO-Wechsel), bereits Herbst 1938 vorm Staatsbankrott stand, in international konzertierter Koordination aus internationalem Zahlungsverkehrsystems mit damiligen Sitz in Basel/Suisse auzuschließen, wie es nach russischem Aggressionskriegsbeginn gegen Ukraine 24.2.2022 mit Ausschluss Russlands aus Swift Zahlungsverkehrssystem mit Sitz in Brüssel geschah, Druck auf Moskau auzuüben, den Krieg, angesichts drohend russischem Finanzkollaps zu beenden, russische Truppen, Kriegsgerät aus der Ukraine zurückzuziehen in Verhandlungen zum Minsker Abkommen Normandie Format 2015 zurückzukehren, nun erweitert durch Teitnahme Patronagestaaten USA, England, gemäß Budapester Abkommen 1994 zwischen Russland, Ukraine? Auch wenn sich Finanzkollaps in Russland 2022, entgegen Sanktionen, Ausschluss Russlands aus Swift Zahlungsverkehrssystem mit Sitz in Brüssel bisher noch nicht eingestellt hat, 1939 wäre die Durchschlagskraft einer solchen Sanktion gegenüber NS Reigme in ihrer Wirkung ungleich massiver und unmittelbarer gewesen, denn anders als Russland, mit Devisenreserven Depot an 700 Millliarden $, das zwar teilweise durch Sanktion deren Zentralbank Vermögen auf Eis gelegt ist, es folglich bis zur Wirkung dauert, war NS Deutschland 1939 zahlungsunfähig.

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