Performing In The Round

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Arcade Fire in Frankfurt
Arcade Fire | © Anton Corbijn

„Wenn ihr diesen Song nicht schnell abmischt, werde ich ihn euch klauen!“, soll David Bowie über „Reflektor“ gesagt haben. Daraus wurde dann ein gesanglicher Gastbeitrag des erklärten Arcade-Fire-Fans. Für das einzige Deutschland-Konzert ihrer Europa-Tour im April kam die kanadische Band nun in die Frankfurter Festhalle. Claudia Olbrych war bei dem Auftritt dabei.

Nach zwei Stunden mit 20 Songs endete das überwältigende Konzert von Arcade Fire in der Frankfurter Festhalle, und manch ein Fan hat sowohl getanzt als auch geweint. Arcade Fire scheint fast alles zu gelingen. Musikexperten üben sich fleißig darin, welche Musikgenres sich hier vereinen: Indie-Rock, Artrock, Folk, Einflüsse von Klassik, Elektronik, Postmodernismus und angeblich erst neuerdings Disco. Bei ihren Liedern handelt es sich um komplexe Hymnen, aus denen man problemlos zwei bis drei machen könnte, wenn man es hier nicht mit Arcade Fire zu tun hätte.

Angekündigt wurden sie mit einer Durchsage wie bei einem Boxkampf, gegen 20:45 Uhr stiegen Arcade Fire dann in den Ring. Auf den riesigen LED-Wänden über dem eigens aufgebauten Boxring, in dem sich ein Teil der Bühne auch drehte, konnte man den Einzug der Protagonisten des Abends beobachten, wie sie sich den Weg durch das Publikum bahnten.

Fulminante Inszenierung

Schon vor dem Konzert liefen einzelne Video- und Bildsequenzen über die Monitore, ganz im Stil der aktuellen Homepage der Band – auf der sich nach dem Anklicken viele verschiedene Fenster öffnen und den PC überlasten – und dann schnell in eine fulminante Inszenierung aus Licht- und Videoshow mündeten. Da die Band an allen Seiten von Zuschauern umgeben war, wurde auf den Projektionsflächen noch spektakulärer präsentiert, was auf der Bühne geschah, effektvoll verfremdet, schnell geschnitten und kunstvoll überblendet. Auch der Boxring wurde von Scheinwerfern an allen vier Ecken noch einmal visuell aufgenommen und schwebte über der eigentlichen Bühne, ebenso wie zwei riesige Diskokugeln.

Die zur Zeit aus sechs Musikern bestehende Band um das Ehepaar Win Butler und Régine Chassagne wird auf Tour stets von einigen weiteren Musikern unterstützt, wie beispielsweise der Geigerin Sarah Neufeld, so dass in Frankfurt teilweise bis zu neun Musiker im Ring standen und für die gewohnte Klangfülle sorgten. Bei der Zugabe gesellen sich noch die Bandmitglieder der Preservation Hall Jazz Band hinzu, die schon als Vorband zu hören waren und schon mehrfach mit Arcade Fire zusammengearbeitet haben.

Gespielt wurden Songs aus allen fünf Studioalben, als Auftakt der Titelsong „Everything Now” des aktuellen Albums. Erstaunlich ist immer wieder die anregende Mischung, die aus den unterschiedlichen Hintergründen der beiden Hauptakteure entsteht (ein Konzept, das schon bei den White Stripes anders, aber ebenso erfolgreich funktionierte), die im Verlauf des Konzerts auch gerne mal die Instrumente wechseln – neue Instrumente (oder Gegenstände) wurden in regelmäßigen Abständen zur Bühne durchgereicht. Hinzu kamen die vielen Momente, bei denen ein musikalischer Twist entsteht (auf „Black Wave/Bad Vibrations“ musste man leider vergeblich warten). Die Stimme Win Butlers, die sich oftmals überschlägt und klingt, als befinde er sich an der Schwelle zum Wahnsinn, stand im Mittelpunkt und überragte alles. Erstmals bei „Electric Blue“ übernahm Multi-Intrumentalistin Régine Chassagne den Lead-Gesang, deren oft aufreibende Stimme sich dann im Sound-experimentellen Konzept der Band wieder einfügt. Bei „Sprawl II“ tanzt sie im Glitzer-Top und bunten Bändern über die Bühne, einen Song später schon inmitten und mit dem Publikum. Verwunderlich, dass empörte Kritiker erst beim aktuellen Album Disko-Elemente entdeckten – vielleicht weil man sich bei dem zugrunde liegenden dritten Album „The Suburbs“ darauf geeinigt hatte, dass hier nun ein rauer Sound die Musik durchtränkt. Als ob man Musik nur hören, aber nicht dazu tanzen darf …

Die ganze Inszenierung ist eine logische und gelungene Weiterentwicklung des seit dem vierten Album „Reflektor“ in Gang gesetzten Promo-Konzepts. Dabei handelte es sich um das erste Doppelalbum, das zudem mit kommentarlosen Graffitis an Häuserwänden und kryptischen Hinweisen in den Sozialen Medien angekündigt wurde. Die Band absolvierte Geheim-Konzerte unter falschem Namen, bei dem die Besucher aufgefordert wurden, in bestimmtem Dresscode zu erscheinen. Die Bandmitglieder selbst präsentieren sich auf Pressefotos fortan in einheitlichem, stylischem Ganzkörperdesign, Anton Corbijn macht Fotos und Videos, und auch die berühmten Fans wollen mitmachen: David Bowie beispielsweise. Für besonders große Fans der Band gibt es aktuell auch ein original „Everything Now“-Lineal als Fanartikel zu erwerben… Naja.

Enttäuschende Akustik

Enttäuschend war einzig die Akustik und daher die Wahl der Location: Es mag einen Ort in der Halle geben, an dem der Sound gut ist – den konnte ich an diesem Abend leider nicht finden. Die historische Festhalle der Messe Frankfurt mit ihrer ca. 30 Meter hohen Glaskuppel ist schön anzusehen und optisch gut in Szene zu setzen, akustisch aber ein Desaster. Die wunderbare Stimme von Win Butler, die die Schönheit und den Schmerz der ganzen Welt auszudrücken vermag, war lediglich bei ruhigeren Stücken, wie „Sprawl (Flatland)“ und dem herzzerreißenden „My Body is a Cage“ richtig deutlich zu hören und ging bei den übrigen Liedern mit gewohnt klangstarken Hintergrundinstrumenten oft unter. Was bei Bob Dylan (leider auch bei Jack Johnson) in der von der Messe als „Grande Dame“ bezeichnete Multifunktionshalle vielleicht noch funktionierte, scheitert bei Bands wie Arcade Fire (leider auch bei Prince), und aus den Frequenz-Überlagerungen entsteht gerade an den besten Stellen ein diffuser Einheitsbrei. Sehr schade, doch trotzdem konnte Arcade Fire beweisen, dass sie zu den besten Livebands der Welt gehören.

Als letzte Zugabe wurde, wie so oft, das überwältigende „Wake Up“ gespielt und unter dem Gesang und durch die Reihen des Publikums verließen die Musiker die Bühne und schließlich die Halle, so wie sie gekommen waren.

Letzte Änderung: 25.08.2021  |  Erstellt am: 20.04.2018

Festhalle Frankfurt, 18. April 2018

Setlist

1. Everything Now
2. Rebellion (Lies)
3. Here Comes the Night Time
4. No Cars Go
5. Electric Blue
6. Put Your Money On Me
7. Sprawl (Flatland)
8. My Body is a Cage
9. We Used to Wait
10. Neighborhood #1 (Tunnels)
11. The Suburbs
12. Ready to Start
13. Sprawl II (Mountains Beyond Mountains)
14. Reflector
15. Afterlife
16. Creature Comfort
17. Neighborhood #3 (Power Out)

Zugabe

18. We Don’t Deserve Love
19. Everything Now (Continued)
20. Wake up

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