Défoncé

Défoncé

Kurzgeschichte
Bar | © Alexey Zakhlestin

In einem verschneiten, von Blitzeis überzogenen Berlin, das zur Gefahrenzone erklärt wurde, entfaltet sich eine Nacht voll ungezügelter Intensität. Zwischen dem flackernden Licht der Bars und dem knirschenden Eis unter den Füßen erleben zwei Menschen Momente, die sich in Trunkenheit und unbändiger Nähe verlieren. Im Zentrum steht eine Bar, ein Mikrokosmos aus Rauch, Musik und flüchtigen Verbindungen, der die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Rausch verwischen lässt. Ein sinnliches Porträt von Nächten, die im Rausch enden und der beglückenden Wärme des Vertrauten.

Als du dich in mein Zimmer schleichst, wache ich auf. Der Morgen dämmert und sein Licht legt sich wie ein Schleier über die Dunkelheit des Raumes. Meine Augen noch halb geschlossen, sehe ich dir zu, wie du den knarzenden Stellen des Bodens ausweichst, auf Zehenspitzen, sachte deine Kleidung ablegst, wie etwas Überflüssiges. Die Müllabfuhr rumpelt draußen und kurz ziehen sich orangefarbene Streifen durch das Zwielicht. Es ist ein Moment dumpfen, schläfrigen Glücks.

Davor war die Nacht gewesen, in der ganz Berlin, von Blitzeis überzogen, amtlich zur Gefahrenzone erklärt worden war und alle durch die Nacht schlitterten. Vereint durch die ungewohnte Bewegung des Rutschens und die erklärte Unbegehbarkeit der Stadt, wurde uns jede Kneipe zur Insel, auf die wir uns gerettet, zu der wir gerade noch hingetrieben waren.
Er kam spät, ich saß im Valentin mit Leuten, die ich kaum kannte, aber mochte, eine Frau mit einem Kinn, bei dem ich an Kirk Douglas denken musste, saß mir gegenüber. Ich habe vergessen, was sie macht, aber nicht, dass sie eine Tasche von Moshammer trug, außerdem erinnere ich mich an einen älteren Herren, der von seiner riesigen Vasensammlung erzählte, die er für eine Menge Geld in einem Container eingelagert hatte, und daran, dass der Tankwart neben mir über seinen Opel Kapitän sprach, der sehr viel Sprit brauche. Ich glaube, ich habe ein Alkoholproblem, erklärte er mir, aber vielleicht keine Lust, mich darum zu kümmern, und ich nickte und mochte ihn für diesen Satz und wir bestellten noch eine Runde. Der Raum war schon dabei auszuflocken, aber als der Mann kam, war es, als hätte jemand das Licht angeknipst, und als das Valentin uns um Mitternacht hinauswarf und die anderen sich anschickten, nach Hause zu gehen, war klar, für uns beide fängt die Nacht erst an. Hinterm Südstern bogen wir nach links ab und schlitterten zu zweit durch die glatten, glitzernden Straßen. Eingehakt trieben wir über das Eis, zwei besoffene Vögel auf der Suche, die meisten Läden waren schon zu und sogar die Nova Bar stellte schon die Stühle hoch, aber die Minibar hatte noch offen. Heute gibt es sie nicht mehr, aber eine Zeitlang war sie für uns dagewesen. Die Minibar hatte jeden Tag auf und keine Fenster, keine Farbe an den Wänden, aber ein rotes Tuch an der Wand, durch das von hinten Licht schimmerte, absolut minimal, keine Tische, keine Kinder, nur ein Tresen mit Barhockern und lauter Profis, die darauf saßen oder schaukelten. Wenn man nicht früh genug kam, musste man stehen, die Bar öffnete um acht und füllte sich ab zehn und erst, wenn es auf drei oder vier zu ging, leerte sie sich wieder ein bisschen. Ich weiß nicht, wann sie morgens zumachte, ich bin nie bis zum Ende geblieben, und heute wünsche ich manchmal, es wäre anders gewesen. In der Minibar war eigentlich immer eine gute Stimmung, die Atmosphäre dicht, und es war eher leise als laut, die Musik störte nie und der Whiskey Sour schmeckte genau richtig: süß und sauer und stark. Max stand hinterm Tresen, fast immer, wenn ich kam, er war damals schon nicht mehr ganz jung und hatte das fahle entspannte Gesicht von Leuten, deren Leben nachts stattfindet, weil es ihnen tagsüber zu hell ist. Max war immer allein hinter der Bar, egal, wie voll es war, und ich habe ihn nie gehetzt erlebt; beinahe ausdruckslos nahm er die Bestellungen auf und trank und wischte und kiffte und spülte und zog und rauchte und zapfte und mischte. Max war cool und manchmal ging ich nur hin, um Max dabei zuzusehen, wie er Max in der Minibar war. An anderen Abenden ging ich hin, weil ich hoffte, Lisa tauchte vielleicht auf. Lisa kam aus Graz, war charmant und schön und trank immer Achterl aus den Kognakgläsern, weil die Minibar keine Weingläser hatte. Ich habe immer gerne gewartet, zumindest wenn ich dabei rauchen konnte, und eigentlich hat es mir auch nie etwas ausgemacht, wenn niemand kam. Aber das war erst später.

In dieser Nacht rutschte ich mit dem Mann in die Minibar hinein und wir redeten die ganze Zeit und hörten nicht damit auf, als wir uns an den Tresen setzten und Whisky Sour bestellten und dann noch einen. Haksim war da und Gilli, der so schöne Tüten drehen konnte, wie sonst keiner, lang und fest und elegant, Kunstwerke zum Genießen, und irgendwann lief er auch in dieser Nacht mit einer Tüte um den Tresen und bot sie uns allen an. Aber ich hatte keine Augen für sie, in dieser Nacht war ich beschäftigt mit dem Mann und seinem Mund, der so gefräßig war, dass ich hineinfiel, und ich erinnere mich daran, dass ich mich darüber wunderte, dass es mich nicht ekelte vor seiner Gier. Gilli ging wieder mit einer Tüte herum und ich zog und alles verschwamm und wurde durchsichtig, ich hielt den Atem an, aber die Musik machte weiter, STERNHAGELSCHÖN stand auf der Toilette geschrieben und vollkommen hingerissen spielte ich mit dem Mann, um was, ich spielte um die Nacht, fuhr alles auf, was ich hatte, wozu, spielte für mich, was heißt das, spielte für uns alle, und obwohl es sich jedes Mal so anfühlt, habe ich noch nie mit dem Leben dafür bezahlt und ich trank noch einen Schnaps

da kamen           in wellen und

die wogen

etwas brach

schnappschusssplitter flogen herum

meine gedanken wirbelten

ellipsen

ich war so schön und alle

konnten es sehen

die lichter

die mein kleid an die wand warf

unzählig


alles
verdichtete sich
die zigaretten die worte zeichen und gläser

ich begann mich zu drehen
die lichter
die sätze

kreisten wie die tüten

in mir verzweigte sich was

bedeutung schattete sich ab

endlose verweise

völlig sinnlos

endlich frei

total défoncé

und sein mund war der einzige ausgang aus den korridoren der sätze

den ich fand.

Irgendwie habe ich es noch immer nach Hause geschafft und auch diesmal stand ich irgendwann vor der Haustür und fummelte den Schlüssel raus. Ich ließ das Licht im Flur aus und taumelte nach oben und schloss unsere Tür auf, aber du warst nicht da. Ich öffnete das Fenster für die Winterluft und ließ mich einfach auf die Matratze fallen und in die Decke und den Schlaf hinein, bis ich deinen Schlüssel in der Tür höre und dann deine leisen Schritte zu mir hin. Du schlüpfst zu mir unter die Decke, unsere Körper finden ineinander und es wird ganz warm. Die Welt wacht auf. Wir schlafen weiter.

Letzte Änderung: 28.11.2024  |  Erstellt am: 05.11.2024

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