Frühlingsgedanken

Frühlingsgedanken

Zum Nouruz-Fest
Nargess Eskandari-Grünberg vor dem Frühlingstisch „Haft Sin“ | © Stadt Frankfurt am Main , Foto: Holger Menzel

Am 20. März hatte die Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg zum Nouruz Neujahrs- und Frühlingsempfang der Stadt ins Palmengarten-Gesellschaftshaus eingeladen. Die Schauspielerin Barbara Englert machte sich folgende Gedanken über die Jahreszeit.

Der Frühling

Der Frühling kommt, jedes Jahr, es kümmert ihn nicht, was in der Welt passiert, es kümmert ihn nicht, dass Frauen von Männern ermordet werden, weil ihre Haare unter dem Kopftuch zu sehen sind, er trauert nicht um die vielen Frauen, die von Männern ermordet, vergewaltigt und misshandelt werden. Er kommt einfach und duftet und bringt die Farben zurück und auf unsere Gesichter ein Lächeln, obgleich wir doch weinen müssten über den Zustand der Welt.

Der Frühling hat kein Gewissen, er macht uns ein schlechtes, da wir nicht anders können, als unsere Mäntel offen zu tragen, das Gesicht in die Sonne zu halten und so etwas wie Glück zu spüren.

Er macht uns ein schlechtes Gewissen. Denn während unser Körper die starre Maske des Winters ablegt haben und die Leichtigkeit in uns eindringt, sterben die Menschen im Krieg, ertrinken Geflüchtete im Mittelmeer, kämpfen Frauen um Gleichberechtigung und ums Überleben.

Dem Frühling ist das total egal, er zaubert durch sein Licht auf die Zerstörung einen goldenen Glanz, er lässt Blumen im Bombenkrater wachsen, zwischen den Trümmern erscheint sein helles Grün.

Der Frühling ist einfach ignorant. 

Und während Menschen ihr Leben opfern für die Freiheit, gehen wir in Scharen auf die Straßen und in die Parks und fühlen uns befreit von der Kälte des Winters, genießen die Freiheit im Freien. Der Frühling ist Schuld, er zwingt uns zu lachen.

Der Kopf sieht die Ermordeten, die zerrissenen Leiber, die Zerstörung der Welt, aber unser Körper füllt sich mit Frühling, als ginge es ums Überleben.

Der Frühling ist so verlässlich schön, dass es schmerzt, seine Luft ist so weich, dass wir versinken.

Die Dunkelheit in uns und um uns passte zu dem, was wir fühlen, denken und erleben. Jetzt kommt mit dem Frühling das Licht, es passt nicht und doch ist es schön.

Verdammter Frühling, du hast keine Empathie, aber du pflanzt die Hoffnung.

Letzte Änderung: 29.03.2023  |  Erstellt am: 29.03.2023

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Kommentare

Barbara Wagner schreibt
Barbara Englert‘s Worte treffen perfekt meine eigene innere Zerrissenheit, dem Wunsch nach Frühling, verbunden mit wunderschönen Blüten, dem Geruch der erwachenden Natur, dem Lachen auf den Gesichtern der Menschen in den Straßencafés und in der Natur. Wie durch einen Schleier sehe ich die anderen Bilder von Krieg, Leid, vielfältige Verletzung der Menschenwürde, Vergewaltigung, Tod. Darf ich genießen mitten in den Dramen, die uns täglich begleiten und doch unsere Lebenswelt nur marginal berühren? Sie tun weh, die Kontakte mit Menschen die Angehörige und Freund*innen verloren haben und sich nur zu oft in unserem Umfeld falsch fühlen. Wir leben in einer Welt der Gleichzeitigkeit von Situationen, die nur schwer auszuhalten ist. Ich danke Dir, liebe Barbara, für diesen einfühlsamen Text und Deinem nicht endenden Bestreben den Menschen eine Stimme zu geben, die nur zu oft nicht gehört werden.

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