Er hat viele Talente in sich vereinigt, viele Existenzen gleichzeitig gelebt. E. T. A. Hoffmann wuchs in einem musikalischen Haushalt auf, komponierte, zeichnete, schrieb bis an sein Lebensende. Er trank mit dem Schauspieler Ludwig Devrient und setzte als Jurist gegen politische Interessen das Recht für Demagogen wie Friedrich Ludwig Jahn durch. Stefana Sabin skizziert Leben und Leistung des romantischen Künstlers, der vor 200 Jahren starb.
Er ist eine der berühmtesten Figuren der Opernbühne: Hoffmann, der Dichter, der in der Weinstube von seinen unglücklichen Liebschaften erzählt, sich dabei immer wieder in Träumereien verliert und sich schließlich ganz der Dichtung hingibt. Les contes d’Hoffmann – Hoffmanns Erzählungen heißt diese Oper von Jacques Offenbach, die 1881 in der Pariser Opéra Comique uraufgeführt wurde und seitdem eine der meistgespielten Opern des klassischen Repertoires ist. Für das Libretto griff Jules Barbier auf sein eigenes Stück zurück, in dem er mehrere Erzählungen von E.T.A.Hoffmann bearbeitete und den Erzähler zur Titel- und Hauptfigur machte.
Während die Opernfigur Hoffmann in der Kneipe erzählt, findet eine Aufführung von Mozarts Don Giovanni statt, bei der eine seiner Geliebten mitsingt – tatsächlich hegte der wirkliche Hoffmann eine große Bewunderung für Mozart und änderte deshalb seinen dritten Vornamen in Amadeus: Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann wurde zu E.T.A. Hoffmann.
Am 24. Januar 1776 in Königsberg geboren, wuchs er nach der frühen Trennung der Eltern bei seiner Mutter in deren Elternhaus auf, wo aber eine Tante und ein Onkel sich um ihn kümmerten. Zum Alltag des bürgerlichen Königsberger Haushalts gehörte das Musizieren ebenso wie Hauskonzerte, und die Gesellschaft, die sich dort versammelte, hielt der junge Hoffmann in Skizzen fest, die schon einen ironischen Strich erkennen ließen.
Aber die pädagogische Aufmerksamkeit des Onkels, der die Vaterrolle einnahm, galt vor allem der Musik. So war Hoffmann schon als Schulkind ein geschickter Pianist und Geiger und erhielt zuerst von dem melomanen Onkel Musikstunden, bevor er von dem Königsberger Domorganisten Podbielski in Harmonielehre unterrichtet wurde. Als Gymnasiast fing er zu komponieren an und spielte seinem Freund Theodor von Hippel, der sein Leben begleiten sollte, stets seine neuesten Stücke vor.
Dass er dann doch Jura studierte und eine Laufbahn als Beamter einschlug, hatte mehr mit seiner preußischen Erziehung und der Familientradition zu tun als mit seinen musischen Begabungen. Aber schon als Referendar am Obergericht gab er zur Aufbesserung seines bescheidenen Einkommens Musikunterricht und wurde abwechselnd von der „Romanschreiberei“ und der „Furie der Komposition in Musik“ gepackt, wie er einmal an Hippel schrieb. Für die Lieder, Motetten, Klavierstücke, Singspiele konnte er zwar keinen Verleger gewinnen – fast nichts ist von alledem erhalten, aber eine „Kantate zur Feier des neuen Jahrhunderts“ wurde bei den Feierlichkeiten zur Jahrhundertwende 1800 in Posen, wo er nach dem bestandenen dritten juristischen Examen als Gerichtsassessor stationiert war, aufgeführt.
Und auch das Zeichnen betrieb er unermüdlich weiter, und während er in der Musik eher der Wirklichkeit zu entfliehen versuchte, verarbeitete er diese Wirklichkeit in Skizzen und Karikaturen von böser Ironie. So waren es Karikaturen der gehobenen Posener Gesellschaft, die er spaßeshalber auf einem Karnevalsball verteilen ließ und die ihm eine Strafversetzung in die polnische Provinz einbrachten.
In Warschau, das nach der dritten Teilung Polens 1795 Preußen zugesprochen worden war und wo er als preußischer Regierungsrat 1804 bis 1806 amtierte, musizierte und komponierte er immer fort. Er gründete die Musikgesellschaft Harmonia und erreichte, dass einige seiner Kompositionen, ein Singspiel und eine Sinfonie, öffentlich aufgeführt wurden. Bei der Renovierung des Mniszech-Palasts, Sitz seiner Musikgesellschaft, schuf er großangelegte Wandgemälde, die er teilweise tatsächlich al fresco malte, d.h. daß er die zuvor in Wasser eingesumpften Pigmente direkt auf den frischen Kalkputz auftrug. Und bei der Einweihung dirigierte er das Orchester, für das er immer wieder Stücke geschrieben hatte.
Es war in der Warschauer Zeit, dass Hoffmanns vielfältige Begabung deutlich hervortrat. Er zeichnete, malte, komponierte, dichtete. „Die Wochentage bin ich Jurist“, schrieb er seinem Freund Hippel, „und höchstens etwas Musiker, Sonntags am Tage wird gezeichnet und Abends bin ich ein sehr witziger Autor bis in die späte Nacht.“
Als Hoffmann nach dem Einmarsch der napoleonischen Truppen Warschau verlassen mußte, beschloss er, sich nicht um eine weitere Dienststellung zu bemühen, sondern nur noch Künstler zu sein. In Bamberg versuchte er sich zuerst als Musikdirektor, fing an, auch Musikkritiken zu schreiben – und erfand dabei die Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler als literarisches Alter Ego. Kreisleriana, zwölf tragikomische Erzählungen, die zwischen 1810 und 1814 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung erschienen, machten den eigenwilligen Kapellmeister Kreisler zu einer Hauptfigur der literarischen Romantik – und durch Robert Schumanns Klavierzyklus gleichen Namens auch zu einer Gestalt der musikalischen Romantik!
Die Musik galt Hoffmann als begriffsunabhängige und damit reine Kunst. So versuchte er für das „unbestimmte Sehnen“ und die „unendliche Sehnsucht“, die die Musik für ihn ausdrückte, eine sprachliche Form zu finden, um das Musikerlebnis auch formal zu beschreiben. Die Wirkung der beschriebenen Aufführung zu rekonstruieren, und aus dem flüchtigen Erlebnis eines Abendkonzerts die wiederkehrende Erfahrung von Musik festzuhalten, war sein Ziel.
Die Mischung aus subjektiver Empfindung und objektiver Begründung, die seine musikkritischen Schriften prägte, prägte auch sein dichterisches Schaffen. In Erzählungen, Novellen und auch Romanen machte Hoffmann immer wieder den Künstler, den Maler oder Musiker, zum Protagonisten. Er stellte den Konflikt zwischen der Wirklichkeit der Welt und der Wirklichkeit der Kunst in den Mittelpunkt der Handlung und versuchte, das Kunsterlebnis in einer sprachlich angemessenen Form zu fassen: Es waren paradoxerweise die sprachlosen Künste – Musik und Malerei –, die er in sprachlichen Werken behandelte.
Hoffmanns Wechseln zwischen den Künsten wurde in Überschriften wie „Fantasiestücke“ oder „Nachtstücke“ für Erzählungsbände deutlich: Er spielte auf die gegenseitige Durchdringung der Künste an und machte musikalische bzw. malerische Gattungsbezeichnungen zu literarischen Genres. Mal- und musikspezifische Ansätze integrierte er in die Handlungsgewebe seiner Geschichten oder schuf – wie in den Stücken von In Callots Manier – durch sich wiederholende Brechungen und Spiegelungen ein kühnes intermediales Gegeneinander von Text und Bild.
Aber die Musik blieb Hoffmanns schöpferische Heimat bis zuletzt. Als er in Berlin wieder als Jurist tätig war, komponierte er Instrumental- und Vokalstücke. Er war ebenso musiktechnisch versiert wie musikalisch gebildet, und der Einfluss von Mozart, Gluck, Vivaldi, Cimarosa ist seinen Kompositionen anzuhören. Das aber war – und blieb – Hoffmanns kompositorische Schwäche: dass er die Meister höchst originell variierte, sich aber nicht völlig von ihnen zu befreien wusste. Er blieb konventionell in seiner Melodik und Harmonik und war oft inkonsequent in der Wahl der Tonart. In seinen „kunstvollen Arrangements“, wie er seine Kompositionen nannte, wirkten Reste der barocken Ars Inveniendi nach, aber die romantischen Anklänge waren unüberhörbar.
Von den frühen Jugendstücken über die Vertonung von Goethes Scherz, List und Rache von 1801 und die Lieder, Orchesterstücke und Singspiele der Bamberger Zeit bis zu der großen Oper Undine von 1816 haftet Hoffmanns Kompositionen eine etwas Seichtes an. Er schöpfte die pathetischen Möglichkeiten melodischer Äußerung aus und schreckte – wie auch in seinen erzählerischen Werken – vor keinem Klischee zurück, um Musik zur sinnlichen Erfahrung zu machen. Denn er wollte in der Musik eine andere, ästhetisch ebenso wie sinnlich vermittelte Wirklichkeit schaffen, die der Welt nicht nur gleichberechtigt sein, sondern sie umhüllen und die Wahrnehmung bestimmen sollte. War seine Musik klassisch, so war seine Musikästhetik romantisch.
Romantisch war auch der ästhetische Ansatz vieler seiner Erzählungen, wenn sie die Suche nach dem Ideal beschrieben und die Kunst als jenen sublimen Ort darstellten, wo die Sehnsucht erfüllt werden könne. In der ständigen Beschwörung des Sublimen und in der Mystifizierung der Kunst bewegen sich Hoffmanns Erzählungen – wie seine musikalischen Kompositionen – am Rande des Trivialen. Immer wieder griff er auf Neologismen zurück und insbesondere dort, wo es um das Erlebnis der Kunst ging, wirkte die Sprache metaphorisch überladen. Dem etwas formelhaften Stil entsprach eine gewisse Formelhaftigkeit in den Erzählmustern, die immer wieder um den Gegensatz zwischen der Realität und ihrer geistigen Vergegenwärtigung kreisten.
Seine Poetik gründete in der programmatischen Ablehnung der Nachahmung: die Kunst sollte nicht die Welt spiegeln, sondern eine andere Realität sein. Zwar wählte er sein Sujet aus dem Bereich des Banalen, aber indem er das Entsetzliche ins Alltägliche einbrechen ließ, führte er vor, wie verborgene Ängste an die Oberfläche des seelischen Geschehens gelangen und als unheimliche Kräfte die Wirklichkeit beherrschen können – darin ist Hoffmann ein stilistischer Verwandter der englischen Gothic-Literatur und ein Vorläufer des modernen Schauerromans. Nicht zufällig diente seine Erzählung Der Sandmann, eine prototypische Erzählung der sogenannten Schwarzen Romantik, in der immer wieder Ängste in die Wirklichkeit eindringen und jede Wahrnehmung ins Schwanken bringen, als Begründungs- und Beweismittel für Sigmund Freuds Studie Das Unheimliche. Freud zeigt, dass das Unheimliche „jene Art des Schreckhaften, welche auf das Altbekannte, Längstvertraute zurückgeht“, ist, und bezeichnet Hoffmann als „den unerreichten Meister des Unheimlichen in der Dichtung.“
Aber Hoffmanns narrative Strategie lag in einer Durchdringung der fiktionalen Ebenen: Das Alltägliche verknüpfte er mit dem Schaurigen, und indem er das Spukhafte in der vermeintlichen Gemütlichkeit bürgerlicher Idylle auftreten ließ, verwischte er die Grenze zwischen Realität und Fantasmagorie. Als „Gespenster-Hoffmann“ wird er in der Literaturgeschichte bezeichnet, und das Motiv des Doppelgängers, das er in zahlreichen Erzählungen variierte, ist ins klassische Repertoire der fantastischen Literatur eingegangen.
Und auch in seinen Zeichnungen verschränkte er Beobachtetes und Fantasiertes und spielte geschickt mit ikonischen Zeichen, die er ins Bild überführte. Er illustrierte die eigenen Erzählungen, schuf aber auch immer wieder karikaturhafte Skizzen und Selbstporträts. Allerdings blieben seine Zeichnungen „Gelegenheitskritzeleien“, wie er sie selbst bezeichnete.
War seine Dichtung romantisch auf dem Weg in die Moderne, so war seine Musik klassisch auf dem Weg zur Romantik. In der Musik schien ihm noch die Poetisierung, ja Idealisierung der Welt zu gelingen, während er die grundsätzliche Dissonanz zwischen der objektiven Realität und ihrer subjektiven Wahrnehmung diagnostizierte und zum Thema seines dichterischen Schaffens machte. Und es war diese Dissonanz, in der die Zerrissenheit seines Lebens begründet war. Denn während er sich die Anerkennung als Komponist wünschte, wurde er als Schriftsteller berühmt. Als er schwerkrank in Berlin am 25. Juni 1822 starb, hatte er zwar den Erfolg seiner Oper Undine erlebt, aber es waren längst seine Erzählungen und Romane, die seinen Ruhm ausmachten – und bis heute ausmachen.
Ausgewahlte Neuerscheinungen anlässlich des 200. Todestags:
Der goldene Topf. Illustriert von Alexander Pavlenko. Edition Faust.
Die Königsbraut und das fremde Kind. Nacherzählt von Sophie Reyer. Illustriert von Poul Dohle. Herder.
Der Sandmann. Durchgesehener Neusatz. LiWi Verlag.
E.T.A. Hoffmann: Zeichnungen und Karikaturen. Hg. Claudia Leibbrand. Reclam.
Bernd Hesse und Jörg Petzel: E.T.A. Hoffmann. Ein Lebensbild in Anekdoten. Eulenspiegel Verlag.
Letzte Änderung: 18.06.2022 | Erstellt am: 18.06.2022
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