All Those Strangers: The Art and Lives of James Baldwin

All Those Strangers: The Art and Lives of James Baldwin

Douglas Field über James Baldwins facettenreiches Leben
James Baldwin bei einer Pressekonferenz, 1974 | © Rob Croes / Anefo, CC0

Wer anlässlich des 100. Geburtstags von James Baldwin am 2. August 2024 weitreichende Einblicke in die Welt des in Harlem, New York, geborenen Schriftstellers erhalten möchte, für den ist die Biografie All Those Strangers: The Art and Lives of James Baldwin von Douglas Field die richtige Wahl. Michele Sciurba gedenkt dem 1987 verstorbenen Autor und Menschenrechtsaktivisten und dem literarischen Erbe, das Baldwin hinterlassen hat.

James Baldwin zählt zu den bedeutendsten Literaten des 20. Jahrhunderts. Am 11. Juli 2024 erscheint im C.H. Beck Verlag ein deutschsprachiges James-Baldwin-Porträt des renommierten Baldwin-Kenners René Aguigah mit dem Titel „James Baldwin: Der Zeuge“, womit es zum ersten Mal eine zeitgenössische umfassende Würdigung und Einordnung des Werks und der Person Baldwins im deutschsprachigen Raum geben wird.

Im Englischen liegt mit All Those Strangers: The Art and Lives of James Baldwin von Douglas Field (Oxford University Press) bereits eine lesenswerte Biografie vor, die sowohl Baldwin-Fans als auch Lesern, die sich für die Zeit interessieren, in der Baldwin lebte, eine tiefgehende Einsicht in dessen Leben und Werk bietet. Douglas Field, renommierter Literaturwissenschaftler und Professor an der University of Manchester, gelingt in der 2015 erschienenen Biografie eine aufschlussreiche Analyse dessen, was das Leben und Schaffen des afroamerikanischen Autors James Baldwin so einzigartig machte.

Als Experte für die Literatur des 20. Jahrhunderts und insbesondere für die afroamerikanische Literatur widmet sich Douglas Field Baldwins literarischem Erbe und seiner Rolle als einflussreicher gesellschaftlicher Kommentator. Dabei verwebt Field Biografie und Literaturanalyse zu einem stimmigen Gesamtbild und bietet wertvolle Einblicke in die kulturellen und gesellschaftlichen Strömungen, die Baldwins Arbeit prägten. Damit wird die zentrale Rolle des in Harlem, New York City geborenen Autors für die Literatur- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts besonders deutlich: eine Hommage an einen einzigartigen Autor.

All Those Strangers: The Art and Lives of James Baldwin erkundet Baldwins vielschichtige Identität und seine kulturellen Einflüsse und zeigt gleichzeitig, wie Baldwins schriftstellerische Arbeit von den 1940er bis in die 1980er Jahre politische und kulturelle Entwicklungen in den USA beeinflusste. Insbesondere beleuchtet wird die ästhetische Entwicklungsgeschichte Baldwins zu seinen Hauptthemen „Rasse“, Sexualität und Identität, wobei nicht nur auf seine Werke, sondern auch auf weniger bekannte Aspekte seines Lebens, seine komplexen persönlichen Beziehungen und seine oft konfliktreichen Interaktionen mit Persönlichkeiten aus Kultur und Politik seiner Generation eingeht.

Werdegang

James Baldwin gelang es im Laufe seines Lebens, sich als einflussreicher amerikanischer Schriftsteller und Aktivist durchzusetzen. Bekannt für seine profunden Analysen der „rassisch“ begründeten, sexuellen und sozialen Unterschiede in den Vereinigten Staaten, hatten seine Werke und sein öffentliches Leben großen Einfluss auf die Bürgerrechtsbewegung. Baldwins wohl bekanntestes Werk ist sein Debütroman „Go Tell It on the Mountain“ von 1953, ein teilweise autobiografischer Roman über das Leben in Harlem, sowie der Roman „Giovanni‘s Room“ (1956), in dem sich Baldwin mit Themen der Homosexualität und Isolation auseinandersetzt.

Neben diesen so wichtigen belletristischen Werken erschien 1963 sein Essay-Band „The Fire Next Time“, der die harte Realität rassistischer Erfahrung in Amerika und die daraus resultierenden Spannungen einer scharfsichtigen, persönlich engagierten, dennoch sachlichen Analyse unterzog. Baldwin setzte sich in seinen Schriften und Vorträgen für einen Wandel der politischen Lage der Schwarzen im Sinne der Gleichberechtigung und gegen die sozialen Ungerechtigkeiten und die rassistische Unterdrückung, die damals vorherrschte, ein. In einem offenen Brief an seinen Neffen bringt Baldwin diese gesellschaftlich erlebte Gefangenschaft wie folgt auf den Punkt:

Dieses unschuldige Land hat dich [sic!] in ein Ghetto quartiert, in dem Du, wenn es nach ihm gegangen wäre, hättest zugrunde gehen sollen. Was genau ich damit meine, will ich Dir erklären, denn hier liegt der Kern des Problems und die Wurzel meiner Auseinandersetzung mit diesem Land. Du wurdest geboren, wo Du geboren wurdest, mit Zukunftsaussichten, die Deine Aussichten waren, weil Du schwarz bist – aus keinem anderen Grund. Deinem Streben sollten für alle Zeit Grenzen gesetzt sein. Du bist in eine Gesellschaft hineingeboren, die Dir mit brutaler Offenheit und auf vielfältigste Weise zu verstehen gibt, dass Du ein wertloser Mensch bist. […] Deine Landsleute werden mir da nicht zustimmen, ich höre, wie Sie sagen: „Sie übertreiben.“ Sie kennen Harlem nicht, ich schon. Du auch.1

New York

James Baldwins Zeit in New York war sowohl für ihn persönlich als auch für seine schriftstellerische Entwicklung richtungsweisend. Geboren und aufgewachsen in Harlem, erlebte er die gnadenlose Härte des Lebens als Schwarzer in einer von Rassentrennung und ökonomischen Schwierigkeiten geprägten Gesellschaft. Diese frühen Erfahrungen bildeten die Grundlage insbesondere für seinen Debütroman „Go Tell It on the Mountain“, aber auch für spätere Werke.

In New York fand Baldwin auch zur Kirche und war als jugendlicher Prediger tätig. Diese Zeit beeinflusste sein Schreiben enorm, er setzte sich mit komplexen Themen wie Religion und Spiritualität auseinander und stellte seine Reflexionen der selbstgerechten, oft unreflektiert- alltäglichen Welt gegenüber und brachte so ihre Widersprüche gnadenlos ehrlich zum Vorschein.

In New York pflegte Baldwin intensiven intellektuellen und künstlerischen Austausch, er bewegte sich in Kreisen prominenter schwarzer Denker und Künstler und entwickelte sich in einer Gemeinschaft, die sowohl unterstützend als auch herausfordernd war. So unterstützte Baldwin die Black Panther Party mit seinen Schriften, während er gleichzeitig für Gewaltfreiheit eintrat. Dieses Spannungsverhältnis förderte sein entschiedenes Engagement für die Notwendigkeit des Dialogs, wenn es um die Überwindung sozialer Ungerechtigkeit geht, und definierte seine spätere Rolle in der Bürgerrechtsbewegung.

James Baldwin war kein Kommunist, doch waren seine politischen Überzeugungen und sein Aktivismus stark von sozialistischen bzw. später von sozialistisch-orientierten Bewegungen beeinflusst. In seiner Jugend war Baldwin in der Young People’s Socialist League aktiv, einer Organisation der Sozialistischen Partei Amerikas. Diese frühe politische Aktivität reflektierte seine eigene Erfahrung mit Armut und Ungleichheit in Harlem.

Obwohl Baldwin zeitweise den Kommunismus kritisierte, vor allem dessen mangelnde Auseinandersetzung mit dem Rassismus in Amerika während der Strategien der Volksfront, die von der Kommunistischen Internationale in den 1930er Jahren gefördert wurden, kehrte er in späteren Jahren zur Unterstützung einer bestimmten Form des Sozialismus zurück. Diese Rückkehr war stark von den radikalen Ansichten der Black Panther Party inspiriert, die Anti-Kapitalismus mit einem deutlichen Anti-Rassismus verbanden.

Baldwins kritische Ansichten zum Kommunismus und seine spätere Wiederannahme sozialistischer Ideale zeugen von einer komplexen Beziehung zu linken Ideologien, die sich über sein Leben hinweg entwickelten und veränderten. Seine politischen Ansichten waren stets eng verknüpft mit seinem Engagement für Bürgerrechte und gegen die Unterdrückung von Minderheiten.

Paris

In den 1940er Jahren zog James Baldwin nach Paris, um den rassistischen Repressionen der USA zu entkommen, die seine persönliche Entwicklung und künstlerische Ausdrucksfreiheit behinderten. In Paris entstand sein Roman „Giovanni´s Room“. Die Stadt erlebte er als eine innerliche und äußerliche Befreiung von den sexuellen, kulturellen und politischen Grenzen, denen er in den USA ausgesetzt war.

Es ist dies die Zeit, in der sich James Baldwin erstmals als Kosmopolit und „trans-atlantic commuter“ verstand. Von Paris aus unternahm er vermehrt Reisen durch Afrika, Europa, den Nahen Osten und Nordamerika, die er in diversen Essays über die Lebensbedingungen von Afrikanern in Paris verarbeitete. Sein Engagement für die Menschenrechtsbewegung zeigte sich unter anderem in seinem Schreiben über den ersten internationalen Kongress für schwarze Autoren und Künstler an der Sorbonne im Jahre 1956, beispielsweise in den Essays „Princes and Powers“ und „No Name in the Street“. Redner und Organisatoren des Kongresses waren unter anderem Richard Wright, Josephine Backer und Aimé Césaire.

McCarthy-Ära USA

Die späten 1940er bis in die 1960er Jahre standen unter dem Einfluss der McCarthy-Ära, einer Zeit, in der anti-kommunistische Stimmungen und Angst vor sowjetischer Infiltration die amerikanische Politik und Gesellschaft stark beeinflussten. Senator Joseph McCarthy war bekannt für seine aggressive Jagd auf mutmaßliche Kommunisten und Sympathisanten, insbesondere in der Regierung, im Unterhaltungssektor und in akademischen Kreisen, was für die Beschuldigten oft schwerwiegende berufliche und persönliche Konsequenzen zur Folge hatte. Viele Menschen verloren so ihre Jobs, wurden öffentlich diffamiert und zu Unrecht strafrechtlich verfolgt.

Die Verfolgung von Intellektuellen, Akademikern, Künstlern und politischen Aktivisten hatte weitreichende Auswirkungen auf das politische Klima in den Vereinigten Staaten und beeinflusste neben James Baldwin auch viele weitere Schriftsteller, die sich für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus einsetzten. Obwohl Baldwin selbst keine starke Bindung zur Kommunistischen Partei hatte, waren seine sozialistischen Überzeugungen und sein Eintreten für Bürgerrechte in dieser Zeit – insbesondere als Schwarzer – mit hohem persönlichen Risiko für sein Leben und Arbeiten verbunden.

Wie Douglas Field in seiner Biografie herausstreicht, machte die Veröffentlichung von „The Revolutionary Answer to the Negro Problem in the United States” (1948) Baldwin zu einem der führenden schwarzen Intellektuellen der Amerikanischen revolutionären sozialistischen Bewegung. Der mehrfach ausgezeichnete Autor, der auch Gedichte, Erzählungen und Theaterstücke hinterließ, verstarb am 1. Dezember 1987 in Frankreich an Speiseröhrenkrebs im Alter von 63 Jahren. Sein Erbe lebt in seinen Werken weiter, die weltweit für ihre Einsicht und ihre dringende Humanität gefeiert werden.

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1 J. Baldwin, Nach der Flut das Feuer (5. Aufl., dtv 2024) S. 28 f.

Letzte Änderung: 29.05.2024  |  Erstellt am: 29.05.2024

Cover - All Those Strangers | © Foto: Oxford University Press

Douglas Field All Those Strangers: The Art and Lives of James Baldwin

248 Seiten
9780199384150
Oxford University Press, 2015

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