Das Buch „Die Dreigroschenoper. Making Of. Barrie Kosky inszeniert Brecht / Weill am Berliner Ensemble“ gibt mit den Fotografien von Jörg Brüggemann sowie den Gesprächsprotokollen von Marion Brasch und Juri Steinburg einzigartige Einblicke in die Entstehung der Inszenierung und die Theaterarbeit vor, auf und hinter der Bühne. Walter H. Krämer bekam davon einen lebendigen Eindruck.
„Die Dreigroschenoper. Making Of. Barrie Kosky inszeniert Brecht/Weill am Berliner Ensemble"
Am 13. August 2021 hatte am Berliner Ensemble – dem Ort, an dem die Dreigroschenoper von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) unter der Mitarbeit von Elisabeth Hauptmann 1928 uraufgeführt wurde – eine Neuinszenierung in der Regie von Barrie Kosky und unter Musikalischer Leitung von Adam Benzwi Premiere.
„Ich habe keine Ahnung, was in den nächsten zwei Monaten passieren wird, aber ich freue mich darauf“ sagte Barrie Kosky auf der Konzeptionsprobe zu seiner Neuinszenierung der Dreigroschenoper in Zeiten der Pandemie, wo zwar geprobt, aber lange nicht aufgeführt werden durfte.
„Es ist ein großes Glück, in dieser Situation überhaupt arbeiten und proben zu dürfen. Und da wir getestet werden, dürfen wir uns sogar anfassen – das bereichert das Leben gerade ungemein. Abgesehen davon, dass es toll ist, sich mit diesem Werk (der Dreigroschenoper) zu beschäftigen.“ (Tilo Nest, der in der Inszenierung den Jonathan Jeremiah Peachum spielt).
Das hier vorgestellte und besprochen Buch gibt nun in Wort und Bild einen Eindruck von dieser Zeit und bietet Anschauungsmaterial genug, um sich – wenn man denn so will – auf einen Besuch der Aufführung im Berliner Ensemble vorbereiten und einstimmen kann.
Zwischen Mai 2020 und August 2021 begleitete der Fotograf Jörg Brüggemann den gesamten Probenprozess der Inszenierung am Berliner Ensemble mit seiner Kamera – von der ersten Bauprobe bis hin zur Premiere.
In der Tradition der Modellbücher von Bertolt Brecht folgt der Bildband in seinem Aufbau der Chronologie des Stückes, jedoch ist das Bühnengeschehen hier nicht aus der entfernten Perspektive des Zuschauerraums aufgenommen, wie in den Modellbüchern, die Brecht in den 1950er Jahren veröffentlichen ließ, sondern der Fotograf mischt sich unter die Beteiligten, nimmt teil am Produktionsprozess, um dicht an ihrer Arbeit, ihrem Ausprobieren und ihrer Spiellust zu sein.
Auch die Gespräche, die Marion Brasch und Juri Sternburg mit den Akteur*innen der Inszenierung – dem Regisseur Barrie Kosky, dem musikalischen Leiter Adam Benzwi, der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst, der Kostümbildnerin Dina Ehm, der Dramaturgin Sibylle Baschung, dem Inspizienten Frank Sellentin, der Souffleuse Christine Schönfeld, den Schauspieler*innen Tilo Nest, Constanze Becker, Nico Holonics, Cynthia Micas, Bettina Hoppe, Josefin Platt, Laura Balzer und Katrin Wehlisch – geführt haben, sind während der Proben entstanden – mitten aus der Arbeit heraus und als Gesprächsprotokolle im Band wiederzufinden. Auch hier spürt man die Unmittelbarkeit des Geschehens und die emotionale und intellektuelle Beteiligung aller Mitwirkenden am Probenprozess.
Die Idee, Theater in das Medium Buch zu übersetzen, stammt von Ruth Berlau – einer engen Mitarbeiterin von Brecht. Die Reihe Modellbücher sollte helfen, Brechts Spielweise des epischen Theaters zu veranschaulichen. Er bestand daher darauf, dass alle Aufnahmen während der Aufführung, also aus der Situation des Spiels heraus, entstanden. Dokumentiert wurde in den Modellbüchern jeweils die gesamte Aufführung – meist mit Blick auf die gesamte Bühne. Gelegentlich auch in Bildfolgen, die exemplarisch zeigten sollten, wie die Darsteller*innen den Gestus ihrer Rollen anlegten.
Der vorliegende Band bezieht sich in Format, Typographie und Erscheinung durchaus auf die Modellbücher von Brecht. In seiner Intention jedoch unterscheidet er sich wesentlich. Bei Jörg Brüggemann erhält der Probenprozess (diese Aufnahmen sind in Schwarz-Weiß gehalten) einen genau so großen Raum wie die fertige Aufführung (diese Bilder sind farbig gedruckt).
Ein Buch, das einen sehr lebendigen Eindruck von der Probenarbeit vermittelt – so beispielsweise durch rasch hintereinander „geschossene“ Bilder während einer Leseprobe, der Arbeit des Regisseurs mit Schauspieler*innen an einer Szene oder beim Besteigen des Bühnenbildes.
Bei Detailaufnahmen und oder Nahaufnahmen von Kostümen, Gesichtern, Requisiten bekommt man einen starken Eindruck von dem, was auf den Proben geschehen ist und später auf der Bühne geschehen wird.
„Was Brecht und Weill gemacht haben, ist genial. Aber man muss den Staub wegwischen und sehen, was da ist. Erstmal sind es nur Worte von Brecht und Musik von Weill, schwarze und weiße Punkte auf Papier, mehr nicht. Und sie brauchen unseren Atem, um ihnen, den Golems, Leben einzuhauchen. Das ist, was Theater ist, so einfach ist das.“ (Barrie Kosky im Gespräch mit Marion Brasch und Juri Sternburg) Und genau das vermitteln die Bilder und die Gesprächsprotokolle – dieses Ringen um eine neue Sicht auf das Stück. Die Lust und die Freude, sich selbst in seiner Rolle neu zu denken und zu erfinden.
Es lohnt, das Buch immer wieder zur Hand zu nehmen, sich in die Texte zu vertiefen und sich in den Bildern zu verlieren. Die Einzelteile immer wieder neu zusammen zu setzen und neu zu denken.
Eines vermittelt dieser Bildband jedoch nicht – die Musik! Und deshalb lohnt sich allemal auch ein Besuch der Aufführung: „Es ist nicht Medea, es ist nicht Hamlet, es ist nicht Warten auf Godot, wo jeder Satz stimmt. Warum ist dieses hochproblematische und widersprüchliche Stück weltweit so erfolgreich? Wegen der Musik!“ (Barrie Kosky)
Siehe auch „Dreigroschenoper“ in Berlin
Letzte Änderung: 08.02.2022 | Erstellt am: 08.02.2022
Marion Brasch, Juri Sternburg Die Dreigroschenoper. Making of
Barrie Kosky inszeniert Brecht/Weill am Berliner Ensemble
Fotos: Jörg Brüggemann
245 S., geb.
ISBN-13: 9783959054669
Spectormag/Spectorbooks, Leipzig 2021
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