Produktiv wildern

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Hendrik Jacksons Poetik als Poesie rein selbst
Hendrik Jackson  | © Poetikfestival Berlin

Es ist ein Kunststück, was Autorinnen und Autoren da leisten, eine paradoxe Disziplin: nämlich unter Vermeidung aller Ordnungs- und Sinngebungsmechanismen sich dem Bewusstseinsstrom zu überlassen, und zwar zum Mitschreiben. Der deutsche Schriftsteller, Dichter und Übersetzer Hendrik Jackson beherrscht dieses nichterzählende Schreiben, das kulturelle Bezüge reichlich mit sich zieht. Man nennt es Prosa. Alban Nikolai Herbst hat das poetische Geschenk begeistert.

Manches klingt nach Ernst Bloch „ein sich selbst im Bild genügen, unverfremdet, ohne Aufbruch“, anderes scheint Heidegger zu persiflieren, den es, „das übermäßige Aufricht der Pose”, ernst nimmt zugleich, indessen uns das „Tier der Schwere“ Nietzsches Huckauf auf die Schulter wuchtet – als uns ein benjaminscher Gedanke von Schlegel fast schon erlöst: „Je näher wir treten, desto größer die Entfernung“. Dem entspricht der aus, natürlicherweise, meiner Sicht stärkste, abschließende Teil dieses ungewöhnlichen Buches: „Poesie und Pastichen“, den – auf Rilkes in Französisch geschriebenem, dem Ehepaar Vuillez zugeeignetem _Paume_* – seinerseits acht hochvirtuose Gedicht-Pastiches beschließen, Verse, die, wie’s Jackson insgesamt gerne tut, mit dem bisweilen „erfüllten“ Reim spielen, vor allem aber ihn immer wieder erinnern, ohne ihn auszuführen. Es sind gleichsam angeschnibbelte Bälle, die wir verfehlen, indem man sie trifft:

o die beiden Betten o die Hände
abgetrieben in den Frost der Fremde …
während du dich mit Absinth erleichterst
Astern in das reine All einzeichnest

Schlegel, siehe oben, schrieb von „unendlicher Nähe“, wobei „unendlich“ die Entfernung meint und also Jackson „freie Pastichen, die mehr als jede – („texttreue“, ANH) – Übersetzung auf ihre Art dem Original zuzuschlagen sind‟, selbst wenn verfaßt von vorgeblich epigonalen „Scharlatanen der Perfektion“ oder gar „trunkenen Sklaven der Nachahmung“. Das Reiz- und Motorwort hier ist „trunken“ (wohlgemerkt ohne die Vorsilbe „be“).
Nachahmenstrunkenheit – welch vitalistisch-erotisches, zeugungsfähiges Bild!

„Wer Einfluß nicht fürchtet, hat, nach
Bloom, womöglich Kraft, ein Dichter zu
werden.”

Selbstverständlich geraten wir da gleich zu Anfang in die Metaphysik und bleiben auch drin, für die konsequenterweise der – aber randscharfe, nicht kitschige – Begriff der Inspiration wieder eine Rolle spielt; Jackson spricht von „Unter-Strom“ und „Ober-Strom“:

Die Intonation, halb bewußtlos angestimmt,
fast organisch, fast Gesang, nähert sich in-
tuitiv, von der Form getragen, etwas Unbe-
kanntem; die Form, die weiter trägt als das
Bewußtsein, stützt.

Daß jemand das s a g t ! Form trage weiter als das Bewußtsein! Ja, ja, ja und viermal Ja. Denn wenn dreizehn Seiten zuvor „Integralssuche“ erscheint, auf ersten Blick ein modisches Wort, erkennen wir beim zweiten, doch haben’s beim ersten schon gespürt, den Parsifal darin – so daß völlig konsequent auf der nächsten Seite nicht nur von „Auferzählung“ gesprochen wird, nein, sogar „am dritten Tag“ (der Grund, weshalb Christen den Sonntag heiligen – eben n i c h t , weil Gottvater da ruhte).
All das schwingt in Jacksons Poetik nicht nur mit, nein, es leitet und geleitet sie:

Was nie zu Augen kam, soll in unsere Her-
zen kommen, was nie eines Menschen Oh-
ren vernahmen (im Rauschen hinterm Rau-
schen). Und all das Ungemach, alle krän-
kende Ungerechtigkeit, wird vom kristalle-
nen Tauwasser überströmt –

das ich, pastichen meinerseits, Taufwasser nennen wollte, mit „f”, schon, weil wir im ersten Teil dieses erstaunlich kunstreligiösen, nichtprofanen Buches vielleicht nicht eine Kathedrale (und Basilika wohl auch nicht), doch eine postmodern romanische Kapelle betreten, die dem schmalen Umfang dieses Buches so gemäß ist wie seiner Tiefe und in der die modernen Kreuzritter, von denen Jackson streitbar spricht, deshalb ein Zusichkommen finden:

Der Kreuzzug zieht ins Weglose der
Poesie, in das Entstehen der Sprache, das
das Gedächtnis der Welt ermöglicht. (…)
Sein Ziel ist es, Ort und Zeit kreuzweise
durchzustreichen, und doch gibt es den
Punkt zwischen Himmel Erde Wasser und
Luft, wo sich die Linien schneiden. Die
Verortung besagt schon, daß sie verfehlt.
Die Poesie ist das fast schmerzlose, befreite
Äquivalent

– Aquavalent setzt er sogar hinzu! (womit wir erneut bei der Taufe wären):

Der Kreuzzug geht fehl und deshalb im-
mer weiter weg, es ist ein weiter Weg bis
Jerusalem, der nicht im Kreuzgang be-
schritten werden kann. Die Verortung ist
tragisch, doch unumgänglich. Sie allein
hält die Beweglichkeit offen im Wider-
spruch zur Wirklichkeit. Sie läßt Wirkung
zu und damit Wunden.

Mithin Amfortas wieder, per Parsifal also erneut im Pastiche. Jackson hält es in guter, virtuoser Sprachspiel-Balance, die nur sehr selten aus der Meditation in die Mission kippt und dann, zugegeben, auch mal ein bißchen predigt:

Lichtfäden, die auf einen (göttlichen) Kri-
stall treffen und in alle vier Richtungen
(und mehr) sich fortbewegen. Wir selbst
sind dieses Licht, wo wir uns auch immer
nur selbst beleuchten und dort, wo Helle
ist, immer schon sind. Das ist der Moment,
da wir uns im Inneren des Kristalls befin-
den.

Nur daß dies halt auch Beschwörung ist: Veni creator spiritus. Weil er, Jackson, das weiß und um sich rückzuerden, muß er zuweilen nach Kalau:

(…) nicht mal fürs monetäre wär er jetzt noch hetäre.

Wir sollen das – versucht er, uns zu verführen, doch als ein Vergil poetischer Himmelspaläste – zusammen-, nicht -denken, nein, – s p ü r e n — wir, die wir mit ihm „vor rilkescher Einsamkeit doppelt sehen“ und also den Doppelsinn erkennen, ironisch zugleich wie wahrhaftig, und zwar egal, ob wir die Glaubensinhalte teilen. Genau nämlich das erlaubt ihm, Jackson, sogar die Wiederbelebung ins Vergessen fast schon gesunkener Wörter, hier etwa „ziemlich“:

Ich hätte gern etwas klarer gesprochen,
aber das ist nicht ziemlich.

Was, es z i e m e sich nicht, meint: schon gar nicht vor dem gehobenen Schleier zu Sais. Er hat, so scheint’s, hindurchgelugt und muß beredt das Schweigen — w a h r e n.
 
 
 
 
*in Rainer Maria Rilkes Vergers (1926)

Letzte Änderung: 23.06.2023  |  Erstellt am: 23.06.2023

Im Innern der zerbrechenden Schale | © Poetikfestival Berlin

Hendrik Jackson Im Innern der zerbrechenden Schale

Poetik und Pastichen
148 S., brosch.
mit Grafiken auf Vor- und Nachsatz von Andreas Töpfer
ISBN 978-3-937445-24-3
Kookbooks, Berlin 2007

Hier bestellen
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