Gedichtnis

Gedichtnis

Arne Rautenbergs „sekundenfrühling“

Mit dem neuen Gedichtband „sekundenfrühling“ bestätigt der Kieler Lyriker Arne Rautenberg seinen Platz in der gegenwärtigen deutschen Literatur. Stefana Sabin hat die Gedichte gelesen.

Seit der Auszeichnung mit dem Christine-Lavant-Preis 2001 für seinen „hohen ästhetischen Anspruch mit humaner Haltung und gesellschaftskritischem Blick“, so die Begründung der Jury, ist Arne Rautenberg als Lyriker bekannt. 1967 in Kiel geboren, hat er ebendort Kunst, Literatur und Volkskunde studiert und veröffentlicht seit Ende der neunziger Jahre Gedichte. Arbeitsstipendien und Poetikdozenturen in Deutschland und Österreich, außerdem Lyrikbände für Kinder und Jugendliche (und entsprechende Preise!) haben ihn als einen der erfolgreichsten Lyriker deutscher Sprache etabliert. Er wandert zwischen Lyrik und bildender Kunst hin und her, läßt Collagen und Wortinstallationen sich auf bemerkenswerte Weise ergänzen und bleibt dennoch konkret. „Konkrete Poesie“, so Durs Grünbein im Nachwort zu Rautenbergs neuem Gedichtband, ist eine „leichtfertige Zuordnung“, denn „bei aller sachlichen Anmutung geht es doch nie besonders sachlich zu in Rautenbergs Gedichten.“

Tatsächlich haben schon die Titel von Rautenbergs Gedichtbänden eine sachliche Anmutung und sind zugleich eigenwillig unsachlich, nämlich von einer besonderen lyrischen Dichte: „betrunkene wälder“ (2021), „mundfauler staub“ (2013), „seltene erden“ (2014) und nun, gerade erschienen: „sekundenfrühling“. Diese Wortbildungen wirken hermetisch, sie fordern geradezu eine Deutung heraus und haben einen breiten Suggestionshof. Und sie weisen darauf hin, dass der Lyriker, der sich diese Titel ausdenkt, ein Wort-Spieler ist, der die Möglichkeiten der Sprache ernstnimmt und auszuschöpfen versucht.

„der fahle sonnenschein / zieht lau in loden ein im schattenreich“ – heißt es im titelgebenden Gedicht „sekundenfrühling“. Darin entsprechen dem wechselhaften Frühlingswetter Regen, Sonnenschein, Schnee, Blüten kleine Stimmungsschwankungen. Aber während die Wetterbeschreibungen Fragen sind („verlassen schlägt die see?“, „die ewige nässe?“), werden die Stimmungen im Imperativ abgehandelt („vermiss sie“, „ja diss sie“).

Es sind welt- und selbstreflexive Sequenzen, die Rautenberg in seinen Gedichten gestaltet: in konsequenter Kleinschreibung, oft ohne Satzzeichen, mal gereimt und mal graphisch auf der Seite geordnet und stets mit einem sehr besonderen Rhythmus, so dass man inzwischen von einem Rautenberg-Sound sprechen kann.

Einen Wortausdruckskünstler nennt ihn Grünbein und preist seine sprachliche Schöpferkraft und seine uneitlen Übernahmen aus bildnerischen oder dichterischen Werken. Was dabei Rautenberg auszeichnet, ist eine immer durchscheinende Selbstironie. „zwischen unverlangt eingesandt / und unbegrenzt gültig / werkt ein gedichtnis.“

Letzte Änderung: 05.09.2023  |  Erstellt am: 05.09.2023

sekundenfrühling

Arne Rautenberg sekundenfrühling

Gedichte
Mit einem Nachwort von Durs Grünbein und einem Autorenfoto von Dirk Skiba
93 S., geb.
ISBN-13: 9783884236994
Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2023

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Kommentare

Martin Lüdke schreibt
Klingt gut. Interessant. Weitersagen!

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