Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil

Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil

Peter Kambers Biografie über Alfred und Fritz Rotter

Der Vater war schon an der Gründung des Deutschen Schauspielhauses finanziell beteiligt. Die Söhne Alfred und Fritz Schaie, die sich Rotter nannten, erwarben in Berlin nach und nach neun Spielstätten, in denen vor allem Revuen, Operetten und Boulevardtheater angeboten wurden. Die Brüder Rotter, deren Finanzgebaren nicht zu rechtfertigen war, wurden zu den Regisseuren der Goldenen Zwanziger. Peter Kamber hat eine ausführliche Biografie der Brüder geschrieben. Walter H. Krämer hat sie studiert.

Dem Autor Peter Kamber gebührt Dank, dass er zwei zu Unrecht vergessene Brüder – Alfred und Fritz Rotter – wieder in den öffentlichen Blick rückt. Sein materialreiches Buch macht deutlich, wie und in welchem Umfang die beiden Brüder im Berlin der Weimarer Republik als Theaterdirektoren das kulturelle Leben der Metropole mit gestalteten und prägten. Die vorliegende Biografie über Fritz und Alfred Rotter ist das Ergebnis jahrelanger gründlicher Recherche des Autors.

Zwei Brüder entscheiden sich, zum Theater zu gehen, werden Autoren, Dramaturgen, Regisseure – und schließlich die dominierenden Theaterdirektoren Berlins: „Die kleinere, dickere Hälfte heißt Fritz, die andere Alfred. Beide zusammengelegt, ergeben ein Leib und eine Seele.“ Fritz und Alfred Rotter bauten ein umfangreiches Netz an Bühnen auf, die sich auf Unterhaltungskomödien und Operetten spezialisieren. Im Frühjahr 1932 gehörten neun bespielte Theater in Berlin und Dresden den Rotter Brüdern, darunter große Bühnen wie das Metropoltheater, das (im Krieg zerstörte) Lessingtheater und das Große Schauspielhaus. Ein Imperium, das sie sich von Null und gegen erhebliche Widerstände aufbauen mussten. Und in der Tat verbündeten sich Theaterkritik, Gewerkschaften und Bühnengenossenschaft gegen die Rotters und sahen „deutsche Theaterkunst dem rein profitmäßig eingestellten Managertum ausgeliefert“.

Ihre Theaterhäuser sind voll. Nicht zuletzt deshalb, weil „sie dem Publikum das bieten, was es haben will.“ Mit einem untrüglichen Gespür für das, was das Publikum in der Breite interessierte. Und sie sorgten mit ihren Auftragsarbeiten, eigenen Inszenierungen, Uraufführungen und Premieren mit dafür, dass Operetten in großer Zahl überhaupt entstanden. Nicht alle gelingen – aber es sind auch Werke darunter, die die Grenzen des Genres erweiterten und mit emanzipierten Frauenfiguren, Tempo und Witz den Geist der Zeit aufnahmen und zugleich prägten. So beispielsweise, wenn sich hinter dem berühmten Komponisten in „Ball im Savoy” eine ziemlich selbstbewusste Frau verbirgt und dazu Jazzrhythmen in die Walzerseligkeit brechen.

Zu den Premieren mit Stars wie Richard Tauber, Fritzi Massary und Gitta Alpár war ganz Berlin auf den Beinen – zumindest die, die laufen und es sich leisten konnten.

Auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs – u.a. mit den Operetten „Ball im Savoy“ und „Eine Frau, die weiß was sie will“, bricht ihr Imperium zusammen – auch aufgrund von Börsenspekulationen und ungenauer Buchführung. Mit dem Erstarken der Nazis war es endgültig an sein Ende gekommen und mit ihm auch die Weimarer Republik mit ihren demokratischen Errungenschaften und freiheitlichen Ideen.

Kurz danach verunglückt der eine Bruder tödlich. Der andere stirbt verarmt in einem französischen Gefängnis.
Peter Kamber hat für das Buch „Fritz und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil” äußerst genau recherchiert und fährt viele Details (fast eintausend zitierte Dokumente!) auf – manchmal sind es allerdings einfach zu viele, sodass ein Überfliegen einzelner Seiten angebracht scheint, ohne dass man dadurch den Zusammenhang verliert.
Das Buch ist aufwendig gestaltet, mit 74 Schwarz-Weiß-Fotos ausgestattet und einem Umschlag, der zwei Revuegirls im Federkleid mit Federboa auf einer Treppe zeigt – man ahnt gleich, worum es auch geht.

Das Buch hat 504 Seiten – inklusive Quellenangaben, Anmerkungen, einem alphabetisch geordneten Register (Personen, Orte, Theater sowie ausgewählte Begriffe) und Bildnachweisen. Und die Lebens- und Theatergeschichte wird erzählt als – und das verstehe ich als eine charmante Hommage an das Theater und die Bedeutung der beiden Brüder für diese Kunstgattung – ein Drama in fünf Akten mit Vor- und Nachspiel.
Peter Kamber leuchtet die Rotter-Bühnen bis in die letzten Winkel aus und stellt fest: die beiden Rotter Brüder waren die größten ihres Metiers, hatten einflussreiche Feinde, denen ihre kreative bis kriminelle Buchhaltung ein Dorn im Auge war, und die ein Berlin schufen, das über alle Grenzen hinweg Weltruhm erlangte.

Das Buch erscheint zu einer Zeit (2020 im Henschel Verlag), da Komponisten wie Paul Abraham, Mischa Spoliansky und Oscar Straus wiederentdeckt werden. Vor allem dank Barrie Kosky, der an der Komischen Oper (dem einstigen Metropol) die besten Werke all jener jüdischen Komponisten, Librettisten und Stars wiederentdeckt, die einst auch für die Rotters arbeiteten, später von den Nazis vertrieben oder ermordet, totgeschwiegen und auch nach 1945 über Jahrzehnte vergessen waren.
Die 20er Jahre erscheinen als nicht enden wollende Party mit Perlenketten und feinem Zwirn. Doch der Autor Peter Kamber spart auch die Schattenseiten der Metropole nicht aus: „Wenn man an die Zeit der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg zurückdenkt, so kann man sie nur mit einem höllischen Spuk vergleichen. Alles fiel auseinander, was einmal Gültigkeit besaß. An jeder Ecke standen die Opfer des verlorenen Krieges. (…) Bettelnd standen diese Menschen an den Ausgängen der Bars und Tanzdielen, die wie giftige Pilze aus dem Boden schossen. Alles wurde kürzer, die Haare, die Kleider, die Liebe, der Schlaf! Das Leben spielte sich ab, wenn es dunkel wurde. Der bunte Flittermantel der Nacht deckte die grausamen Blößen des Tages zu“.
In den Zwanzigerjahren waren Fritz und Alfred Rotter von Breslau bis Hannover die Könige der leichten Unterhaltung. Die Wirtschaftskrise konnte ihnen kaum etwas anhaben, doch die Nazis beendeten ihre Erfolgsserie und brachten sie buchstäblich zur Strecke.

Die Schlusskapitel ihres Lebens und dieser Biographie führen in die Schweiz, nach Liechtenstein – und in Abgründe. Peter Kamper schildert die dramatischen Umstände, unter denen Fritz und Alfred Rotter von vier Liechtensteinern und zwei Deutschen am 5. April 1933 entführt werden sollten. Alfred Rotter und seine Frau können zwar fliehen, stürzen aber auf dem verschneiten Weg von Gaflei ins Tal über einen Felsen und erleiden tödliche Verletzungen. Fritz, als homosexueller Transvestit besonders gefährdet, entkommt. Er flüchtet nach Frankreich, gerät dort bald in Geldnot, wird im Juli 1939 wegen Scheckbetrugs verhaftet und stirbt bald darauf in einem Gefängnis in Colmar.

Die anschließenden Prozesse in Liechtenstein gegen die Täter werden anhand von Prozess- und Verhörakten wieder greifbar, und der Autor beschreibt anhand von Zeitzeugenberichten und Dokumenten, wann genau und wie Fritz Rotter 1939 in Frankreich tragisch ums Leben kam.

Ein quellenreiches Buch, mit vielen Details in Bezug auf Leben und Werk der beiden Brüder und darüber hinaus auch ein eindrucksvoller und stimmungsvoller Blick zurück in ein Stück Zeit- und Theatergeschichte und einmal mehr ein Buch gegen das Vergessen.

Letzte Änderung: 07.12.2021  |  Erstellt am: 07.12.2021

Liebe Weltbühne!

Auf der Durchreise durch Hamburg ließ ich mich wieder im Atlantic von dessen Barbier rasieren, dem einzigen, mit dem ich mich, da er Figaro ähnelt, zu unterhalten pflege: Diesmal erzählte er: „Neulich war einer von den Gebrüdern Rotter hier. Ich fragte ihn, weshalb seine Theater, die sicherlich – sagte ich wegen des Trinkgelds – die schätzenswertesten Leistungen böten, in den berliner Zeitungen gar so schlecht behandelt würden. ‚Ja, sehen Sie’, erwiderte er, ‚diese kapitalistische Presse kann und kann uns nun einmal nicht verzeihen, daß wir Kommunisten sind.’“

Aus: Die Weltbühne vom 15. September 1921

Fritz und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil

Peter Kamber Fritz und Alfred Rotter. Ein Leben zwischen Theaterglanz und Tod im Exil

Henschel Verlag, Leipzig, 2020
Gebunden, 504 Seiten

Hier bestellen
divider

Kommentare

Es wurde noch kein Kommentar eingetragen.

Kommentar eintragen