Die Verschwörerin

Die Verschwörerin

Ein Bildband der Theaterfotografin Ruth Walz
Szene aus „Only the Sound Remains

Schauspieler, Theaterkritiker und Regisseure sind Zeugen der intensiven Arbeit, mit der die Theaterfotografin Ruth Walz den berühmt gewordenen Inszenierungen geradezu mit realisiert hat. Nun ist ein opulenter Bildband der Künstlerin mit Texten von Klaus Bertisch, Wilfried Dickhoff, Jens Harzer, Niklas Maak, Manuela Reichart und Gerhard Stadelmaier erschienen, den Walter H. Krämer bewundernd empfiehlt.

„Ruth Walz. Theater im Sucher“, ein im Verlag Hatje Cantz erschienener Bildband, ist eine wahre Augenweide. Nicht zuletzt auch wegen der meist sehr großformatigen Bilder und – das muss gleich zu Anfang gesagt werden – es ist der schönste Band mit Theaterfotografien, den ich jemals in Händen gehalten habe.
Das liegt einmal an den herausragenden Inszenierungen, die die Fotografin Ruth Walz mit ihrer Kamera begleiten konnte (die 70er Jahre waren bedeutende Jahre am Theater mit wegweisenden Inszenierungen und Regisseuren), ihrer Tätigkeit an der Berliner Schaubühne in den 1970er- und 80er-Jahren (sie war dort über Jahre fest angestellt – etwas, was sich heutige Theater gar nicht mehr leisten wollen) und ihre langjährige Zusammenarbeit mit (u.a.) den Regisseuren Peter Stein, Klaus Michael Grüber, Luc Bondy, Peter Sellars, Pierre Audi und Robert Wilson.
Der Band versammelt Theaterfotografien von Ruth Walz aus den letzten 50 Jahren. Für die Schaubühne Berlin hat Walz von 1976 bis 1990 legendäre Inszenierungen unter anderem von Peter Stein, Luc Bondy oder Robert Wilson meisterhaft dokumentiert und viele weitere herausragende Aufführungen der jüngeren europäischen Theater- und der Operngeschichte als Fotografin begleitet.

„1980 inszenierte Peter Stein Aischylos‘ Orestie an der Schaubühne am Halleschen Ufer. Die Mitarbeit an dieser Produktion hat meinen Begriff von Theaterfotografie entscheidend geprägt und erweitert. Für mich war es immer besonders wichtig, bei einer Inszenierung keine fremde Instanz zu sein, die nur ein Ergebnis festhält, sondern als teilnehmende Beobachterin den Entstehungsprozess von Beginn an mitzuverfolgen und auch mitzugestalten.“ (Ruth Walz in einem Beitrag zum Bildband)

Ruth Walz war diskret und zurückhaltend, doch jederzeit aufmerksam, um Zeugnis zu geben, was da gerade entsteht und einstmals gewesen sein wird.
So hat sie auch die Gastspiele beispielsweise der „Orestie“ in Peter Steins Version von 1980 über viele Länder und Kontinente hinweg verfolgt. Oder Schauspieler, Bühnenkünstler und Bühnenarbeiter hinter und neben den Kulissen verewigt.
Im Bildband abgedruckt sind drei Interviews, die Martin Walz, der Sohn der Fotografin, mit Peter Sellars, Robert Wilson und Pierre Audi geführt hat. Alle drei sind begeistert von der Zusammenarbeit mit der Fotografin und machen auf das Besondere ihre Arbeitsweise und deren Bedeutung für die eigene Arbeit aufmerksam.
Robert Wilson erzählt, wie er Probenbilder von Ruth Walz während seiner legendären Inszenierung von „Death, Destruction & Detroit“ mit Otto Sander oft zur eigenen Vergewisserung studiert hat. Und nennt die Fotokünstlerin seine Verschwörerin. Eine Nahaufnahme mit dem Kamerablick von Ruth Walz, das sei „one moment frozen in time“.

„Sie (Ruth Walz) war nicht von draußen, nicht jemand, der kurz vor der Premiere vorbeikommt und ein paar Bilder schießt. Sie kannte die Arbeit von innen. Sie war Teil des Prozesses. (…) Durch die Bilder lernte ich, wie etwas zu verbessern war. Sie verstand meine Arbeit in ihrem Wesen, und ich habe so viel über meine Arbeit gelernt durch das Betrachten der Bilder, die sie jeden Tag machte“ (Robert Wilson)

„Natürlich achten die meisten Fotografen nur darauf, wie etwas aussieht. Sie klicken wie verrückt bei all diesen Fotomomenten und Ruth nie. Ruth folgt immer dem Gefühl. Und sie wartet auf diesem Moment, wenn die Emotion tatsächlich in den Augen, im Körper eines Darstellers erscheint.“ (Peter Sellars)
„Bei Live-Aufführungen geht es um das Erleben des gesamten Werks. Bei Ruth aber setzt sich eine solche Aufführung tatsächlich in den Bildern fort. Das sind keine Bilder, es sind Nachklänge eines Live-Events“ (Pierre Audi)
360 – schwarz-weiße vor allem, aber auch farbige – Aufnahmen versammelt dieser Band. Gegliedert ist er in die Kapitel: Die Orestie des Aischylos – was da war was da war – William Shakespeare – Von früher Zeit bis in späte Zimmer. Botho Strauß Szenen – Die Kunst auf der Bühne – Inszenierte Räume – Bruno Ganz.
Otto Sander in “Death, Destruction & Detroit” von Bob Wilson, eingefangen mit ausgebreiteten Armen, die Füße elegant im Steppschritt. Eine riesige Glühbirne über dem Kopf. Gert Voss als Lear, mit wildem, weißem Haar, die Augen entrückt, daneben die “Närrin” Birgit Minichmayr flehend und weinend. Oder Jonas Kaufmann als Parsifal, so klein auf der Bühnentotale und doch unbestreitbar das Zentrum.
Erst im Anhang – so kann man sich ohne Störung dem Betrachten der Bilder hingeben – finden sich zu jeder Fotografie genaue Angaben, am Ende die Würdigung des Mannes, dem Schau und Buch gewidmet sind und der lange der Lebensgefährte von Ruth Walz war: Bruno Ganz.

Den Umschlag des Bandes ziert auf der Vorderseite ein Foto aus dem Sommernachtstraum von William Shakespeare bei den Salzburger Festspielen von 1996 in der Inszenierung von Leander Haußmann und auf der Innenseite finden sich Dutzende von Fotos bedeutender und für die Fotografin wichtiger Theatermenschen.
Die in diesem opulent ausgestatteten Bildband gezeigten Bilder von Theaterinszenierungen und deren Protagonisten, gesehen mit und durch die Augen von Ruth Walz, sind eine wunderbare Reise durch ein Stück bedeutsamer Theatergeschichte. Sowohl für das Theater – dem flüchtigsten aller Medien – als auch für Zuschauer*innen ein Glück.
Ruth Walz hat große Inszenierungen in Schauspiel wie Oper mit ihrer Kamera für die Ewigkeit festgehalten, und ihre Fotos vergegenwärtigen Theater-Geschichte. Edith Clever, Jutta Lampe, Otto Sander, Bob Wilson, Peter Sellars. Peter Stein, Bruno Ganz – sie hat sie alle durch den Sucher gesehen.
Deutschlands größter und bedeutendster Theaterfotografin, die Anfang 2021 ihren 80. Geburtstag feiern konnte, gebührt Dank für ihren Blick auf Theater und dem Hatje Cantz Verlag Dank dafür, dass er diesen Bildband so opulent ausgestattet hat. Eine wahre Augenweide eben für den Betrachter / die Betrachterin.

 
 

Die dem Bildband zugrunde liegende Ausstellung, Ruth Walz – Theaterfotografie, ist noch bis zum bis 13. Februar 2022 im Museum für Fotografie in Berlin zu sehen.

Letzte Änderung: 24.01.2022  |  Erstellt am: 24.01.2022

Walz | © Ruth Walz / Hatje Cantz Verlag

Ruth Walz Theater im Sucher

440 S., flex. Einband
Bildband mit Texten von Klaus Bertisch, Wilfried Dickhoff, Jens Harzer, Niklas Maak, Manuela Reichart, Gerhard Stadelmaier, 360 Abbildungen.
ISBN-13: 9783775750417
Hatje Cantz Verlag, Berlin 2021

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