Der namenlose Detektiv

Der namenlose Detektiv

Dashiell Hammetts Roman „Rote Ernte" in neuer Übersetzung
Dashiell Hammett

Wie man Korruption, Machtmissbrauch und organisierter Kriminalität in den Griff bekommt, hat uns ein ehemaliger Pinkerton-Detektiv beschrieben. In seinem ersten Roman „Rote Ernte“ erfand Dashiell Hammett (1894-1961) die Urgestalt des hartgesottenen Detektivs, mit der eine literarische Tradition begann. Gerade ist dieser Roman in einer neuen Übersetzung erschienen. Stefana Sabin hat ihn gelesen.

Gegründet 1850 in Chicago von Allan Pinkerton, einem schottischen Immigranten, etablierte sich die „Pinkerton National Detective Agency” als eine private Sicherheitsfirma. Von Anfang an gehörten Frauen ebenso wie Vertreter verschiedener Ethnien zu den Angestellten der Pinkerton Detektei, und es war eine der Detektivinnen, die den heikelsten Auftrag überhaupt erledigte: Sie begleitete den gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten, Abraham Lincoln, von Illinois nach Washington und vereitelte zwei Mordversuche auf ihn. Spätestens da wurde die Pinkerton-Detektei auch der Öffentlichkeit bekannt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte die Pinkerton-Detektei in allen großen US-amerikanischen Städten Niederlassungen und suchte ständig Mitarbeiter. So kam es, dass der zwanzigjährige Dashiell Hammett, der die Schule abgebrochen hatte und von zu Hause weggegangen war, bei der Pinkerton-Detektei in San Francisco anheuerte. Die Erfahrung, die er zwischen 1915 und 1922 als „Pinkerton operative”, als detektivischer Agent sammelte, diente ihm als Quelle für Erzählungen und Romane, mit denen er sich einen Platz in der Literaturgeschichte erschrieb.

Hammetts schriftstellerische Karriere begann in dem legendären „Black Mask Magazine”, einem sogenannten „pulp”, also einem monatlichen Groschenheft, das auf billigem Papier, „pulp” eben, gedruckt war und Sensationsgeschichten aller Art bot. Ab 1923 steuerte Hammett Kriminal- und Detektivgeschichten bei – über 30 sollten es werden – und erfand darin die Figur des Continental Op, des wohl ersten hartgesottenen Privatdetektivs.
Der Continental Op arbeitet als operative, als Detektiv für die „Continental Detective Agency” in San Francisco und ist zugleich der Ich-Erzähler und die Hauptfigur der Geschichten – und bleibt stets namenlos. Er ist ehrenhaft und unkorrumpierbar und scheut vor keinem Trick zurück, um einen Fall zu lösen.
Der Detektiv ist das verbindende Glied dieser Geschichten, aber schon 1924 begann Hammett, zusammenhängende Handlungen in mehreren Folgen zu entwickeln, mit dem Ziel, daraus einen Roman zu stricken. Tatsächlich sind seine ersten Romane aus solchen zusammenhängenden Erzählungen entstanden, die im „Black Mask Magazine” erschienen waren.

Vier solcher Erzählungen, die zwischen November 1927 und Februar 1928 im „Black Mask Magazine” erschienen, verband Hammett zu seinem ersten Roman, der unter dem Titel „Red Harvest“, „Rote Ernte,“ im renommierten New Yorker Verlag Alfred A. Knopf im Februar 1929 veröffentlicht wurde. Erst 1952 erschien dieser Roman, der dem Herausgeber des „Black Magazine” Joseph Thomson Shaw gewidmet ist, als „Bluternte“ im deutsch-sprachigen Raum in der Übersetzung des Historikers und Autors Peter Fischer. 1976 folgte eine weitere Übersetzung durch den Spiegel-Kulturredakteur (und Arno Schmidt-Freund!) Gunar Ortlepp, die den Originaltitel übernahm. Die neue Übersetzung von Dirk van Gunsteren hat den Titel „Rote Ernte“ beibehalten.

Der Roman setzt ein bei der Ankunft des Detektivs in einer schäbigen Provinzstadt. Die Stadt „war nicht schön. Die meisten ihrer Erbauer hatten etwas Pompöses erschaffen wollen. Vielleicht war ihnen das anfangs gelungen, aber dann hatte der gelbe Rauch der Schmelzhütten, deren Schornsteine vor dem düsteren Berg im Süden aufragten, alles mit einer gleichmäßigen Schmutzschicht überzogen. Das Ergebnis war eine hässliche Stadt mit vierzigtausend Einwohnern, die in einem hässlichen Einschnitt zwischen zwei hässlichen, vom Abraum zahlloser Minenschächte entstellten Bergen lag. Darüber hing ein schmutzig grauer Himmel, der aussah, als wäre er aus den Schornsteinen der Hüttenwerke gequollen.“
Schnell erkennt der Detektiv, dass die Stadt von rivalisierenden Gangs beherrscht wird und dass Polizisten und Lokalpolitiker korrupt sind. Als sein Auftraggeber ermordet wird, bevor er sich mit ihm treffen kann, wird er stutzig. Er will den Mord aufklären und gerät schnell zwischen alle Fronten. Er spielt die Gangs, Polizei und Politik effektvoll gegeneinander aus, und obwohl er zeitweise selbst unter Mordverdacht gerät, gelingt es ihm, den Mord aufzuklären und die Korruption in der Stadt – zumindest vorläufig – einzudämmen. So bleibt am Ende ein – wenn auch gedämpfter – Eindruck von happy end.
Zwar gibt es mehr Tote, als man zählen kann, aber wie der gute Sheriff in einem klassischen Western ist in diesem Roman der namenlose Detektiv der Retter in der Not, der die Stadt von den Gangs befreit und weiterzieht. Und seinen Abschlussbericht versucht er so zu formulieren, „dass man nicht merkte, wie viele Agenturregeln, Gesetze und Knochen“ er gebrochen hatte.

Tatsächlich ist „Rote Ernte“ einer der düstersten und gewalttätigsten Romane Hammetts, aber auch einer seiner stringentesten – nicht zufällig wurde er von „Time Magazine” zu den „100 Best English-Language Novels from 1923 to 2005” gezählt.
Hammetts knappe – modern gesagt: smarte –,umgangssprachliche Formulierungen, die einfachen und dennoch plausiblen Beziehungsgeflechte, die suggestiven Ortsbeschreibungen prägten eine ganze Generation von Kriminalschriftstellern, aber auch politisch engagierte Autoren, die in Hammetts literarisch verbrämter sozialkritischer Haltung moralische Exempla fanden.

Hammetts linksorientierte politische Haltung war bekannt – in einem Brief an seine Tochter bezeichnete er sich 1937 als „red”. So gelangte er in die Fänge der Kommunistenjäger um den rechtsextremen Senator Joseph McCarthy, wurde auf die berüchtigte Schwarze Liste gesetzt und wegen seiner Weigerung, gegen andere Schriftsteller auszusagen, verurteilt. Auch deshalb stockte seine Karriere, geriet sein Werk in Vergessenheit, und er zog sich, von Krankheit und Alkoholismus gezeichnet, aus der Öffentlichkeit zurück.

Erst nach seinem Tod wurden in den 1960er Jahren vor allem die Erzählungen wiederentdeckt und in mehreren Anthologien ediert, und nachdem 1999 eine kanonische Ausgabe der Romane in der ehrenwerten „Library of America” erschienen war, wurden 2017 die gesammelten Continental Op-Erzählungen in einem Band bei „Vintage Crime”, einem auf Detektivgeschichten spezialisierten Verlag mit breiter Reichweite, veröffentlicht.

Der Zürcher Kampa Verlag will auch im deutschsprachigen Raum eine Wiederentdeckung Hammetts einleiten: 2020 erschien der „Malteser Falke“ in einer Neuübersetzung durch die Schriftstellerin pociao, nun die „Rote Ernte“ in einer flüssigen Neuübersetzung von Dirk van Gunsteren, und eine Neuübersetzung von „Der dünne Mann“ durch Nikolaus Stingl ist in Vorbereitung. Darauf darf man in jeder Hinsicht gespannt sein.

Letzte Änderung: 08.11.2021  |  Erstellt am: 05.11.2021

Rote Ernte

Dashiell Hammett Rote Ernte

Originaltitel: Red Harvest
Kriminalroman
Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren
288 Seiten
Gebunden mit Schutzumschlag
Kampa Verlag, 2021

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