Als Dante zu Anfang der „Comedia“ zur Hälfte seines Lebens sich tief in einem dunklen Walde wiederfand, erschien ihm dieser so wild und schaurig, dass es ihm unsagbar schwer fiel, das zu schildern. – Schon mit der fortschreitenden Urbanisierung rückten Land und Wald von der Lebenswelt in die Distanz der Betrachtung. Der Wald wurde zum temporären Erholungsraum, aber auch zur unheimlichen Wildnis. „WÄLDER. Von der Romantik in die Zukunft“ ist eine konzertierte Kunstaktion, die noch bis zum 11. August 2024 läuft. Walter H. Krämer stellt sie vor.
Er (Johann Wolfgang von Goethe) ging im Walde so für sich hin, und nichts zu suchen, das war sein Sinn … gefunden hat er dann doch etwas und genauso wird es den Besucher*innen dreier Ausstellungen zum Thema WÄLDER ergehen. Drei sehr unterschiedliche Museen – das Romantik-Museum neben dem Goethe-Haus, das Bad Homburger Sinclair-Haus und das Senckenberg-Museum – haben sich für diese große Ausstellung zum Thema „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft“ zusammengetan – mit überzeugendem Ergebnis. Und im Senckenberg-Museum gibt es noch einen speziell geführten Rundgang mit einer Tänzerin und einem Tänzer der Dresden Frankfurt Dance Company zu erleben. Soviel Zusammenarbeit war selten.
Die Ausstellung verknüpft wissenschaftliche, ökologische und ästhetische Zugänge von damals und heute. Mit Exponaten aus den Künsten, der Kultur- und Forstgeschichte sowie den Naturwissenschaften spannt die Schau den Bogen von der Epoche der Romantik über die Gegenwart bis in die Zukunft. Vor dem Hintergrund von Klima- und Biodiversitätskrisen bringt die Ausstellung am Beispiel des hochromantischen Themas „Wald“ frühe Ansätze zur Entwicklung anderer Naturverhältnisse in einen Dialog mit aktuellen Fragestellungen.
Wälder sind heute für viele Menschen Orte, an denen sie Erholung suchen und Kraft schöpfen können. Ohne die Epoche der Romantik wäre dieses besondere Verhältnis zu Wäldern kaum denkbar. Die Ausstellung lädt dazu ein, Verbindungen zwischen romantischen und zeitgenössischen Vorstellungen vom Wald zu erkunden – auch und gerade vor dem Hintergrund aktueller ökologischer Krisen.
Das neue Verständnis der Natur in der Romantik mit seinen Auswirkungen bis in die Gegenwart steht im Fokus der Ausstellung im Deutschen Romantik-Museum. Im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt erwarten Sie aktuelle Perspektiven der Naturwissenschaften im Spiegel ihrer gesellschaftlichen Relevanz im Austausch mit künstlerischen Forschungen.
Das Museum Sinclair-Haus stellt die Künste beider Epochen in den Mittelpunkt und erkundet, wie Mensch-Wald-Verbindungen im Möglichkeitsraum der Kunst imaginiert werden.
Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküsst,
Dass sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
Joseph von Eichendorff
Am besten beginnt man die Besuche im Deutschen Romantik-Museum. Hier können sich die Gäste auf eine facettenreiche Reise durch die Kultur- und Wissensgeschichte der Wälder von der Romantik bis in die Gegenwart begeben. Welches Naturverständnis die romantischen Künstler und Schriftstellerinnen, Wissenschaftler und Komponistinnen um 1800 in ihren Wald-Arbeiten entwarfen und wie aktuell dieses ist, steht im Zentrum des ersten Kapitels „Der ganze Wald“. In einem dichten Gefüge aus Bildern und Noten, Texten und Dingen, bewegter Schrift und Musik kann der romantische Wald hier mit Augen und Ohren erfahren werden. Diesen Imaginationen stellt die Ausstellung den realen Zustand der Wälder um 1800 zur Seite.
Das zweite Kapitel „Waldumbau“ erzählt von ihrem schlechten Zustand in dieser Zeit, und macht nachvollziehbar, dass die Wälder, durch die wir heute streifen, ein Produkt forstwirtschaftlicher Praktiken sind, die damals entwickelt wurden.
Den nicht menschlichen, den „(tierlichen) Waldumbau“ behandelt das dritte Kapitel. Es betrachtet und belauscht den Borkenkäfer und seine Verwandten, die sich, wenn wir die Perspektive verändern, als Lehrmeister für den dringend gebotenen Umbau zu einem klimaresilienten Mischwald verstehen lassen.
Das vierte Kapitel erkundet den „Wald von Nahem“. Es führt in den faszinierenden Mikrokosmos der Moose, Pilze und Flechten und in den unsichtbaren Unterwald. Die Nahsicht lässt die Komplexität von Ökosystemen erahnen.
Das fünfte Kapitel der Ausstellung fragt, ob nicht nur Menschen, sondern auch Wälder Rechte haben. Rechte der Natur sind seit einigen Jahren in verschiedenen Verfassungen verankert worden. Ob ihre Anerkennung, die mit einer Pflicht zur Fürsorge für die Natur verbunden ist, einen Weg aus der Not der Wälder weist?
Mit der Romantik wird der Wald „wunderbar“. Zuvor als Schreckensort gemieden, ist er für die Künstler*innen jener Zeit ein Sinnbild für die Schönheit und Eigenständigkeit der Natur. In ihren Werken geht es kaum um eine kühle, objektive Betrachtungsweise, sondern vielmehr darum, sich vom Wald emotional berühren zu lassen. Eine große Rolle spielt dabei die Fantasie: Aus ihrer Vorstellung heraus schaffen romantische Künstler*innen wirkmächtige Szenarien der Verbindung zwischen Menschen und Natur.
Von heute aus gesehen erscheinen die vor mehr als 200 Jahren entstandenen romantischen Werke wie Vorläufer eines ökologischen Denkens, das sich Zusammenhängen und Wechselwirkungen widmet. Dabei zeigt sich: Ein poetisches Verständnis von der Natur, verbunden mit faktenbasierten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, ist unverzichtbar, um den ökologischen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.
Als zweite Station empfiehlt sich das Senckenberg-Museum. Hier ist die Ausstellung in das Museum integriert und ein grün markierter „Baumweg“ zeigt die Richtung an. Dieser führt vorbei an den Vitrinen mit unterschiedlichen Vogelarten und wird begleitet von einer eigens dafür eingerichteten Sound Collage mit verschiedenen Vogelstimmen. Interessant die Möglichkeit, zwei jeweils etwa 20-minütige Filme zu schauen. Einmal „If you don’t get lost in the woods, you haven‘t been in the woods“, ein 2024 eigens für diese Ausstellung produzierter „Waldspaziergang“ der Dresden Frankfurt Dance Company. Der andere dokumentiert die Geschichte von Joseph Beuys und seinem Projekt „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ auf der documenta 7. Am 16. März 1982 war Auftakt dieser Pflanzaktion, die insgesamt fünf Jahre dauerte und in deren Verlauf Joseph Beuys in Kassel 7.000 Eichen zusammen mit einer Basalt Stele pflanzte.
Eine Installation wirft Blicke auf Aktionen gegen die Klimakatastrophe und das Abholzen ganzer Wälder. Filmbeiträge und Plakate erzählen von der indigenen Universität im Amazonas-Regenwald und ein Zeitstrahl im großen Treppenhaus reicht von den dichten Wäldern der Vergangenheit bis in unsere Zeit und Zukunft. Und an zehn Abenden – immer mittwochs – führen zwei Tänzer*innen der Dresden Frankfurt Dance Company durch die Ausstellung. Ein Erlebnis der besonderen Art. „Die Performance lädt dazu ein, sich im Wald zu verlaufen. Während die Besucher*innen einem Tänzer oder einer Tänzerin der Dresden Frankfurt Dance Company auf dem Weg durch das Museum begleiten, unternehmen die Besucher*innen ihre eigene Reise. Dabei hört man eine Tonspur, die das Geschehen multi-sensorisch rahmt.“
Bleibt als dritte Station noch das Sinclair Haus in Bad Homburg. Hier ist man dicht am Schlosspark und auch die Taunuswälder sind nah. So kann man sich auch der Mühe unterziehen, den Wald hautnah und live zu erleben. Eine sinnvolle Ergänzung der Museumsbesuche. In der Ausstellung des Museums Sinclair-Haus tritt zeitgenössische Kunst in spannungsreiche Dialoge mit Werken der Romantik. In drei Kapiteln erleben Besucher*innen, wie Künstler*innen die Schönheit, Lebendigkeit und das bisweilen vom Wald ausgehende Unheimliche spürbar machen. Einige der zeitgenössischen Kunstwerke basieren auf Erkenntnissen aus der Forschung und schaffen so eine Brücke zwischen Wissenschaft und Kunst. Sogar riechen kann man hier den Wald, genauer gesagt zwei Baumarten. Eingefangen in 2 Flacons können die Besucher*innen am Duft einer Persischen Eisenholzbaums und einer Himalayazeder schnuppern oder sich diesen auch auf die Haut streichen. Auch ein Wanderstab, der zudem noch als Flöte genutzt werden kann wird hier ausgestellt – demnächst sogar in einem Konzert zu hören. Eine Karikatur zeigt einen sich rächenden Baum, indem er den Menschen zersägt: „Es fällt durch der Sägen und Äxte Gewalt, Der frische, fröhliche freie Wald; Was Wunder, wenn endlich der Baum sich rächt Und seinen Mörder in Stücken sägt. Verkehrt ist die Welt!“ Beeindruckt hat mich auch eine besonders schön illustrierte Ausgabe von E.T. A. Hoffmanns Erzählung „Das fremde Kind“.
Es gibt viel zu sehen, zu lesen, zu hören – selbst fallende Regentropfen auf Waldboden , zu riechen, zu unternehmen und zu staunen. Lässt man sich Zeit und darauf ein, wird man viel erfahren und erleben und blickt womöglich demnächst respekt und verantwortungsvoller auf den Wald und die einzelnen Bäume.
Sitzgelegenheiten bieten einzelne Ausstellungsräume auf täuschend echten Imitationen von Baumstämmen. Es gibt Exkursionen nach draußen – u.a. in den 18,4 ha großen Biegwald.
Und demnächst auch unterwegs: Das Wäldermobil begleitet von einer grünen Waldseele mit drei Tentakeln. Dieses Kunstwerk dient letztlich auch als Blickfang, um mit Passanten über das Thema Wald ins Gespräch zu kommen.
Und wenn man dann noch unterwegs in echten Wäldern mit vielleicht mehr Bewusstheit als vor dem Besuch der Ausstellungen einen Baum umarmt, kann das auch nicht schaden.
Großer Dank gilt stellvertretend für alle Beteiligten der Kuratorin Nicola Lepp und den Direktorinnen der drei Museen Prof. Dr. Anne Bohnenkamp-Renken, Kathrin Meyer und Dr. Brigitte Franzen. Geballte Frauenpower also beschert uns diese wunderbaren Einblicke in das Thema Wald.
Ein umfangreiches Begleitprogramm und ein Magazin ergänzen die Ausstellung „Wälder. Von der Romantik in die Zukunft.“ Noch bis zum 11. August zu erleben.
deutsches-romantik-museum.de
museumfrankfurt.senckenberg.de
museum-sinclair-haus.de
Letzte Änderung: 28.03.2024 | Erstellt am: 28.03.2024
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