To play or not to be

To play or not to be

Willy Praml und sein Theater
Willy Praml | © Theater Willy Praml

Seit 50 Jahren macht Willy Praml Theater, obwohl er doch Metzger werden sollte. Vor 30 Jahren wurde das Theater Willy Praml gegründet, das sich ab 2000 in der weiträumigen Naxos-Halle angesiedelt hat und, schreibt Walter H. Krämer in seinem Jubiläumsbeitrag, zu bestimmten Zeiten den Eindruck erweckte, das eigentliche Stadttheater der Stadt zu sein.

Schon als Junge träumte Willy Praml vom Theater.

„To play or not to be” – so darf man wohl in Anlehnung an William Shakespeare das Lebens- und Arbeitsmotto des Theatermenschen Willy Praml verstehen.

In der hessischen Theaterlandschaft ist der in Niederbayern geborene Willy Praml nicht mehr wegzudenken. Seit 1971 macht er Theater: Zunächst mit Aufsehen erregenden Inszenierungen mit Jugendlichen und Laien. Später mit dem 1991 gegründeten Theater Willy Praml.

Kurz vor zwölf – genau um 11:55 Uhr – kam Willy Praml am 31. August 1941 in Landshut / Niederbayern zur Welt. Dies Anlass genug im Jahr 2021 seinen 80. Geburtstag zu feiern – ab 11:55 Uhr mit Weißwürsten, Brezeln und Hefeweizen in echt bayrischer Tradition und mit vielen Gästen, denen es im Laufe seines Lebens wert geworden ist, mit ihm diesen Tag zu teilen. Und das in der Naxoshalle. Gleichzeitig mit seinem Geburtstag konnte er auf 30 Jahre Theater Willy Praml zurückblicken.

Willy Praml ohne sein Ensemble, ohne das Theater kaum vorstellbar. Und genau wie er in der Metropole am Main vom Bier zum Apfelwein gekommen ist, hat er erst 2003 Stücke von seinem absoluten Lieblingsdichter seiner Jugendzeit Friedrich Schiller hier in der Stadt inszeniert (bisher immerhin derer vier – „Maria Stuart“, „Der Parasit“, „Der Verbrecher aus verlorener Ehre“ und „Don Carlos. Infant“) – wohlwissend, dass man in Frankfurt an Goethe nicht vorbeikommt. Und so ließ er es sich nicht nehmen, anlässlich der 1200-Jahr-Feier Frankfurts, mit einer Handvoll Profis und unzähligen Laien Goethes „Faust“ auf den Boden der Paulskirche zu bringen. Die Reaktionen darauf waren geteilt: Kritiker*innen wüteten, das Publikum jubelte und die Künstler*innen konnten nur staunen: „Goethes Meisterwerk wird absichtsvoll verschandelt: seine klassische Schönheit durch provozierend gemeinte, vielfach abstoßende Hässlichkeiten, insbesondere der Körper.“ (Höchster Kreisblatt). Und BILD Frankfurt schrieb: „Das Unterfangen trägt hybride Züge. Vom Aufwand her, von der gewaltigen Anstrengung, auch der bewundernswert disziplinierten Schar der Laien, Chöre und Musiker, ist es ein theatralischer Höhepunkt. Dahinter weit zurück bleibt das künstlerische Ergebnis: eine Mischung aus Laien- und professionellem Spiel, aus ästhetischer Stilisierung und Volkstheaterhaftem, mit einer gelungenen Gretchen-Geschichte und einigen ansprechenden Bildern.“
Schon als Junge träumte Willy Praml vom Theater. Wollte unbedingt ein Schauspieler werden und nicht ein Metzger wie vom Vater angedacht. Ein Geistlicher in der Familie wäre auch nicht schlecht, so die Mutter und prompt landet er in einem Klosterinternat. Lernte dort das Barocktheater der katholischen Kirche kennen und lieben. Spielt in der Schule viel Theater und büxt manche Nacht aus dem elterlichen Haus aus, um in München Theater zu sehen. Meldet sich heimlich zur Aufnahmeprüfung an der Otto-Falkenberg-Schule in München an und besteht. Aber der Vater verweigert dem noch nicht volljährigen Buben die Unterschrift. Hielt er doch alle Schauspieler für „Hungerleider“ und das Spielen für eine brotlose Kunst.

1960 Abitur am Deutschen Gymnasium in Freising. Von 1961 bis 1968 Studium der Germanistik, Geschichte und Geografie an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Von 1968 bis 1971 hauptamtlicher Bundesreferent für musische Bildung beim Bund Deutscher Pfadfinder in Berlin, wo er mit Theaterkursen den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag (Élysée-Vertrag) umsetzte.
Als hauptamtlicher Mitarbeiter für Theater- und Kulturarbeit an der staatlichen Hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach (1971 bis 2000) engagierte er sich für nachhaltige Theaterarbeit – überwiegend mit Arbeiterjugendlichen und Jugendlichen aus damaligen Gastarbeiter-Familien.
Nach Schließung der Hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach (2000) arbeitete Willy Praml dann als Dozent an der Fachhochschule Frankfurt (Frankfurt University of Applied Sciences) weiter.

1991 kommt es dann mit den Weggefährten*innen Michael Weber und Birgt Heuser zur Gründung des Theaters Willy Praml. Ein Glücksfall für die Stadt. Anfangs noch auf der Suche nach geeigneten und immer wieder außergewöhnlichen Spielorten – mal unter einer Brücke, mal in einer Tiefgarage oder den Räumen der legendären Gallus-Disko. Ab 2000 dann in er ehemaligen Halle der Naxos Union. Besetzt, geduldet und erst spät als Theater behördlich akzeptiert und unterstützt. Hier in dieser ehemaligen Industriehalle fanden fortan überragende Aufführungen statt – oftmals auch mit Laiendarstellern – ein Markenzeichen des Theaters. Seien es Langzeitarbeitslose, Senioren, Geflüchtete, Jugendliche. Und die Halle spielt immer mit – also kein Theaterraum im üblichen, klassischen Sinne – obwohl sich das Theater auch um die Klassiker verdient macht. Zu bestimmten Zeiten hatte man sogar den Eindruck, dass das Theater Willy Praml das eigentliche Stadttheater der Stadt war – was die Auswahl seiner Stücke und deren Inszenierung betraf. Sprachgewaltig mit Goethe, Heine, Kleist, Hölderlin, der Schöpfungsgeschichte und der Bibel

Willy Praml | © Foto: Volker Muth

Die Arbeit des Theaters zeichnet sich durch große, raumgreifende Inszenierungen aus, die die ästhetischen Möglichkeiten und den „Kathedralen“ Charakter ihrer Spielstätte, der Naxoshalle sowie auch des öffentlichen Raums nutzen – man denke hierbei nur an die Produktion „Heine wacht auf und erzählt seinem Freund Karl Marx, wie er in einem Kahn die Kurt-Schuhmacher-Straße rauf und runter fuhr“. Eine Produktion, die es dann auch zu den Ufern der Poesie geschafft hat – einem Festival für „rheinsüchtige Melancholiker“ in Bacharach am Rhein.

Auch Goethes Roman „Wilhelm Meister“ hat Willy Praml mit seinem Ensemble in den Räumen der Naxoshalle umgesetzt. Ein wahrhaft großes Theatererlebnis über mehr als acht Stunden Der Theatermacher scheute nicht davor zurück, Goethes voluminösem Bildungsroman “Wilhelm Meisters Lehrjahre” eine theatrale Form zu geben und in den Räumen der Naxoshalle in Szene zu setzen: „Willy Praml hat das Schwierige gewagt und einen Text für Schauspieler bearbeitet, der für eine Aufführung nicht gedacht war. Das Experiment ist gelungen. Wer das Zuhören nicht verlernt hat, wird in der Naxos-Halle trotz der Länge des Stücks (acht Stunden) kaum Längen erleben. Dafür sorgen etliche Einfälle, mit denen einzelne Szenen des Romans in Bilder umgesetzt werden. (…). Mit großem Aufwand hat der Regisseur unter den nicht eben üppigen Bedingungen, unter denen die freien Bühnen in Frankfurt arbeiten, für die Goethe-Stadt Erstaunliches geleistet.“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Zusammen mit Hansjörg Maier erhielt Praml 1979 den Brüder-Grimm-Preis des Landes Berlin für ihre “beispielhafte theaterpädagogische Arbeit mit Jugendlichen an der hessischen Jugendbildungsstätte Dietzenbach und dem Wannseeheim für Jugendarbeit in Berlin.“

2011 erhält Willy Praml den renommierten Binding-Kulturpreis. Mit der Auszeichnung wird vor allem Willy Pramls Engagement für das Frankfurter Kulturleben gewürdigt, das vielseitige Programm seines Theaters und vor allem auch seine immer wiederkehrende Auseinandersetzung mit einschneidenden Ereignissen der Geschichte, so auch der Geschichte jenes Ortes, den das Theater seit 1991 bespielt– der Naxoshalle. Es entsteht eine theatrale Führung durch Raum und Zeit der Frankfurter Firma Naxos-Union „Ariadnes Faden, Arthurs Schwester Marie & der ‚ächte‘ Naxosschmirgel“ (Premiere war am 16. August 2007) – einer von vielen Höhepunkten in der nun 30jährigen Geschichte des Theaters.
2018 dann den Walter Dirks-Preis – benannt nach dem Journalisten und Publizisten Walter Dirks (1901-1991) – für herausragende politisch-ästhetische und integrative Theater- und Kulturarbeit.

Auch christliche Themen sind dem Theatermacher immer wieder ein Anliegen. So stemmt er mit seinem Ensemble die „Genesis“ in die Naxoshalle und seit nunmehr mehr als 15 Jahren erzählt das Ensemble alljährlich zu Weihnachten und Ostern die Geschichte vom Leben, Wirken und Sterben Jesus Christus entlang der vier Evangelisten.

Da zeigt sich einmal mehr die Bindung des Künstlers an den Katholizismus, zu dem er sich gerne bekennt. Oftmals zur Verwunderung seiner Freunde und den Besucher*innen seines Theaters. Aber er steht dazu, nimmt dies auch immer wieder gerne zum Anlass für Diskussionen und Gespräche. Er habe viel von der katholischen Kirche profitiert und gelernt. Der Glaube vermittele ihm den Weg ins Jenseits und mache ihn darauf aufmerksam, dass es etwas Größeres neben uns Menschen in dieser Welt geben muss.

Gleichzeitig – und da zeigt sich seine Lust am Hinterfragen und dialektischem Denken – stellt er immer wieder die Frage, ob man als Intellektueller mit dem Glauben und der Religion in Verbindung bleiben könne nach und mit all den Verbrechen, die der Klerus begangen hat.

Ein Leben ohne Theater ist für Willy Praml nicht denkbar. „Theater ist mehr als Leben. Es vermittelt Einblicke, stellt dar, was war, was ist oder was werden kann, indem es die Welt zeigt und die Menschen, die in ihr leben und auch was sie am Leben hält, wofür sie leben.“

Seine Geschichten über das Theater und das Leben – die er mit großem erzählerischem Talent vorzutragen weiß – und seine Inszenierungen lassen uns die Zeit vergessen und öffnen immer wieder neue Gedanken- und Bilderräume für Zuhörer*innen und Zuschauer*innen.

Ein Schlaganfall im Jahre 2020 machte dem Theatermacher Willy Praml klar, dass sein Leben und sein Schaffen endlich ist und dass es Sinn macht, seine Nachfolge zu regeln und mit der Arbeit kürzer zu treten. Die Regie hat Praml daher nun seinem Gefährten Michael Weber – viele Jahre als Schauspieler und Hauptdarsteller vieler Inszenierungen, Begleiter im Theaterkosmos von Willy Praml – übergeben.

Dass er sein Theater öffnen und weiter entwickeln muss, hat er schon früher erkannt, und junge Theaterschaffende – meist Absolvent*innen der Ausbildungsstätten in Gießen, Frankfurt, Darmstadt und Offenbach – in das Haus geholt. Seither teilen sich studioNAXOS und Theater Willy Praml Ort und Zeiten.

Berührend der Umgang des Ensembles mit den Einschränkungen des Leiters und auch sein starker Wille, weiterhin dabei zu sein. So steht er jetzt auf der Bühne und hat Pläne, die sich vielleicht mit dem Ensemble noch realisieren lassen: „Wallenstein“ von seinem Lieblingsdichter Schiller und „Ästhetik des Widerstands“ von Peter Weiss sollen es sein.

Zeit genug – wenn es nach seinen Wünschen ginge – wäre noch. Auf die Frage: Wie alt möchten Sie werden? antwortete Willy Praml: Wenn Gott mich lässt: 94 Jahre.“

So sei es! Gott möge ihn lassen und der Himmel warten, damit Willy Praml uns weiterhin mit seinem Wissen, seiner Weisheit und seinem Theater beglücken kann.

Letzte Änderung: 13.10.2021  |  Erstellt am: 05.10.2021

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Kommentare

Ute Knie schreibt
prima, über den Beitrag zu Willy Praml habe ich mich sehr gefreut. Ich schätze die Inszenierungen in der Naxos Halle mit dem engagierten Ensemble. Weiter so, herzlich Ute Knie

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