Rot und Schwarz

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Saint-Saëns’ Oper „Henry VIII“ in Brüssel

Im Palais Garnier in Paris 1883 mit viel szenischem und choreographischem Aufwand und mit damals berühmten Sängern uraufgeführt, war die Oper „Henry VIII“ von Camille Saint-Saëns ein Erfolg und wurde daraufhin auch in Frankfurt, Mailand und London inszeniert. Aber trotz einer Inszenierung in Brüssel 1935 geriet sie danach in Vergessenheit. Nun versucht man in Brüssel, diese vergessene Oper von Saint-Saëns über Heinrich VIII. von England wiederzuentdecken. Stefana Sabin war bei der Premiere im Théatre de la Monnaie.

Nach dem großen Erfolg des Projekts Bastarda, einem über zwei Abende verteilten Potpourri aus den Opern von Gaetano Donizetti über die Zeit von Elisabeth I. (Anna Elena, Maria Stuarda, Roberto Devereux und Elisabeth al Castello di Kenilworth) führt die Königliche Oper in Brüssel ihren Tudor-Zyklus weiter und bringt eine inzwischen vergessene Oper von Camille Saint-Saëns auf die Bühne.

Saint-Saëns’ ist eine grand opéra (eine der letzten des Genres!): große Gefühle, großes Orchester, große Arien. Die Handlung spielt 1533 in den Gängen des königlichen Palasts von Henry VIII und erzählt die Geschichte seiner Scheidung von seiner ersten Frau, Catherine d’Aragon, und der Gründung der Kirche von England, seiner darauffolgenden Ehe mit Anne de Boleyn, seiner sich schon anbahnenden Beziehung mit Jane Seymour und von Annes Tötung im Tower. Es ist eine toxische Mischung aus Politik und Religion, Liebe, Intrige und Eifersucht – ein typischer Opernstoff, den die Librettisten Pierre-Léonce Détroyat und Paul-Armand Silvestre nach dem historischen Drama von Pedro Calderon de la Barca La cisma de Inglaterra von 1627 verfasst haben. Das Libretto ist stilistisch der Lyrik des Parnasse verpflichtet, also einer spätromanischen Formstrenge und „impassibilité“, die geradezu im Kontrast zur ausdrucksstarken Musik steht. Saint-Saëns gelingt eine besondere Verbindung von Text und Musik, wobei er dem Orchester eine geradezu sinfonische Eigenständigkeit komponiert hat und immer wieder überraschende Kombinationen einsetzt, wie die Harfe als Begleitung der großen Arie Katharinas „Car je ne suis qu’une étrangère“. Die durchkomponierte Musik und die figurengebundenen Themen erinnern an Richard Wagner.

Auch die Inszenierung von Olivier Py verrät eine spätromantische Anmutung, um zugleich ein modernes Machtgefüge vorzuführen, und weist durch die aufwendige Bühnentechnik und nicht zuletzt durch eher starre Figurenführung auf die Tradition der grand opéra hin, wobei anachronistische Elemente die düstere Stimmung auflockern. Zur grand opéra gehören auch die inszenatorischen Effekte, so der Eintritt von Henry zu Pferde im dritten Akt oder die Lokomotive, die Catherine aus London weg bringt im vierten Akt. Farblich macht die Inszenierung die Rollenverteilung deutlich: als Königin trägt Catherine ein schwarzes herrschaftliches Kleid, Anne de Boleyn ein gerafftes rotes Taftkleid, das sie für ein schwarzes Kleid eintauscht, sobald sie selbst Königin wird.

Die beiden Soprane Nora Kubisch als Anne de Boleyn und Marie-Adeline Henry als Catherine d’Aragon gaben die beiden rivalisierenden Frauen mit rollenangemessener schauspielerischer Zurückhaltung und musikalischer Wucht, und der belgische Bariton Lionel Lhote war ein schauspielerisch und stimmlich beeindruckender Heinrich zwischen Leidenschaft und Macht. Das Sinfonieorchester De La Monnaie unter dem Brüsseler Musikdirektor Alain Altinoglu, auch Chefdirigent des Frankfurter HR-Sinfonieorchesters, verlieh der Musik von Saint-Saëns eine feine Geschmeidigkeit und führte ihre unterschätzte Modernität subtil aus. Dem Théatre de la Monnaie ist mit dieser Produktion eine schöne Inszenierung und vor allem eine großartige musikalische Neuentdeckung gelungen.
 
 

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Letzte Änderung: 17.05.2023  |  Erstellt am: 16.05.2023

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