Das seit 1947 existierende, einzige Theater der Welt in einem Zoologischen Garten, gegründet als „Kleines Theater im Zoo“, erhielt nach seinem Gründer später den Namen „Fritz Rémond Theater im Zoo“ und bot – als Privattheater – anspruchsvolles Repertoire von Molière und Lessing bis Shaw und Bovell. Nun muss der Prinzipal Claus Helmer aus Krankheitsgründen das Haus schließen. Walter H. Krämer sah das letzte Stück.
Andrew Bovells „Dinge, die ich sicher weiß“ als letztes Stück im Fritz Rémond Theater im Zoo
Sag beim Abschied leise Servus! oder: Dinge, die ich sicher weiß (Things I Know To Be True) von Andrew Bovell ist das letzte Stück, das im Fritz Rémond Theater im Zoo gezeigt wird, bevor am 21. Mai 2023 die endgültig letzte Vorstellung über die Bühne geht und dieses Theater Geschichte ist.
Zufällig begegneten sich in der Nachkriegszeit die alten Freunde Fritz Rémond und Bernhard Grzimek und verfolgten erfolgreich die Idee, in den Wiederaufbau des Zoos ein Theater einzubinden. Seit 1947, als sich der Vorhang des Theaters im Zoo erstmals hob, war es eine Institution, die das Frankfurter Kulturleben über insgesamt 76 Spielzeiten geprägt hat.
„Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere – oder ein Fenster!“ ist möglicherweise ein tröstender Gedanke bei der Schließung des Fritz Rémond Theaters im Zoo, denn Claus Helmer räumt das Feld und macht Platz für das dort neu entstehende kommunale Kinder- und Jugendtheater.
So bleibt dem Stammpublikum noch bis Ende Mai Zeit, sich von dieser Bühne zu verabschieden und zu überlegen, in welches Theater sie – hoffentlich – demnächst wandern. Vielleicht übernimmt ja die „Komödie“, deren Leitung Claus Helmer weiter mit seiner langjährigen Erfahrung stemmen wird, einige der im Zoo angesagten Theaterstücke. Zu wünschen wäre es dem treuen Publikum dieses traditionsreichen Theaters. Denn bisher ist kein Ort nirgends zu sehen für diese Art von gehobenem und anspruchsvollem Boulevard.
Die Qualität, die das Fritz Rémond Theater in seiner langen Geschichte zu bieten hatte, wird noch einmal deutlich, mit dem vom scheidenden Intendanten ausdrücklich gewünschten letzten Stück an diesem Ort: „Dinge, die ich sicher weiß“ von Andrew Bovell.
Das Stück zeigt eine Familie im Umbruch. Reich an Emotionen und sehr genau beobachtet, was Kinder und Eltern trennt und was sie zusammenhält. „Das Stück entfaltet sich anhand der vier Jahreszeiten, in denen je eines der erwachsenen Kin-der eine Identitätskrise erlebt. Der Akzent des Stückes liegt dabei nicht so sehr auf diesen vier Krisen, sondern auf den Auswirkungen, die sie für die Eltern Bob und Fran haben – und wie jede der Krisen ihre Wertvorstellungen aufreibt und sie zwingt das Leben in Frage zu stellen, für das sie so hart gearbeitet haben.“ (Andrew Bovell)
Vier Rosenstücke mit langem Stamm – die der wütende Vater Bob (Gerhard Mohr) am Ende aus der Erde reißt, ein Eukalyptus Baum, eine Hütte, die eher an ein Gartenklohäuschen erinnert und ein langer Tisch mit mehreren Stühlen ist das Bild, in dem der Regisseur Anatol Preissler über kurzweilige 135 Minuten (inklusive Pause), die Geschichte der Familie Price in Zeiten des Umbruchs von sechs Schauspieler*innen erzählen lässt.
Am Beginn und nochmals am Ende dieses Schauspiels listet Rosie, die jüngste Tochter der sechsköpfigen Familie Price, ihre Liste der Dinge auf, die sie sicher weiß, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren. Wunderbar einfühlsam gespielt mit all den Facetten von Liebeskummer, Erwachsenwerden müssen und der Liebe zu ihren Eltern und den drei Geschwistern Pip (Jantje Billker), Mark (Tilmar Kuhn) und Ben (Mathias Renneisen) von Katarina Schmidt.
Die vermeintlich heile Welt der Familie gerät trotz des strengen Regiments der resoluten Mutter -– in dieser Rolle überzeugt Maria Hartmann von Anfang an und verleiht der Figur der Fran Price eine beeindruckende Durchsetzungskraft – immer mehr ins Wanken. Überraschende Geständnisse, plötzliche Wendungen und Einblicke in eine Familienstruktur, die hinter der bürgerlichen Fassade immer mehr Abgründe sichtbar werden lässt.
Alle vier Kinder haben so ihre Probleme und die Eltern sind damit größtenteils überfordert. Da ist der Liebeskummer des Nesthäkchens Rosie noch das geringste Problem. Die ältere Schwester Pip (Jantje Billker) hat sich neu verliebt – die Mutter ahnte es schon – lässt Ehemann und ihre zwei Kinder zurück und zieht nach Vancouver. Nicht nur der Liebe wegen, sondern auch, um den übermächtigen Eltern zu entfliehen. Mark (Tilmar Kuhn) fühlt sich in seinem Körper nicht wohl und will zur Frau werden – das Schlimmste, was sich Vater Bob (Gerhard Mohr) vorstellen kann. Schwulsein hätte er noch akzeptiert. Die inneren Nöte und die Anstrengung und Überwindung, die es Mark kostet, das seiner Familie zu offenbaren und bei sich zu bleiben, bringt der Schauspieler Tilmar Kuhn überzeugend über die Rampe. Bleibt noch der Sohn Ben (Mathias Renneisen), der, um mit seinen Kollegen mithalten zu können, Geld bei der Bank abgezweigt hat. Mutter Fran will ihren Sohn vor einer Gefängnisstrafe retten, indem sie mit ihrem über Jahre angesparten Geld die Schulden zurückzahlen will und damit auf eine gemeinsame Reise mit dem Ehemann (Gerhard Mohr) verzichtet.
Das Stück ist ein Stück über die oft sehr komplexen Beziehungsstrukturen in Familien und insofern auch ein Stück über uns als Zuschauende. Denn Familie kennen wir alle. Gezeigt wird Familie „in all its glory and all its horror“ – wie es der Autor Andrew Bovell in einem Interview einmal beschrieb. Die Eltern ringen um Zusammenhalt, die Kinder um Loslassen. Und alle gemeinsam um ein Miteinander dazwischen.
„Dinge, die ich sicher weiß“ zeigt die starken aber auch fesselnden Verbindungen zwischen den Geschwistern, den Eltern und den Kindern. Und das Spiel der sechs Schauspieler*innen auf der Bühne im Fritz Rémond Theater macht das überdeutlich und gut nachvollziehbar. Es ist sehr genau beobachtet und die einzelnen Charaktere sind liebevoll und präzise gezeichnet, was den Spieler*innen und dem Text große Wirksamkeit verleiht.
Anatol Preissler hat das Schauspiel temporeich (Maske von Sabine Döring und Gabriele Flaschentraeger; Kostüme von Ulla Röhrs) in Szene gesetzt. Trotz aller Dramatik sitzen die witzigen Pointen, die kleinen Gemeinheiten, treffsicher. Und die gut ausgesuchten sechs Schauspieler*innen machen den Abend zu einem beglückenden und doch auch nachdenklichen Theaterabend. Am Ende großer Applaus für ein klug gebautes Stück und eine wunderbare Ensembleleistung.
Gehen Sie hin. Gönnen sie sich diesen Theaterabend und werfen sie einen letzten Blick in dieses nun bald geschlossene Theater. Und denken sie daran: „Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere – oder ein Fenster!“
http://www.fritzremond.de/theater/spielplan.php
Letzte Änderung: 27.04.2023 | Erstellt am: 23.04.2023
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