Die Premiere der neuen Produktion von Verdis Macbeth an der Oper Frankfurt war ein Triumph der Musik: die dänische Sopranistin Signe Heiberg, die für die indisponierte Tamara Wilson als Lady Macbeth kurzfristig einsprang, und Nicholas Brownlee als Macbeth, Chor und Kinderchor und nicht zuletzt das Opernorchester sorgten für einen unvergesslichen Abend. Stefana Sabin war bei der Premiere dabei.
Im Teatro della Pergola in Florenz mit dem Komponisten am Pult 1847 uraufgeführt, war Macbeth Giuseppe Verdis zehnte Oper und, so schrieb er 1847 in einem Brief, eine seiner eigenen Lieblingsopern. Das Florentiner Premierenpublikum war begeistert, die Kritik dagegen eher zurückhaltend. In den folgenden Jahren bearbeitete Verdi die Partitur: Er fügte einen Chor im ersten und ein Ballett im dritten Akt hinzu, schrieb fast den ganzen dritten Akt um, komponierte den Eröffnungschor im vierten Akt neu, stellte die Orchestration um und änderte den Schluss des vierten Akts. Diese revidierte Fassung wurde am 21. April 1865 im Théâtre Lyrique in Paris uraufgeführt. Verdi weigerte sich, bei der Premiere dabei zu sein.
Anfang des 20. Jahrhunderts wenig gespielt, gehört Verdis Macbeth heute zum Repertoire der Opernbühnen weltweit. Es war seine erste Shakespeare-Oper und basierte auf dem gleichnamigen Drama über Aufstieg und Fall des schottischen Königs, der 1040 bis 1057 regierte. Shakespeare ging gelassen mit den historischen Ereignissen, die er den Chronicles of England, Scotland and Ireland von Raphael Holinshed (1587) entnommen hatte, um, und auch der italienische Librettist Francesco Maria Piave bearbeitete und veränderte die Handlung. Piave war Regisseur am Teatro La Fenice in Venedig und hatte für Verdi schon zwei Libretti nach literarischen Vorlagen geschrieben, als er den Auftrag für Macbeth annahm. Sein Libretto, das auf der Shakespeare-Übersetzung von Andrea Maffei basierte, straffte die Zeitspanne der Handlung, reduzierte und vereinfachte die Figurenkonstellation und stellte das Paar Macbeth und seine geteilte Machtgier in den Mittelpunkt. Es ist Verdis einzige Oper ohne Liebesgeschichte!
Tatsächlich wollte Verdi mit der Bel canto -Tradition brechen diese Oper hat keinen Schlager, wie La Traviata oder Rigoletto! Sparsame Rezitative, die manchmal sogar eine Arie unterbrechen, ein besonders dramaturgisch effektvoller Szenenaufbau (z.B. der Auftritt der Lady Macbeth: zuerst eine instrumentale Einleitung, dann ein Melodram, dann Rezitativ, gefolgt von der Kavatine, die wiederum durch ein Rezitativ unterbrochen wird, wieder Kavatine) und die Tonartendisposition verleihen der Musik eine geradezu moderne Dramatik.
Diese moderne Dramatik arbeitete das Museums- und Opernorchester unter Thomas Guggeis ausdrucksvoll heraus und verlieh der Musik eine emotionale Kraft, die sich auf Chor und Sänger übertrug. Chor und Kinderchor unter der Leitung von Manuel Pujol bildeten gewissermaßen eine Hauptfigur der Handlung: fast immer präsent, manchmal als warnende Instanz wie in einer griechischen Tragödie und manchmal als Stimmungsmacher wie im Karneval, schließlich als feindliche Menge wie in einem Kriegsstück.
Zwar ist das ein Kriegsstück ̶ Macbeth ist Kriegsherr, und es wird gekämpft und getötet und gemordet. Bei Shakespeare findet das Morden hinter den Kulissen statt, nur Macbeth wird auf der Bühne getötet. In Frankfurt wich man immer wieder davon ab, so Hans Neuenfels in seiner alptraumhaften Inszenierung von 1976, die ‚Kult’ wurde, und der katalanische Regisseur Calixto Bieito 2005, der mit einer Gewaltorgie im Bankenmillieu ebenso entsetzte wie begeisterte. In seiner aktuellen Inszenierung folgt der amerikanische Regisseur R.B. Schlather eher dem Original, insofern als er das Morden hinter die Bühne verlegt und nur Macbeth vor Publikum töten lässt.
Aber auch Schlather will von der Aktualität der Machtgier erzählen und versetzt das Geschehen in eine unklare Gegenwart: Macbeth als Oligarch im Tennisdress; das Schloss eine schicke Villa mit riesigem Empfangssalon und Luxusküche; der Wald eine Parkanlage (Bühnenbild Etienne Pluss). Vor anderthalb Jahren hatte schon der russische Regisseur Timofej Kuljabin in seiner Inszenierung des Stücks am Frankfurter Schauspiel an aktuelle russische Verhältnisse denken lassen. Schlather verdichtet diese Assoziation mit amerikanisch anmutender Dekoration (Kaminfeuer als Videoprojektion, oder Breaking News beim Schlusskampf). Es ist alles ganz nett ̶ und lenkt kaum ab von der Musik.
So war die Frankfurter Premiere wieder vor allem ein Triumph der Musik. Als Macbeth brillierte der amerikanische Bariton Nicholas Brownlee, seit der Saison 2010/2021 Ensemblemitglied, der ein musikalisch und schauspielerisch großartiges Debüt in der Titelrolle hinlegte. Dass er am Ende verzweifelt zum Kampf ̶ „La morte o la gloria“ ̶ in Unterhosen und Bademantel aufruft und dass auch Lady Macbeth in Bademantel und Pantoffeln (Kostüme Doey Lüthi) agiert, ist wohl Aktualisierung durch Trivialisierung.
Dass die Premiere überhaupt stattfand, war der dänischen Sopranistin Signe Heiberg zu verdanken, die am Vormittag aus Kopenhagen eingeflogen war und für die stimmlich indisponierte Tamara Wilson einsprang. Um das Schauspielerische zu proben, gab es keine Zeit, für das Musikalische eine knappe Stunde. So entschied sich das Regieteam für eine sogenannte Playback-Lösung: Wilson mimte die Rolle auf der Bühne, Heiberg sang die Partie vom rechten Bühnenrand her. Und sie sang mit glühender Intensität, beherrschte alle Nuancen, wechselte zwischen expressiven Tiefen und weichen Höhen. Entsprechend wurde Heiberg beim Schlussapplaus bejubelt, ebenso Brownlee und die anderen Sänger und Chor und Dirigent. Im tosenden Applaus gingen die versprengten Buhrufe für die Regiemannschaft unter, und es blieb der Eindruck eines großartigen Musikerlebnisses.
Letzte Änderung: 07.12.2024 | Erstellt am: 07.12.2024
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