Kirchenräume zwischen Fantasie und Realität
Eine Ausstellung des Frankfurter Dommuseums in Zusammenarbeit mit dem Historischen Museum Frankfurt präsentiert eine besondere Gattung der Malerei: Kircheninterieurs. Es waren Maler wie Johann Ludwig Ernst Morgenstern, Johann Friedrich Morgenstern, Carl Theodor Reiffenstein, Christian Stöcklin, Christian Georg Schütz und Johann Vögelin, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Innenräume der Frankfurter Kirchen als malerisches Sujet entdeckten und eine Art Stadtporträt anhand der Kirchen schufen. Stefana Sabin berichtet über ihre Eindrücke.
Er begann seine Malerkarriere mit der Kopie eines Epitaphiengemäldes aus der Stadtkirche in Rudolstadt: Johann Ludwig Ernst Morgenstern (1738-1819) war Maler, Radierer und Restaurator. 1772 ließ er sich in Frankfurt nieder, wo er durch Heirat das Bürgerrecht und durch Übergabe eines Meisterstücks 1776 das Meisterrecht erhielt. Das Meisterstück war ein Kircheninterieur in holländischer Manier, und es brachte Morgenstern Aufträge ein, so dass er in den folgenden Jahren unzählige solche Bilder schuf ̶ die von der Staffelei weg gekauft worden sein sollen! ̶ und damit entscheidend dazu beitrug, dass diese bis dahin ‚niederlandisierende’ Gattung zu einer Frankfurter Gattung wurde.
Die Kircheninterieurs Morgensterns stehen im Mittelpunkt einer großartigen Ausstellung, die Wolfgang Cilleßen, bis vor kurzem Kurator am Historischen Museum, zusammen mit der Restauratorin Anja Damaschke zusammengestellt hat und die noch bis Ende Januar im Kreuzgang des Doms und im benachbarten Sakristeum im Haus am Dom zu sehen ist.
Morgensterns Gemälde bestechen durch klare Perspektiven, durch genaue architektonische Details und durch subtile Lichtverhältnisse ̶ dass sie oft auf Kupfer gemalt sind, gibt den Bildern eine besondere Brillanz, wie zum Beispiel das Innere der Deutschordenskirche von 1778. Aber auch auf Eichenholz, wie das Innere der Leonhardskirche von 1782, pflegt Morgenstern scharfe Konturen bei der Darstellung der Architektur und ein feines Farbspiel bei der Wiedergabe von Licht und Schatten. Das Licht, das durch Fenster oder Kuppel herein strahlt, verleiht den Bildern die sakrale Atmosphäre und der hohe Raum mit den beeindruckenden Gewölben betont die Monumentalität, die wohl auch auf die Größe Gottes hinweisen soll. Deshalb erscheinen die Gestalten in diesem ̶ und auch in den anderen Kircheninnenräumen ̶ typischerweise klein, wie Miniaturen. Aber diese Kirchenbesucher, die ob in edlen Gewändern oder in einfacher Kleidung wie ergriffen fast statuenhaft dastehen, bringen den Alltag in den heiligen Raum. Und es ist gerade der Gegensatz zwischen der Erhabenheit des Kirchenraums und der Alltäglichkeit der Kirchenbesucher, der die besondere Stimmung dieser Bilder ausmacht.
So wie auf den Bildern von Morgenstern, Christian Stöcklin oder Johann Vögelin sehen die Frankfurter Kircheninnenräume nach Zerstörungen und Renovierungen längst nicht mehr aus! Insofern haftet der Ausstellung auch eine historisch-historisierende Dimension an, die ihr einen nostalgischen Reiz verleiht.
Weil also schon die realen Kircheninnenräume manchmal wie Fantasieinterieurs anmuten, fügen sich die tatsächlichen Fantasiekirchen in den Parcours gut ein. Morgensterns menschenleerer Interieur einer Barockkirche von 1757 wirkt fast wie ein Bild der pittura metafisica, während sein Interieur einer Renaissancekirche in ihren architektonischen Details durchaus realistisch ist.
Ein besonderes Exponat ist ein frisch restauriertes kleines Gemälde von Christian Stöcklin von 1784, das einen eklektischen Fantasiekirchenraum zeigt. Stöcklin, 1741 in Genf geboren und 1795 in Frankfurt gestorben, schuf nicht nur Kircheninterieurs, sondern auch ‚italienische’ Ruinenlandschaften, die also Kirchenruinen als Symptom der Vergänglichkeit zeigen.
Auf sehr eindrucksvolle Weise verbinden diese Bilder Architekturdarstellung mit sakraler Malerei und machen den Übergang von der barocken Tradition zum Klassizismus vor.
Raumwunder. Frankfurter Maler entdecken das Kircheninterieur. Dommuseum Frankfurt. Bis 19. Januar 2015. Katalog 29,00 Euro.
Letzte Änderung: 20.12.2024 | Erstellt am: 20.12.2024
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