Jazzgeschichte unter Vorwand

Jazzgeschichte unter Vorwand

Halloween
Halloween

Die Neugier ist bei Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Deshalb bedarf es zuweilen phantasievoller Anreize, um sie auf Wahres, Gutes und Schönes aufmerksam zu machen, – selbst wenn diese Anreize etwas abseitig wirken. Selten aber widersprachen sich Titel und Inhalt so heftig wie bei dieser CD: Spukhaus – veraltete Musik für Halloween. Thomas Rothschild preist die erstklassige Musik, die stattdessen darauf zu hören ist.

Wie gerne entdeckte ich an meinem Ort ein Lokal, in dem ich Borschtsch oder gar eine Okroschka genießen könnte, oder irgendwo in Deutschland ein Theater, in dem man Kabuki – und sei es als Gastspiel – sehen kann. Aber Russland oder Japan haben hierzulande keine Lizenz. Deutschland ist eine amerikanische Kolonie, in der McDonald’s und Pizza Hut heimischer sind als ein Würstelstand oder ein Kino, das Filme, auch aus Schweden, Tschechien oder Ungarn, in der Originalfassung zeigt.

Zu den blödesten unter den an unsäglichen Exemplaren reichen Importen aus der US-amerikanischen Kultur (wenn man das denn so nennen möchte) gehört das ursprünglich irische Halloween in seiner eben amerikanischen, also besonders idiotischen Variante. Aber man darf diesen Ersatzkarneval mit Gruselcharakter, diesen infantilen Geister- und Hexenzauber vergessen, wenn er bloß als Aufhänger für eine Anthologie von allerdings hörenswerten Jazzaufnahmen aus den Jahren 1924–1962 dient, die in hervorragender Qualität restauriert wurden.

Und so finden auf der CD mit dem Titel „Haunted House“ solche legendäre Big Bands zusammen wie unter anderem die Orchester von Louis Armstrong, Tommy Dorsey, Gene Krupa, Duke Ellington, Cab Calloway, der seinen Jahrhundert-Hit „Minnie the Moocher“ zitiert, von Artie Shaw, Jimmie Lunceford und Bobby Hackett. In kleineren Formationen begegnet man Bessie Smith, Jelly Roll Morton, Red Nichols, dem Jazz-Clown Spike Jones oder Chris Barber. Einer der schönsten Titel ist „I Put A Spell On You“ mit Screamin’ Jay Hawkins in einem effektvollen Arrangement von Leroy Kirkland.
Aus dem Zwischenbereich zwischen Jazz und Crooning liefern Bing Crosby und Frank Sinatra Beiträge. Gegen Ende überschreitet die Auswahl das Territorium des Jazz und fügt Aufnahmen von Harry Belafonte und Bobby „Boris“ Pickett aus dem Calypso- und dem Pop-Bereich hinzu, nachdem sich schon das Kingston Trio in die Anthologie geschwindelt hatte.
Kurz: vergessen Sie Halloween und freuen Sie sich über erstklassige Musik, die eine Wiederentdeckung allemal lohnt.

Letzte Änderung: 29.11.2022  |  Erstellt am: 29.11.2022

Haunted House

Vintage Music for Halloween
Label Retrospective, 1924-1962

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