Im Kapuzensweater gegen den bösen Vater

Im Kapuzensweater gegen den bösen Vater

Rossinis „Bianca e Falliero“ in Frankfurt
Szenenbild | © Barbara Aumüller

In nur einem Monat soll Gioachino Rossini die Oper „Bianca e Falliero“ geschrieben haben, die an der Mailänder Scala 1819 mit mäßigem Erfolg uraufgeführt und danach vernachlässigt wurde. Nun wird dieses Melodram an der Oper Frankfurt als familien- und staatskritisches Stück gezeigt. Stefana Sabin war bei einer Aufführung dabei.

Die Bühne ist eine Festung. Eine hohe ovale Mauer schirmt den Blick ab, dahinter, stellt sich bald heraus, ist eine zweite – und diese konzentrischen Mauern, die Karoly Risz entworfen hat, sind das einzige Bühnenbild in der Frankfurter Inszenierung der Rossini-Oper „Bianca e Falliero“. Die Handlung spielt in Venedig im 17. Jahrhundert, als die Stadtrepublik einen Coup des spanischen Botschafters gerade noch abwenden konnte und neue Sicherheitsgesetze gegen Verschwörung und Verrat erläßt. So suggerieren die Mauern, die sich fast beliebig drehen und teilen lassen, sich immer wieder öffnen und schließen, sowohl die labyrinthische Geographie der Lagunenstadt, als auch die schützende Abgewandtheit des Zeitgeistes.

Als sich diese Mauern das erste Mal öffnen, feiert das Volk die Aufdeckung der spanischen Verschwörung und bejubelt den zurückgekehrten siegreichen General Falliero. Er und Bianca, die Tochter Contarenos, sind ineinander verliebt. Aber während Bianca sich über die Rückkehr ihres Geliebten freut, wird sie von ihrem Vater Contareno, Senator in Venedig, dem jungen Capellio, seinerseits Senator, zur Sicherung der eigenen Position zur Frau angeboten. Von da an ist Bianca eine Zerrissene. Sie schwankt zwischen der Pflicht, dem Vater zu gehorchen, und dem Wunsch nach der Erfüllung ihrer Liebe – und die Mauern schließen sich, schließen sie ein und aus und machen die oppressive Stimmung spürbar, unter der Bianca leidet. Denn von ihrem Vater wird sie misshandelt und von ihrem Geliebten bedrängt. Unter dem gesellschaftlichen Druck scheint sie sich schließlich dem Vater zu fügen. Aber als Falliero auf der Flucht vor ihrem Vater im Garten des spanischen Botschafters erwischt wird und nach den neuen Gesetzen zum Tode verurteilt werden soll, macht sie einen emanzipatorischen Riesenschritt, tritt vor die drei Richter (die Oper heißt ja „Bianca e Falliero, ossia Il Consiglio dei Tre“ – Bianca und Falliero oder Der Rat der Drei) und sagt zu seinen Gunsten aus. Die Strenge des Staates beugt sich vor der Liebe einer Frau. Der Vater muss aufgeben, die beiden Geliebten können heiraten.

Aber gerade dieses lieto fine, dieses Fast-Happyend dekonstruiert Tilmann Köhler in seiner Frankfurter Inszenierung, indem er Bianca den tyrannischen Männern entzieht: Köhlers Bianca kettet Vater und Geliebten aneinander und bleibt selbst allein, aber frei. So gelingt Köhler eine der Zeit angemessene Deutung: Eine Frau findet zu sich selbst, indem sie sich den repressiven Familien- und Staatsverhältnissen widersetzt. Diese zeitgenössische Dimension wird auch durch die Kostüme (Susanne Uhl) getragen, die Alltagskleidung bzw. modernen Guerillaoutfits nachempfunden sind: Falliero tritt in Tarnhemd und Cargohose als General, Bianca mit Kapuzensweater auf, als sie vor den Richtern aussagt, die ihrerseits in modern anmutenden Richterroben gekleidet sind.

Es sind, wie oft an der Frankfurter Oper, das Orchester und die Sänger, die die Aufführung tragen. Giuliano Carella, ständiger Leiter des Kammerorchesters „I Solisti Veneti“, führt das Opernorchester mit fester Leichtigkeit durch die federnde Musik Rossinis. In der Rolle der Bianca gibt die amerikanische Sopranistin Heather Phillips ihr Debüt in Frankfurt und erntet für die vielen Koloraturarien ebenso begeisterten Applaus wie die schottische Mezzosopranistin Beth Taylor in der (Hosen)Rolle des Falliero. Die Ensemble-Mitglieder Kihwan Sim als Capellio und Theo Lebow als böser Vater Contareno bewältigen bravourös ihre Koloraturen. Tatsächlich sollen die technisch komplexe Komposition für die Hauptstimmen und die Anforderungen an die Sänger der Grund dafür gewesen sein, dass die Oper nach der Uraufführung 1819 in Mailand seltener als die anderen Opern Rossinis inszeniert wurde. Nach der Wiederaufführung beim Rossini Festival in Pesaro 1986 wurde „Bianca e Falliero“ gewissermaßen aus der Musikgeschichte zurückgeholt und kann jetzt in Frankfurt wiederentdeckt werden.

Szenenbild | © Foto: Barbara Aumüller

Letzte Änderung: 07.03.2022  |  Erstellt am: 07.03.2022

Szenenbild | © Foto: Barbara Aumüller

BIANCA E FALLIERO
GIOACHINO ROSSINI 1792–1868
Melodramma in zwei Akten
Text von Felice Romani nach Antoine Vincent Arnault
Uraufführung 1819, Teatro alla Scala, Mailand

In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Weitere Vorstellungen am 11., 17., 19. Und 26. März 2022

Musikalische Leitung
Giuliano Carella

Inszenierung
Tilmann Köhler

Bühnenbild
Karoly Risz

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Siehe auch:
Oper Frankfurt

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