Ein Ehedrama mit tödlichem Ende

Ein Ehedrama mit tödlichem Ende

Händels Oratorium „Herkules“ in Frankfurt
Paula Murrihy (Dejanira) und Anthony Robin Schneider (Hercules) | © Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

Händel hätte sich bestimmt gefreut, dass sein zu Lebzeiten unpopuläres Werk „Herkules“ nun an der Oper Frankfurt zum großen Erfolg wurde. Denn die sparsame und suggestive Inszenierung von Barrie Kosky und die großartige sängerische und schauspielerische Leistung von Paula Murrihy und Elena Villalón machten das musikalisch eher monotone Oratorium zu einem spannenden und regelrecht opernhaften Ehedrama. Stefana Sabin war dabei.

In römischen Gebetsräumen, also Oratorien – von lat. oratorium, it. oratorio – entwickelte sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine musikalische Gattung, die entsprechend ihrem Entstehungs- und Aufführungsort Oratorium genannt wurde und geistliche oder mythologische Stoffe behandelte. Traditionell wurden Oratorien konzertant in Kirchen aufgeführt. Im Europa des 17. Jahrhunderts erfuhr das Oratorium große Verbreitung und gelangte auch nach England dank Georg Friedrich Händel, der 20 von seinen insgesamt 25 Oratorien in London uraufführte – nicht immer erfolgreich!

Zu Händels schlimmsten Misserfolgen gehörte das Oratorium „Herkules“, das 1745 im King’s Theatre am Haymarket uraufgeführt und nur wenige Tage später vom Programm wieder abgesetzt wurde. Zweimal versuchte Händel, das Werk wieder aufzunehmen beide Male erfolglos. Erst im 19. Jahrhundert wurde das Werk wieder gespielt, und erst im 20. Jahrhundert wurde es gewissermassen als Oper wiederentdeckt tatsächlich hatte Händel sein Oratorium „a new musical drama“ genannt.

Wegen einer megalomanischen Inszenierung (elf Chöre und zwei Sinfonieorchester) bei der nationalsozialistischen Olympiade 1936 in der (heutigen) Berliner Waldbühne geriet das Werk wieder in Ungnade und wurde erst im 21. Jahrhundert durch Luc Bondys Inszenierungen in Paris 2004 und London 2006 und Alessandro De Marichis Inszenierung bei den Händel-Festspielen in Halle 2005 rehabilitiert. Mit der schönen neuen Inszenierung von Barrie Kosky an der Oper Frankfurt könnte nun Händels Oratorium einen Weg ins Opernrepertoire finden.

Kosky verzichtet auf jeden Heldenkitsch und lässt das Ehedrama zwischen dem aus dem Krieg zurückgekehrten Herkules und seiner eifersüchtigen Gemahlin Dejanira auf einer leicht schiefen, überbelichteten Bühne spielen, die nach hinten durch einen hellen Tüll-Vorhang abgegrenzt wird (Bühne und Kostüme: Katrin Lea Tag) und auf der als einzige Requisite im 1. Teil eine lila Couch und im 2. Teil eine Herkules-Statue steht.

Paula Murrihy (Dejanira; links mit gestreifter Bluse) und Chor der Oper Frankfurt | © Foto: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

Als siegreicher und abgekämpfter Guerillero mit Bärengang und starker Stimme kehrt Koskys Herkules, verkörpert durch Anthony Robin Schneider, zu seiner Gemahlin Dejanira zurück und versteht die Stimmungs- und Gefühlswandlungen nicht, die die Mezzosopranistin Paula Murrihy stimmlich und schauspielerisch mit beeindruckender Kraft vorführt. Zwar warnt Iole, die schöne Kriegsgefangene, die die kubanisch-amerikanische Sopranistin Elena Villalón in ihrem Debut als Ensemblemitglied an der Oper Frankfurt mit klirrend frischer und wandlungsfähiger Stimme gibt, dass Eifersucht das Ende der Liebe und des Seelenfriedens ist, aber Dejanira kann nicht anders, und schließlich endet ihr Versuch, Herkules’ Liebe auffrischen zu lassen, tödlich. Wie selten auf der Opernbühne ist es hier der Tenor, der in langen herzzerreissenden Szenen und Arien stirbt. Dennoch gibt es einen Hauch von happy end, als Iole die Liebe von Hyllus, dem Sohn des Herkules, den Michael Porter souverän gibt, annimmt.

Zu den eindrucksvollsten Szenen dieser sparsam klugen Inszenierung gehören die meisterhaft choreographierten Auftritte des Chors, den Kosky nicht nur gattungsgemäß als Erzähler und Kommentator des Geschehens einsetzt, sondern auch als treibende und gestalterische Kraft (Chorleitung: Tilman Michael) und der beim Schlussapplaus für seine großartige Leistung entsprechend großzügig belohnt wurde.

Viel Applaus bei der Premiere bekamen neben den Sängern auch das Orchester und der Dirigent Laurence Cummings, der als renommierter Vertreter historischer Aufführungspraxis die Stimmungen Händelscher Musik mit barocker Genauigkeit und moderner Sensibilität herausgearbeitet hatte.
 
 
Siehe auch:
Barrie Koskys Und Vorhang auf, hallo!

Letzte Änderung: 21.05.2023  |  Erstellt am: 03.05.2023

Anthony Robin Schneider (Hercules; vorne liegend) und Chor der Oper Frankfurt | © Foto: Monika Rittershaus/Oper Frankfurt

HERCULES
GEORG FRIEDRICH HÄNDEL
Musikdrama in drei Akten
Text von Thomas Broughton

Musikalische Leitung, Cembalo
Laurence Cummings
Inszenierung
Barrie Kosky
Bühnenbild, Kostüme
Katrin Lea Tag
Licht
Joachim Klein
Chor
Tilman Michael
Dramaturgie
Zsolt Horpácsy

Hercules
Anthony Robin Schneider
Dejanira
Paula Murrihy
Hyllus
Michael Porter
Iole
Elena Villalón
Lichas
Kelsey Lauritano
Der Priester des Jupiter
Erik van Heyningen

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

Weitere Aufführungen am
03., 06., 14., 18., 21. Und 26. Mai 2023

Oper Frankfurt

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