Wer einmal im Irrenhaus – heute trägt das Haus einen anderen Namen – ist, kann sagen, was er will. Er gilt vermutlich nicht als zurechnungsfähig, kann also auch nicht belangt werden. Deshalb siedelten russische Autoren ihr kritisch-phantastisches Romangeschehen nicht selten im Irrenhaus an. Dennoch ließ die Zensur Michail Bulgakows „Meister und Margarita“ nur in gekürzter Fassung erscheinen. Armin Petras hat eine eigene Version des Stoffes auf die Augsburger Bühne gebracht, und Walter H. Krämer hat sie mit Vergnügen gesehen.
Zum ersten Mal und in eigener Bühnenfassung – Fassung von Sabeth Braun und Armin Petras nach der Übersetzung von Alexander Nitzberg – inszeniert Regisseur Armin Petras „Meister und Margarita“ nach Michail Bulgakows gleichnamigem Roman am Staatstheater Augsburg. Durch den Einsatz von (Live-)Video, einer eigens komponierten Soundkulisse (Philipp Weber), historisch-üppigen Kostümen (Philipp Basener) und einer opulenten, drehbaren Bühne (Kathrin Frosch) wird die Inszenierung zu einem bildstarken Schauspiel mit großem Ensemble auf kleiner Bühne.
Der russische Schriftsteller Michail Bulgakow (1891-1940) arbeitete von 1928 bis zu seinem Tod an dem Roman „Der Meister und Margarita“. Dieser wurde aufgrund seiner Kritik an politischen Realitäten in der Sowjetunion erst 1973 in unzensierter Form veröffentlicht und kann als Bulgakows Lebenswerk mit biografischen Bezügen betrachtet werden.
Der Roman mit über 500 Seiten – erstmalig 1990 auf Deutsch in einer vollständigen Ausgabe erschienen – erreichte alsbald Kultstatus. Im Stil des „magischen Realismus“ gehalten, enthält das Buch sowohl fantastische Elemente – wie den berühmt gewordenen sprechenden Kater und fliegende Hexen – sowie ein satirisches Abbild der stalinistischen Gewalt- und Bürokratiegesellschaft.
Der Teufel, der sich Woland (Robert Kuchenbuch) nennt und als Sachverständiger für schwarze Magie ausgibt, besucht die Großstadt Moskau. Als erstes trifft er auf den jungen Schriftsteller Besdomney (Paul Langemann) und den Redakteur und Vorstandvorsitzenden der Autorenvereinigung Massolit Berlioz (Gerald Fiedler). Beide leugnen die Existenz Gottes und somit auch die des Teufels. Nicht zufällig ist in der Augsburger Inszenierung von „Meister und Margarita“ in großen Lettern zu lesen „Gott ist tot“ – allerdings in russischer Sprache! Woland (Robert Kuchenbuch) bringt gemeinsam mit seinem „Gefolge“, dem unter anderem der sprechende Kater Behemoth (Andrej Kaminsky) angehört, ordentlich Aufregung in die Stadt und wird ihnen die Existenz Gottes und des Teufels – ganz entgegen der veröffentlichten Meinung – schon noch beweisen.
Berlioz (Gerhard Fiedler) gerät, wie vom Teufel vorausgesagt, unter die Straßenbahn und verliert seinen Kopf. Besdomney (Paul Langemann) versucht nun, seine Mitmenschen von der Existenz des Teufels zu überzeugen, landet aber dafür in der Psychiatrie. Dort trifft er auf den Meister (Sebastian Müller-Stahl), einen Mitpatienten und Autor eines unvollendeten Romans über Pontius Pilatus, dessen Manuskript er längst verbrannt hat. Zumindest glaubt er das, bis ihm die Zauberkünste des Teufels eines Besseren belehren, und er das Manuskript wieder in Händen hält.
Während der Arbeit an seinem Roman über Pontius Pilatus hatte er Margarita, eine junge, reiche und verheiratete Frau kennengelernt, und sie wurde seine Geliebte. Durch sie hatte der den Mut, sein Werk zu veröffentlichen, scheiterte aber kläglich an den Literaturkritikern und Theaterbürokraten.
Über Pontius Pilatus nachzudenken, hatte für den Meister schwerwiegende Folgen. Sein Roman – eine Gefahr für das Regime – wird durch die Kritik „verrissen“ und der Autor ist der Verfolgung durch Presse und Zensur ausgesetzt. Er wird als „Gottesschmierer“ und „Popenknecht“ verunglimpft, verschwindet in Gefängnis und landet schließlich in der Irrenanstalt.
Genau diese Mitläufer und Handlanger des Systems sucht Woland mit seiner Truppe heim. Nicht nur, dass sie kurzerhand die Wohnung des Theaterintendanten Latunski okkupieren und dafür sorgen, dass dieser sich in Jalta wiederfindet, auch haben sie dessen Theater in Besitz genommen und veranstalten dort eine Varieté Show der besonderen Art.
Der Roman „Meister und Margarita“ ist bevölkert mit Antihelden und Bulgakow zeigt insbesondere bei den beiden Protagonisten Meister und Margarita vor allem ihre Zerrissenheit, ihre menschlichen Schwächen und ihre Sehnsucht nach Freiheit auf. Der Roman gilt als Bulgakows Hauptwerk und zeichnet sich durch eine große Bild- und Sprachkraft aus – eine Einladung, ihn für die Bühne zu bearbeiten und zu inszenieren.
In der Figur des Meisters finden sich viele biografische Bezüge zu Bulgakow. Nicht nur, dass er wie der Meister, am System scheiterte und ab 1930 keines seiner Werke mehr in der Sowjetunion veröffentlichen konnte, auch die Figur der Margarita hat er seiner dritten Ehefrau Jelena nachempfunden. Auch die Frage nach passendem Wohnraum verfolgte ihn – und auch das wird im Roman und in der Inszenierung thematisiert.
Neben einer intensiven Auseinandersetzung mit Goethes Faust – Textpassagen aus Goethes Faust sind in die Inszenierung eingeflossen – finden sich eine Reihe literarischer und musikalischer Anspielungen in dem Roman.
Die Mitwirkenden an der Augsburger Inszenierung nehmen sich auch die Freiheit, Texte selbst zu schreiben und als sognannte Fremdtexte in die Inszenierung zu integrieren. Daran zeigt sich einmal mehr, wie intensiv sich das Ensemble mit dem Text und dessen Umsetzung auf der Bühne beschäftigt hat und eigene Gedanken mit ins Spiel bringt. Der Text „Woland lädt Margarita zum Vollmondball“ wurde von Armin Petras geschrieben, der Text über Angst ist von Ute Fiedler und wird auch von ihr gesprochen, der Monolog von Fagot ist von Florian Gerteis selbst, und er verwendet Textpassagen aus dem Film „Joker“.
„Meister und Margarita“ wird gerne für die Bühne adaptiert, bietet der Roman doch einen reichen Fundus vielfältiger Möglichkeiten. Zu Beginn steht allerdings immer eine Entscheidung an: was will man mit dem Roman erzählen und was überhaupt erzählen. Der Roman enthält viele Erzählebenen und Erzählstränge und setzt sich kritisch mit der Gesellschaft unter Stalin auseinander. Eine Entscheidung des Regieteams, auf den Erzählstrang mit Jesus und Pontius Pilatus zu verzichten und sich ganz auf die Aktivitäten des Teufels und seiner Kumpane und die Liebesgeschichte zwischen dem Meister und Margarita (Katja Sieder) zu konzentrieren, erweist sich als klug. Das eröffnet klare und eindeutige Spielmöglichkeiten auf der dann doch sehr kleinen Bühne der brechtbühne im ehemaligen Gaswerk Augsburg.Auf der Bühne steht ein Haus mit zwei Etagen, Wendeltreppen und der Möglichkeit, dieses Haus mittels menschlicher Muskelkraft – die technischen Voraussetzungen für eine Drehbühne sind in dieser Ausweichspielstätte des Augsburger Staatstheaters nicht vorhanden – zu drehen und so Einblicke in unterschiedliche Räume zu geben (Bühne und Bühnenbild von Katrin Frosch). Das klappt wunderbar und macht deutlich, dass auch ein vermeintlich armes Theater künstlerischen Reichtum zu bieten hat, wenn er sich den Menschen anvertraut.
Bei den Figuren streicht das Regieteam einige und legt welche zusammen. So ist der Teufel in dieser Inszenierung nur mit zwei weiteren Gesellen unterwegs – nicht mit vier wie im Roman geschrieben. Auch das eine kluge Entscheidung für diesen Abend. Die Teufelsbande verweist auf den aktuellen Zustand der Welt, wenn die drei beispielsweise auf der Theaterbühne stehend einen genauen Blick auf das Publikum werfen, um die Laster und Schwächen der Moskauer Bevölkerung zu entlarven. In dieser Szene wird das reale Publikum für eine Szene lang zum Publikum im Stück und somit Teil der Handlung – also nichts mit nur Zurücklehnen und Genießen, sondern man ist auch gemeint und fühlt sich vielleicht ertappt.
Die Schauspieler*innen sind allesamt wunderbar anzusehen und bringen die Geschichte zum Leuchten. Sie singen, tanzen, sprechen, spielen und geben den Figuren teils karikaturhafte Züge. Ihre Wandlungsfähigkeit stellen sie auch dadurch unter Beweis, dass einige der Schauspieler*innen gleich mehrere Rollen spielen.
Phantasievolle Kostüme (Kostüme + Maske: Philipp Basener) mit Realitätsbezug und Anklang an die Mode zur Lebenszeit von Bulgakow sowie ausgefallene Frisuren und Augen betonte Schminke zeichnen und unterstreichen die starken Charaktere der Figuren.
Margarita (Katja Sieber), zur Hexe geworden, – Woland hatte ihr für diese Verwandlung eine Hexensalbe überbringen lassen – fliegt über die Dächer von Moskau, verwüstet ganz nebenbei die Wohnung eines Literaturkritikers und bringt als Ballkönigin das Partyvolk in Wallung und mittels Technobeat zum Tanzen. Ihre Spielfreude steckt an und macht gute Laune beim Zuschauen.
Fagot (gespielt von Florian Geris) ist eine Figur, in der die fehlenden Mitglieder der Teufelstruppe zusammengefasst sind, begeistert durch akrobatisches und pantomimisches Können und teuflisches Grinsen. Das Herstellen eines Werkvertrages für Woland mittels Geräusche, Mimik und Gestik gerät ihm als kleines Kabinettstück.
Klaus Müller als Doktor Strawinski zelebriert die Aufnahme eines neuen Patienten und seine getragene und verlangsamte Sprache ist hohe Sprachkunst, macht den Irrsinn im Irrenhaus deutlich und lässt die Unerträglichkeit für die Insassen ahnen.
Armin Petras gelingt mit dieser Inszenierung eine eindrucksvolle Parabel über Macht und Unterdrückung und holt die Geschichte in die Gegenwart. Plötzlich hängt ein Portrait von Putin – war es nicht Minuten zuvor noch eines von Stalin – an der Wand des Krankenzimmers, und Flugzeuge donnern mittels Videotechnik durch den Theater- und Bühnenraum. Hier wird eine Geschichte aus vergangenen Zeiten mit dem Blick und der Erfahrung von heute erzählt. So dezidiert politisch sah ich „Meister und Margarita“ selten.
Die großartigen Schauspieler*innen sorgen mit geballter Kraft, Energie, Spielfreude und Präsenz dafür, dass die gut drei Stunden dauernde Aufführung wie im Flug vergeht – nicht nur Margarita kann fliegen! – und auf intelligente Art unterhaltsam, kurzweilig und inspirierend ist und nachhaltig wirkt. Wahrlich das Beste, was ein Theaterabend leisten kann und sollte.
Letzte Änderung: 14.02.2024 | Erstellt am: 14.02.2024
Meister und Margarita
nach Michail Bulgakow
• Inszenierung Armin Petras
• Bühne Kathrin Frosch
• Kostüme Philipp Basener
• Musik Philipp Weber
• Video Maria Tomoiagă
• Licht Günter Zaworka
• Dramaturgie Sabeth Braun
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• Margarita Katja Sieder
• Meister Sebastian Müller-Stahl
• Iwan Besdomny Paul Langemann
• Woland Robert Kuchenbuch
• Fagot Florian Gerteis
• Kater Behemoth Andrej Kaminsky / Valentin Erb
• Berlioz/Stjopa/Bossoi/Bengalski Gerald Fiedler
• Doktor Strawinski Klaus Müller
• Krankenschwester/Sokow/Frieda Ute Fiedler
• Krankenschwester/Natascha Mirjana Milosavljević
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• Mitglieder des Literaturbetriebs/Bevölkerung Moskaus/Chor/Teufelsballgäste Ensemble
Nächste Termine in der brechtbühne im Gaswerk:
13.03. + 9. + 17.04. + 29.05.2024 – jeweils 19:30 Uhr
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