Der Held als gequältes Wesen

Der Held als gequältes Wesen

Luigi Dallapiccolas „Ulisse“ in Frankfurt
Dallapiccola Ulisse | © Barbara Aumüller

Nach der Uraufführung in Berlin 1968 wurde Luigi Dallapiccolas Oper Ulisse nur noch zwei Mal inszeniert, 1980 in Oldenburg und 1986 in Turin. Jetzt gibt es an der Oper Frankfurt eine neue Inszenierung, die die melancholische Stimmung des komplexen Werks ins Alberne wendet, findet Stefana Sabin. Dennoch ist die Inszenierung eine Gelegenheit, einen Klassiker der Moderne kennenzulernen.

Er gilt als einer der großen italienischen Komponisten der Moderne: Luigi Dallapiccola, 1904 auf Istrien geboren und 1975 in Florenz gestorben, hat die Zwölftontechnik in Italien eingeführt und abgewandelt und den Bachschen Kontrapunkt gewissermaßen italianisiert. Dallapiccola war sehr produktiv und hat etwa vier Dutzend Werke hinterlassen – wobei Vokalmusik eine herausragende Stellung in seinem Werk einnimmt und seine Opern als Klassiker der Moderne gelten.

Seine vielleicht bekannteste Oper, sein opus summum, wie es im Wikipedia-Eintrag heißt, ist Ulisse eine Oper in einem Prolog und zwei Akten, die 1968 an der Deutschen Oper Berlin unter der Leitung von Lorin Maazel uraufgeführt wurde – und überraschenderweise dem Publikum mehr zu gefallen schien als der Kritik, die darin sowohl das Ende als auch die Erneuerung der Gattung sah.

Tatsächlich ist Dallapiccolas Oper alles andere als amüsant: eine dodekaphonische Musik, die Reihentechnik und Motivwiederholungen verwendet und Hörgewohnheiten irritiert; eine ereignisarme, spannungslose Handlung, die um die Titelfigur kreist; eine melancholische, ja düstere Grundstimmung, die von Ulisses’ existentiellen Selbstzweifeln bestimmt ist. Er wollte, notierte Dallapiccola im Programmheft der Uraufführung, die legendäre Gestalt des Odysseus auf ein menschliches Format herunterstutzen, daraus also ein gequältes Wesen machen, wie es jeder denkende Mensch ist.

Diesen denkenden Menschen gibt in der Frankfurter Inszenierung der kanadische Bariton Iain MacNeil, seit 2019 Ensemblemitglied, und es gelingt ihm, sich über alle Unzulänglichkeiten der Regie hinwegzusetzen und die Aufführung zu einem musikalischen Ereignis zu machen. MacNeil, aber ebenso der Altistin Katharina Magiera als Kirke und Melantho und der Sopranistin Juanita Lascaro als Calypso und Penelope (Dallapiccola hatte vorgesehen, dass diese Partien durch dieselben Sängerinnen besetzt werden sollen) ist es zu verdanken, dass man die Inszenierung aushält.

Dallapiccola Ulisse | © Foto: Barbara Aumüller

Denn Tatjana Gürbaca, die 2003 an der Volksoper in Wien Dallapiccolas Einakter Il Prigioniero inszeniert hat, greift zu komischen, ja albernen Elementen, wenn sie im ersten Akt König Alkinoos im weißen Anzug als Zeremonienmeister herumtänzeln oder wenn sie im zweiten Akt die Freier um Penelope als Partygrobiane in faschingsartigen Hosen mit Glitzerbesatz im Genitalbereich agieren läßt. Gürbaca macht aus dem introvertierten, nachdenklichen Ulisse einen blasierten Weltenbummler, der unterwegs flüchtige Affären – mit Kalypso, Nausikaa, Kirke – hat und sich in einem ständigen Trubel bewegt. Auch der epiphanische Moment am Schluß, als Ulisse zu einer höheren Erkenntnis – Dallapiccola: „l’intuizione di Dio“ – gelangt, geht in diesem Trubel verloren. Dass Gürbaca die düstere Stimmung der Oper, also des Libretto, so konsequent ignoriert, ist umso merkwürdiger, als sie, wie aus Interviews erkennbar, die subtile Dimension des Textes (er)kennt.

Dallapiccolas Libretto ist ein engmaschiges Gewebe aus literarischen und mythologischen Anspielungen, Zitaten, Paraphrasen – es ist Text und Metatext zugleich, wie Caroline Lüderssen in einer akribischen Analyse dargestellt hat. (Dass man in Frankfurt die Übersetzung singt, die Karl-Heinrich Kreith für die Uraufführung im sprichwörtlichen Operndeutsch angefertigt hatte, ist nicht nachvollziehbar.) Zwar gehen die Episoden, die Dallapiccola verarbeitet hat, auf die homerische Geschichte zurück, aber sein Verständnis der Figur ist in der italienischen Tradition verankert, die Odysseus gemäß Dante nicht als Helden, sondern als einen Suchenden, Zweifelnden und Verzweifelnden sieht – einen „eroe di nuovo stile“, einen Helden neuen Stils, wie Dallapiccola selbst in einem Interview einmal gesagt hat. „Denn vor dem Hintergrund der starken geistigen Aufladung des Opernstoffes“, so Lüderssen, „ist Dallapiccolas Figur des Ulisse aus dem mythologischen Zusammenhang herausgelöst und als paradigmatisch für den Menschen zu sehen.“

Die Partitur, sagt der Dirigent der Frankfurter Aufführung, Francesco Lanzillotta, sei ein Philosophiebuch über das Menschsein. Lanzillotta führt das Orchester mit feinem Gespür für die filigranen melodischen Strukturen und läßt große Opernmusik erklingen.
 
 
 
 
Die nächsten Aufführungen:
1., 7., 10., 15. Juli 2022

Letzte Änderung: 28.06.2022  |  Erstellt am: 28.06.2022

Dallapiccola Ulisse | © Foto: Barbara Aumüller
LUIGI DALLAPICCOLA: ULISSE

Premiere / Frankfurter Erstaufführung vom 26. Juni 2022
Oper in einem Prolog und zwei Akten
Text vom Komponisten
Übersetzung aus dem Italienischen von Carl-Heinrich Kreith
In deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Musikalische Leitung: Francesco Lanzillotta
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühnenbild, Licht: Klaus Grünberg
Kostüme: Silke Willrett
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Maximilian Enderle

Oper Frankfurt

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Kommentare

Walter H. schreibt
Es ist lobenswert, dass sich die Oper Frankfurt immer wieder auch mit zeitgenössischen Opern beschäftigt. Gleichwohl sollte man hier besonders achtsam sein bei der Auswahl des Regieteams und sich die Frage stellen, kann dieses Team auch dem philosophischen und musikalischen Gehalt eines Werkes gerecht werden / dem Komponisten und dem Librettisten auf Augenhöhe begegnen? Neugier und die Bereitschaft, sich auf Neues, auf neue Klänge einzulassen, sollte man als Opernbescher*in unbedingt mitbringen. Gerade bei neuer Musik, einer Musik, die für unsere Ohren ungewohnt ist, braucht es Gewöhnung und eine besondere Sorgfalt bei der Umsetzung auf die Bühne, um für die Zuschauer*innen den Zugang zu dieser Art von Musik zu erleichtern. Dies war aus unserer Sicht bei der Inszenierung von „Ulisse“ nicht gegeben. Das „Philosophiebuch über das Menschsein“ (Francesco Lanzillotta) eher zugeklappt. Nichts zu spüren durch und in der Inszenierung von der geistigen Aufladung des Opernstoffes – stattdessen mehr oder weniger Albernheiten, die in keiner Weise hilfreich waren, einen Zugang zum Stoff und der Musik zu finden. Auch der Versuch, Potential und Mittel des Theaters durch offene Umzüge und Verwandlungen sichtbar zu machen damit die Zuschauer*innen die Verfertigung der Szenerien und Figuren nachvollziehen können, wirkte eher störend und letztlich auch albern – so als wüssten wir Zuschauer*innen nicht schon bevor wir ein Opernhaus betreten, dass es sich um Theater handelt. So gesehen wirkte die Inszenierung eher abschreckend in Bezug auf neue Musik und moderne Kompositionen, als motivierend, sich diesen Klangfarben auszusetzen. Schade eigentlich.
Christiane Gaussmann schreibt
Noch einmal mein Kommentar, nur kürzer, vielleicht findet er noch seinen Weg...In Düsseldorf gab es den Odysseus 1969/70 an der Deutschen Oper am Rhein in Deutsch wie damals üblich. Inszenierung: Georg Reinhardt, ML: Günter Wich.

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