Der Komponist schrieb das Libretto selbst. Es wurde eine Komödie mit nationalistischer Botschaft: Wenn man die deutschen Meister ehrt, ‚zerging in Dunst das heil’ge röm’sche Reich, uns bliebe gleich die heil’ge deutsche Kunst’. Johannes Erath inszeniert Wagners Meistersinger an der Oper Frankfurt als traumwandlerische, dunkel-groteske Posse. Stefana Sabin war auf der Premiere.
„Der Hans Sachs, der war ein Schuh / macher und Poet dazu“, lautet ein Knittelvers aus dem 16. Jahrhundert. Tatsächlich war Hans Sachs, 1494 in Nürnberg geboren und ebenda 1576 gestorben, von Beruf aus Schuhmacher, aber er war auch Mitglied der Meistersingerzunft und ein zu Lebzeiten geradezu populärer Dichter, der Tausende von Fastnachtsspielen, Schwänken, Dramen, Gedichten und Prosadialogen geschrieben hat.
Bekannt aber ist dieser Hans Sachs vor allem als Operngestalt: als Hauptfigur in Richard Wagners „Meistersinger[n] von Nürnberg“. Als Gegenstück zum romantisch-tragischen „Tannhäuser“ sind die „Meistersinger“ Wagners einzige komische Oper, deren erste Skizze 1845 in Marienbad und letzte Fassung 1862 in Paris entstand, die 1868 in München uraufgeführt wurde. Wie im „Tannhäuser“ geht es auch in den „Meistersingern“ um einen Sängerwettstreit, allerdings ohne mythologische und metaphysische Anspielungen, und anders auch als im „Tannhäuser“ findet die Liebesgeschichte ein glückliches Ende.
Die Handlung ist eigentlich einfach. Der verarmte Ritter Walther von Stolzing verliebt sich in Eva, die Tochter des Goldschmieds Pogner, aber um sie heiraten zu können, muss er erst in die Zunft der Meistersinger von Nürnberg aufgenommen werden. Beim Vorsingen wird Walther, dessen Lied den tradierten Regeln des Meistersangs nicht entspricht, auf Betreiben des Stadtschreibers Beckmesser trotz der Unterstützung durch den Schusterdichter Hans Sachs abgelehnt. Dann misslingt ein Fluchtversuch der Liebenden, so dass sich Walther – nach einiger Überzeugungsarbeit von Hans Sachs – erneut der Zunft stellt und diesmal aufgenommen wird. Denn Sachs denkt sich ein subtiles Spiel aus, um „den Wahn fein zu lenken“ und seine Zunftbrüder von der neuen Kunst Walthers zu überzeugen. Bis zuletzt zaudert Walther: „von der Zunft und ihren Meistern / wollt sich mein Traumbild nicht begeistern.“ Aber da weist Hans Sachs ihn zurück: „Verachtet mir die Meister nicht, / und ehrt mir ihre Kunst! / Was ihnen hoch zum Lobe spricht, / fiel reichlich Euch zur Gunst.“
In der neuen Frankfurter Inszenierung von Johannes Erath hält Hans Sachs diese programmatische Rede für die Bewahrung der Tradition in der neuen Dichtung an der Rampe dem Publikum zugesandt vor, hinter ihm der Chor als bunte Menschenmasse, über die in großen Lettern zuerst GERMANIA und schließlich nur MANIA aufleuchtet. Das ist einer der vielen Gags der Inszenierung, die den Stoff zu einer eher abstrakt anachronistischen Geschichte zu machen versucht und die trotz der vielen Anspielungen auf Frühling und Blumen, nicht nur in Walthers Preislied, auf einer kargen Bühne meist im Dunkel spielt.
Denn anders als Christoph Nel in seiner legendären Inszenierung von 1993, der den Singwettbewerb und die ästhetische Auseinandersetzung zwischen dem Traditionalisten Hans Sachs und dem Erneuerer Walther als bitterböse Parabel auf die deutsche Geschichte in gleißender Helligkeit hatte entfalten lassen, pflegt Erath die Dunkelheit. Auch er kommt ohne romantisierende Verklärung aus und inszeniert eine albtraumwandlerische Groteske, dessen Deutung allerdings regelrecht im Dunkel bleibt.
Zwar erzeugt die aufspaltbare Drehbühne von Kaspar Glarner immer wieder schöne Bilder, so zum Beispiel im ersten Aufzug, wenn die alten weißen Männer der Meistersingerzunft auf Hochsitzen von oben herab das harte Urteil über Walther verkünden. Auch die große dunkelgraue Leinwand, auf der Geschriebenes projiziert wird und an eine Manuskriptseite erinnert, ist ein schöner Einfall. Aber alle Anspielungen – auf das Musical „Cabaret“ (wenn sich die Meistersinger im Frack auf schwarzen Stühlen recken) oder auf Becketts „Endspiel“ (wenn Beckmesser und Hans Sachs neben Mülltonnen sich aneinander reiben) – fügen sich nicht zu einer stringenten Deutung.
So ist der Star der Aufführung das Opernorchester unter Generalmusikdirektor Sebastian Weigle, der in dieser, seiner fünfzehnten und letzten Frankfurter Spielzeit am Pult steht. Weigle, der in Bayreuth die „Meistersinger“ fünf Jahre lang dirigiert hat, arbeitet das Kammermusikalische und das Polyphone heraus und macht die Komplexität der Komposition erkennbar. Nicholas Brownlee gibt einen schauspielerisch und stimmlich ebenso bemerkenswerten Hans Sachs, und Michael Nagy ist ein manchmal ulkiger und manchmal leicht lächerlicher Beckmesser, während AJ Gluckert als weiße Traumgestalt Walther von Stolzing eher enttäuscht. Wie schon in der Wiederaufnahme der Nel-Inszenierung von 2006 ist Claudia Mahnke eine wandelbare Magdalene, während Magdalena Hinterdobler in ihrem Rollendebut als Eva eher blaß bleibt. Und der Opernchor unter Tilman Michael bestätigt, dass er zu Recht zum Chor des Jahres gekrönt wurde.
Das Premierenpublikum belohnte die Solisten, den Chor und das Orchester mit viel Applaus und zeigte sein Unverständnis der Inszenierungsmannschaft gegenüber mit unüberhörbaren Buhrufen.
Letzte Änderung: 08.11.2022 | Erstellt am: 08.11.2022
DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG
RICHARD WAGNER 1813–1883
Oper in drei Aufzügen
Text vom Komponisten
Uraufführung 1868, Nationaltheater, München
OPER FRANKFURT
Musikalische Leitung:
Sebastian Weigle
Inszenierung:
Johannes Erath
Bühnenbild:
Kaspar Glarner
Kostüme:
Herbert Murauer
Weitere Aufführungen:
20. und 27. November,
03., 09. Und 17. Dezember 2022
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