Auf dem laufenden Band

Auf dem laufenden Band

Ohad Naharins „Last Work“ mit dem Hessischen Staatsballett Darmstadt
Last Work. Hessisches Staatsballett | © Andreas Etter

Ob nicht doch noch nach dem letzten Werk ein allerletztes folgt, lässt sich beim ersteren nicht mit Sicherheit sagen. „Last Work“ heißt das ursprünglich für die Batsheva Dance Company in Israel geschaffene Stück aus dem Jahr 2015, das der jetzt siebzigjährige israelische Choreograph Ohad Naharin mit der Company des Hessischen Staatsballetts einstudiert hat. Die Premiere in Darmstadt, die Walter H. Krämer besucht hat, war am 7. Oktober, die in Wiesbaden folgt im November.

Wir haben das Jahr 2023, und es ist gottseidank nicht das letzte Werk von Ohad Naharin – aber nach „Sadeh21“ die zweite abendfüllende Choreographie von Ohad Naharin, die das Hessische Staatsballett in sein Repertoire aufnimmt und auf die Bühne bringt.

Einstudiert wurde es von Rachael Osborne und Ian Robinson, beides ehemalige Tänzer*innen der Batsheva Dance Company, die bei Uraufführung 2015 selbst auf der Bühne standen und daher bestens geeignet, die Schritte an eine neue Generation von Tänzer*innen weiterzugeben. Ein Prinzip, das sich auch beim Tanztheater Wuppertal Pina Bausch wiederfindet, wo Einstudierungen ebenfalls von ehemaligen Tänzer*innen der Company angeleitet und durchgeführt werden und damit eine größtmögliche Annäherung an das Original erreichen.

„Gaga“ heißt die von Naharin entwickelte Bewegungssprache, mit der sich auch die Tänzer*innen des Hessischen Staatsballetts vertraut machen mussten und nun gekonnt auf der Bühne umsetzen. Mit weitausgreifenden Körperbewegungen, tiefen Ausfallschritten und Zitaten traditioneller israelischer Tanzformationen entsteht ein beeindruckender Tanzabend. Unterstützt und getragen von den elektronischen Klängen des deutschen Musikers und DJs Grischa Lichtenberger und dem Lichtdesign von Avi Yona Bueno (Bambi), loten die Tänzer und Tänzerinnen auf der Bühne von Zohar Shoef und in den Kostümen von Eri Nakamura in „Last Work“ den eigenen Körper und dessen Bewegungsmuster aus, jenseits der Grammatik des klassischen Tanzes. 17 Tänzer*innen plus einer Läuferin bewegen sich in der für Ohad Naharin typischen Bewegungssprache (Gaga) auf der Bühne.

Keine letzte Arbeit und doch weht ein Hauch des Vergänglichen durch diesen Abend. Im Hintergrund auf einem Laufband eine Tänzerin/Läuferin im blauen Kleid (bei der Premiere am 7.10. war dies Vanessa Shield). Immer wieder ein Blickfang, verbunden mit dem Gedanken, ob sie es bis zum Ende durchhält. Sie hält durch auf ihrer schier unendlichen Strecke ohne jemals voranzukommen. Sie bleibt alleine und einsam bis auch sie schlussendlich mittels Klebeband mit den anderen verbunden wird.

Gruppenformationen stehen vereinzelten Körpern gegenüber. Kontakte entstehen eher beiläufig. Es gibt Begegnungen, die in sich Gewalt tragen oder thematisieren. Auch sexualisierte Gewalt. So entstehen immer wieder Szenen und Bilder, die nicht eindeutig sind, sondern viele Assoziationsräume beim Zuschauen öffnen können. Abhängig auch von aktuellen Begebenheiten und Ereignissen. Kunst und Kultur eben nicht im politikfreien Raum, sondern immer mitgedacht.

Last Work. Hessisches Staatsballett | © Foto: Andreas Etter

Aus mal langsam fließenden, mal abrupten Bewegungen entsteht eine unglaublich dichte Choreographie, die von der ganzen Bühne Besitz ergreift. Naharin und seinen Tänzer*innen geht es dabei um die tänzerische Umsetzung eines scheinbar unendlichen Spektrums von Gefühlen und Empfindungen. Wie im Selbstlauf entfalten die Tänzerinnen und Tänzer ihre Virtuosität im Umgang mit ihrem Körper. Das engagierte, noch immer sehr aktuelle Werk bleibt ganz bewusst rätselhaft, indem es sich jenseits eines vertrauten Tanzvokabulars bewegt.

Es bedurfte eines wochenlangen Trainings für fünf Tänzerinnen – der Choreograf bestand auf Tänzerinnen! – bis sie imstande waren, das einstündige Laufen auf dem Band durchzuhalten. Den Blick geradeaus, eine Stunde lang im selben absolut gleichmäßigen Tempo das Gleichgewicht halten – ganz ohne Haltegriff. Die Läuferin ist das Zentrum der Aufführung, auf den sich der Blick der Zuschauer immer wieder richten und fokussieren kann. Sie ist immer da, während die übrigen Tänzer*innen immer wieder durch Seitenausgänge ein- und ausgehen. Die einzelnen Szenen sind vielfältig – nicht alles lässt sich – schon gar nicht beim einmaligen Sehen – entschlüsseln. Das Stück hat sowohl meditative als auch rhythmische Momente. Die Musik steigert sich gegen Ende in Rhythmus und Lautstärke und Techno Sound beschallt Bühne und Zuschauerraum. Klänge und Rhythmen, die selbst dem Zuschauer in die Beine und Glieder fahren. „Last Work“ ist einmal mehr eine faszinierende Mischung aus Bewegung, Musik, Raum, Licht und Klang und ein weiteres Juwel im Repertoire des Hessischen Staatsballetts.

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https://www.hessisches-staatsballett.de/de/spielplan/

Aufführungstermine im Staatstheater Darmstadt am 21. + 28. Oktober 2023

Premiere in Wiesbaden am Staatstheater ist am 18.11. Weitere Aufführungen dann am 24. + 26.11. + 2. + 8. + 13.12. 2023 + 5. +. 17.01.2024
https://www.hessisches-staatsballett.de/de/stuecke/last-work/

Letzte Änderung: 18.10.2023  |  Erstellt am: 18.10.2023

BRD/Israel/Schweden/Niederlande/Holland, 2015
FSK ab 0 freigegeben
Bestellnummer: 4268661
Erscheinungstermin: 23.9.2016

Genre: Dokumentation, Biografie
Spieldauer: 99 Min.
Regie: Tomer Heymann
Darsteller: Ohad Naharin
Originaltitel: Mr. Gaga
Sprache: Englisch, Hebräisch
Tonformat: Dolby Digital 5.1
Bild: Widescreen
Untertitel: Deutsch, Englisch

Mr. Gaga | © Andreas Etter

Ohad Naharin Mr. Gaga

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