Wenn, wie so oft, unbeugsame Künstlerpersönlichkeiten gepriesen werden, vergessen sich leicht die vielen beugsamen, die auch in autoritären Machtverhältnissen eine Chance für ihre Karriere wittern. Thomas Rothschild hat sich in Wien und Berlin Ausstellungen angesehen, die anhand der Reichskammer der bildenden Künste und der auserwählten, von der Wehrmacht befreiten Künstler historische Details anbieten.
Ausstellungen in Wien und Berlin zur NS-Kunstpolitik und zu den „Gottbegnadeten“
76 Jahre sind seit dem Ende des nationalsozialistischen Regimes (nicht unbedingt des Nationalsozialismus) vergangen. Von den damals aktiv Beteiligten lebt kaum mehr eine oder einer. Nach 1945 wurden kaum welche zur Rechenschaft gezogen. Viele von ihnen genossen ein unbeschwertes Dasein, nicht wenige von der Gesellschaft und den Regierenden geehrt und mit Orden versehen. Die einst vor ihnen flüchten mussten, sah man lieber weiterhin im Exil als in der Heimat, aus der man sie vertrieben hatte. Und wenn doch einer zurückkehrte und seinen Quälgeist von einst nicht grüßen wollte, wunderte der sich wie Helmut Qualtingers Herr Karl: „Jetzt ist er bös, der Tennenbaum“.
Jetzt also, da es niemandem mehr schaden kann, erinnern Publikationen und Ausstellungen an die Schandtaten, deren Täter inzwischen so immun und so entfernt sind wie die Marodeure des Dreißigjährigen Kriegs. Wer sich nach Gerechtigkeit sehnt, wird auf diese wohlgemeinten Unterfangen eher mit Bitterkeit oder mit Sarkasmus reagieren als mit Befriedigung. Sie gewährleisten noch nicht einmal jene Genugtuung, die sich in einem Witz der Jude davon verspricht, dass er im Kaffeehaus auf die Frage „Ist die Zeitung frei?“ antwortet: „Für Sie nicht, Herr Hitler“.
Das Wien Museum, das wegen längerfristiger Umbauten in ein Provisorium gleich neben dem Rathaus gezogen ist, zeigt bis zum 24. April 2022 eine Ausstellung mit dem Titel „Auf Linie. NS-Kunstpolitik in Wien“ und dem präzisierenden, zugleich einschränkenden Untertitel „Die Reichskammer der bildenden Künste“. Genauer betrachtet, handelt es sich um eine ziemlich unappetitliche Dokumentation von Anbiederung, Opportunismus und Gemeinheit, der Kehrseite von Verbot und Repression. Das Klischee vom Künstler als notorischem Oppositionellen wird hier als Legende decouvriert. Mit der devoten Haltung des Kriechers wollten viele Anteil haben an den neuen Machtverhältnissen, und sie scheuten sich nicht, andere, Begabtere, wenn nicht durch Denunziation, durch Schweigen, zu verdrängen und ihrem tragischen Schicksal zu überlassen. Darin waren und sind die Österreicher den Deutschen sogar überlegen. Sie mussten sich ja nach dem Anschluss als die besseren, also hinterhältigeren Deutschen profilieren. Die Institution, die über das Schicksal bildender Künstler entschied, war die Reichskammer. Ihre und ihres regionalem Leiters Leopold Blauensteiners Macht wird in der Ausstellung drastisch veranschaulicht.
Zu den eifrigsten Strebern gehörte Rudolf Hermann Eisenmenger, der in die Liste der Gottbegnadeten – siehe unten – aufgenommen wurde. Nach dem Krieg wurde er als „minderbelastet“ eingestuft und bekam 1955 (!) den prestigeträchtigen Auftrag, den Eisernen Vorhang der wiedereröffneten Staatsoper zu gestalten. In der Zweiten Republik trafen die eifrigsten Nazis dann auf ihre Gegner von gestern, die Anhänger von Dollfuß und seinem nicht eben demokratischen Ständestaat.
Das Deutsche Historische Museum in Berlin zeigt bis zum 5. Dezember 2021 eine Ausstellung mit dem Titel „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“. Sie benennt schon im Untertitel, was gemeinhin verschleiert wird: die Kontinuität über den angeblichen Neuanfang von 1945 hinaus. Josef Goebbels’ durch Hitlers „Führerliste“ ergänzte Gottbegnadeten-Liste enthielt die Namen jener Künstler, die in der Endphase des Zweiten Weltkriegs vom Einzug zur Wehrmacht befreit waren, weil sie dem NS-Staat als unverzichtbar erschienen (was im Umkehrschluss bedeutet: alle Eingezogenen waren für ihn verzichtbar).
Die Ausstellung beschränkt sich auf einige wenige bildende Künstler. Entsprechende Auskünfte über Schriftsteller, Schauspieler und Musiker des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik muss man sich zusammensuchen. Für die ausgewählten Künstler ist die Dokumentation umfangreich und detailgenau. Man könnte auf die Idee kommen, dass es sich bei diesem Unternehmen um ein spiegelbildliches Gegenstück zur Ausstellung über „Entartete Kunst“ 1937 in München handle. Diese Spitzfindigkeit freilich übersähe zwei fundamentale Unterschiede: Die als Gottbegnadete geadelten Künstler wurden, anders als die so genannten „Entarteten“ zu ihrer Zeit, auch nach 1945 nicht verfolgt oder gar ins Exil gejagt oder ermordet; und ihre Werke, ob in den Jahren des Nationalsozialismus oder danach entstanden, ob bei unveränderter Ästhetik oder mit opportunistischer moderater Anpassung an die Nachkriegsmoderne, wurden und werden, anders als die von den Nazis verfemten Bilder und Skulpturen, von einer Mehrheit der Bevölkerung, keineswegs nur von Nazi-Sympathisanten, sondern auch von Linken, eher mit Zustimmung als mit Ablehnung beurteilt. Genau darin liegt das Dilemma der Berliner Ausstellung: Sie dürfte weniger zur Abschreckung dienen und zu Empörung Anlass geben als zu der Frage, was denn an diesen Kunstwerken auszusetzen sei.
In Wien hat man kürzlich entdeckt, dass der Spruch „Es gibt nur einen Adel, den Adel der Arbeit” an der Wand eines Gemeindebaus mitten in der Stadt, der im Katalog der Ausstellung „Auf Linie“ eine ganze Seite füllt, also kein verborgenes Geheimnis war, aus der Nazi-Zeit stammt. Hand auf’s Herz: Wer würde Gift darauf nehmen, dass er hinter dieser „Kunst am Bau“ einen sozialdemokratischen Autor ausschlösse?
Letzte Änderung: 02.02.2022 | Erstellt am: 11.11.2021
Wien Museum:
NS Kunstpolitik in Wien
Dauer der Ausstellung:
14. Oktober 2021 – 24. April 2022
Deutsches Historisches Museum:
Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik
Dauer der Ausstellung:
27. August – 5. Dezember 2021
Ingrid Holzschuh und Sabine Plakolm-Forsthuber Auf Linie - NS Kunstpolitik in Wien
Farb- und Schwarzweißabbildungen,
Paperback, 344 Seiten
Birkhäuser Verlag
Herausgegeben von: Wolfgang Brauneis und Raphael Gross für das Deutsche Historische Museum
Berlin, München 2021, 216 Seiten, Museumsausgabe (nur online erhältlich)
ca. 135 Abbildungen