JUDITHA TRIUMPHANS

JUDITHA TRIUMPHANS

Staatsoper Stuttgart
Rachael Wilson (Juditha), Stine Marie Fischer (Holofernes), Chor der Staatsoper Stuttgart | © Martin Sigmund

„Juditha triumphans“ ist Antonio Vivaldis einzig erhaltenes Oratorium und wird jetzt – da sind sich Kritiker und Kritikerinnen einig – in Stuttgart „grandios“ und von Regisseurin Silvia Costa „hochpoetisch choreografiert“ in Szene gesetzt. Walter H. Krämer war dabei.

„Juditha triumphans devicta Holofernis barbarie – Die über die Barbarei des Holofernes triumphierende Judith“ erzählt eine Geschichte aus den biblischen Apokryphen. Es geht dabei um den kriegerischen Konflikt zwischen Judäa und den Assyrern. Um ihn zu beenden, tötet die Jüdin Judith den „barbarischen“ Assyrer Holofernes.

Antonio Vivaldi zeigt dabei den inneren Konflikt, den die Jüdin Judith durchlebt, bevor sie, um ihr Volk zu retten, dem assyrischen Feldherren Holofernes den Kopf abschlägt. Im Jahr 1716 galt es, in Venedig einen glorreichen Sieg zu feiern: die venezianische Armee konnte die osmanischen Truppen endgültig in die Flucht schlagen.
Ein musikalischer Höhepunkt der Siegesfeiern war dabei die Aufführung eines Oratoriums von Antonio Vivaldi am Ospedale della Pietà, einem der vier venezianischen Waisenhäuser, die elternlosen Mädchen Zuflucht und eine fundierte musikalische Ausbildung ermöglichten.

An der Staatsoper Stuttgart wird nun nicht die mehr oder weniger bekannte Geschichte selbst erzählt, sondern die Aufführung erzählt bildgewaltig in klaren Farben davon, wie eine Gemeinschaft von Frauen sie sich in offenbar eingeübten Szenen vergegenwärtigen.
Durch die betörend martialische Musik stellte Vivaldi das Selbstbewusstsein Venedigs allegorisch als „weiblich-temperiert“ dar – nur wenn sie in die Defensive gedrängt und sich verteidigen müssen, treten sie aggressiv auf.

Bei der Uraufführung am Mädchen-Waisenhaus des Ospedale della Pietà musizierten und sangen ausschließlich junge Frauen – hinter Gittern und Gazen verborgen. Diese Aufführungspraxis greift die Regisseurin in Stuttgart auf, indem sie u.a. auch die Rolle des Holofernes mit einer Frau besetzt und der Chor nur aus Frauen besteht.

Antonio Vivaldis „Juditha triumphans“ ist ein Stück über eine starke Frau und als Allegorie auf das siegreiche Venedig zu lesen: Als die israelische Stadt Bethulien vom assyrischen General Holofernes belagert wird und die Not immer größer wird, begibt sich die junge jüdische Witwe Judith zu Holofernes. Ihre Schönheit weckt sein Begehren, sie stellt ihm eine Liebesnacht in Aussicht, macht ihn aber beim Abendessen betrunken. Als er einschläft, schlägt sie ihm mit seinem eigenen Schwert den Kopf ab und bringt diesen als Siegestrophäe in ihre Stadt – Bethulien ist befreit. Ganz nebenbei wird hier auch die Frage nach der Berechtigung eines Tyrannenmordes thematisiert.

Silvia Costa inszeniert das Oratorium ritualhaft als eine Folge von Bildern aus sehr weiblicher Perspektive und eröffnet damit neue Interpretations- und Assoziationsräume für die Betrachtung des Werkes. Man gewinnt durch die Inszenierung den Eindruck, einer Messe beizuwohnen. Ursprünglich wurde ein Oratorium nur konzertant aufgeführt und die Inhalte konzentrierten sich meist auf geistliche Geschichten. Interessant ist denn auch in Stuttgart, dass das Oratorium wie eine Oper in Szene gesetzt wird und nicht wie ursprünglich in kirchlichen Räumen, sondern in einem Theater aufgeführt wird. Ein Gewinn sowohl für den Komponisten und sein Werk als auch für die Oper.

Das mit alten Instrumenten spielende Orchester der Staatsoper Stuttgart bringt die Musik unter Leitung von Benjamin Bayl in den hellsten Farben zum Klingen und ist damit auch ein wahrer Hörgenuss.

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Hier noch der Hinweis auf das Gemälde – Judith und Holofernes – von Artemisia Gentileschi und das Buch von Peter Schneider, Vivaldi und seine Töchter. In diesem Roman begibt sich der Autor auf die Spur des geweihten Priesters und Musikers Antonio Vivaldi im barocken Venedig. Und entdeckt dabei ein nahezu unbekanntes Werk des Maestros: Sein ganzes Leben lang hat der “prete rosso” an einem Waisenhaus gearbeitet und mit den musikalisch begabten Mädchen das erste Frauenorchester Europas gegründet.

Judith und Holofernes, Gemälde von Artemisia Gentileschi

Letzte Änderung: 20.02.2022  |  Erstellt am: 20.02.2022

Weitere Vorstellungen an der Staatsoper Stuttgart:

6. / 10. / 12. März 2022

www.staatsoper-stuttgart.de

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