Graffiti gelten als Kunst mit einem eigenen stilistischen Kanon, einer ausdifferenzierten Gruppenästhetik, Stars und konkurrierenden Nacheiferern. Walter H. Krämer hat die wundersamen und manchmal rätselhaften Gemälde im öffentlichen Raum fotografiert und kommentiert. Nicht alle Graffiti oder Murals sind noch zu finden – denn das Sprühen auf Häuserwände, Betonmauern und Zäune ist eine kurzlebige Kunst. Hier ist die fünfzehnte Sammlung, diesmal aus Kopenhagen.
Zehn Stadtviertel und die Freistadt Christiania machen das Stadtgebiet von Kopenhagen aus. Die Viertel sind – wie man sich unschwer vorstellen kann – sehr unterschiedlich und ein Besuch in der Freistadt Christiania ein eindrückliches Erlebnis und nach wie vor eine Touristenattraktion.
Auf der Suche nach Graffiti bin ich dort und wesentlich in den Stadtteilen Vesterbro und Nørrebro fündig geworden.
Vesterbro wandelte sich in den letzten Jahren vom schmuddeligen Rotlichtviertel zum „hippen“ Szeneviertel und ist zugleich das Viertel, in dem die Dichterin Tove Ditlevsen (1917 – 1977) geboren wurde und in dem der Tove Ditlevsen Gedenkgarten zum Verweilen einlädt. Tove Ditlevsen ist derzeit mit ihrer Kopenhagen Trilogie sehr angesagt und etliche Theater adaptieren die Romane bereits. Autofiktionales Schreiben ist eben gerade „in“!
Hier drei Graffiti, die mir beim Flanieren durch den Stadtteil Vesterbro entlang der Istedgade aufgefallen sind:
Das Stadtviertel Nørrebro ist wohl derzeit der größte „Aufsteiger“ unter den zehn Stadtvierteln. Parks wurden revitalisiert oder neue gestaltet. Wohnraumsanierungen oft im Einklang mit Bewohner*innen geschaffen und der Zuzug junger Menschen aus dem eher studentisch-alternativen Milieu sorgten für eine demografische und intellektuell-kreative Veränderung des Viertels. Das Viertel ist ein wahrer Schmelztiegel der Kulturen, es ist sogar das kulturell vielfältigste Viertel in Kopenhagen. Mit Lebensmitteln aus aller Welt und kreativen Räumen in Hülle und Fülle taucht man hier in eine ganz andere Welt ein als in der Innenstadt. Mit dem Superkilen Park wurde ein öffentlich urbaner Raum gestaltet, der von allen genutzt werden kann und dazu dienen soll, die soziale Interaktion unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu fördern.
Die Freistadt Christiania in Kopenhagen ist bekannt als entspannte Hippie-Gemeinde und berüchtigt für ihre Drogenmeile. Letztere wird immer stärker von Gangs dominiert.
Einwohner der Kopenhagener Freistadt Christiania haben aus Protest gegen kriminelle Gangs im August 2023 die Eingänge zur berüchtigten Drogengasse der alternativen Wohnsiedlung blockiert. “Die Aktion findet in der Hoffnung statt, Christiania von der Tyrannei der Banden und Rocker zu befreien”, erklärte die Gruppe.
Sie protestierte damit gegen eine Reihe von Gewalttaten rund um die sogenannte Pusher Street, die mit dem Einfluss im Drogengeschäft zu tun hatten. „Die organisierte Kriminalität saugt die Energie aus all den positiven Dingen, die wir in Christiania gerne wollen“, stellten die Bewohner*innen der Freistadt klar. Sie hätten Angst und fühlten sich machtlos. An Politik und Polizei gewandt fragten sie: : „Warum schließt ihr die Pusher Street nicht einfach? Weil ihr nicht wollt? Oder weil ihr nicht könnt?“
Die Geschichte von Christiania als selbst ernannte Freistadt in Dänemarks Hauptstadt Kopenhagen reicht ins Jahr 1971 zurück. Damals besetzten Tausende Alternative und Hippies das stillgelegte Kasernengelände, das rund 34 Hektar groß ist und im Stadtteil Christianshavn liegt. Ab 1972 unterließ Kopenhagen die Versuche, das Gelände zu räumen. Christiania wurde zu einem sozialen Experiment erklärt. Im Gegenzug gaben die Besetzer nach und wollten künftig für Strom, Wasser und andere Nebenkosten aufkommen.
Die autonome Freistadt Christiania ist über 50 Jahre alt und zählt neben dem Hafen Nyhavn und der Statue der Kleinen Meerjungfrau zu den großen Touristenmagneten von Kopenhagen und ist auch ein Ort voll mit zum Teil wunderbaren und künstlerisch ansprechenden Graffiti.
Über die beiden untenstehenden Links erfährt man Interessantes über die wechselvolle Geschichte des Ortes, den Auseinandersetzungen mit der Politik, Rockern, Dealern und den Umgang mit Drogen, Handwerk und Kunst.
https://www.nordkap-nach-suedkap.de/christiania-freistadt-mitten-in-kopenhagen/
https://www.youtube.com/watch?v=kvlaOaZ6awk
Die Graffitis habe ich in der Zeit vom 8. bis 15. August 2023 in den Stadtteilen Vesterbro, Nørrebro und in der Freistadt Christiania fotografiert.
Alle Fotos © Walter H. Krämer
Letzte Änderung: 04.10.2023 | Erstellt am: 04.10.2023
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