Graffiti gelten als Kunst mit einem eigenen stilistischen Kanon, einer ausdifferenzierten Gruppenästhetik, Stars und konkurrierenden Nacheiferern. Walter H. Krämer hat die wundersamen und manchmal rätselhaften Gemälde im öffentlichen Raum der Metropole Frankfurt fotografiert und kommentiert. Nicht alle Graffiti oder Murals sind noch zu finden – denn das Sprühen auf Häuserwände, Betonmauern und Zäune ist eine kurzlebige Kunst. Hier ist die elfte Sammlung.
Naxos Atelier
Jugendladen Bornheim
Das NAXOSATELIER befindet sich in der Naxoshalle im Frankfurter Ostend und ist dort – neben dem Theater Willy Praml und der Werkstatt der Künstlerin E.R. NELE – gut aufgehoben.
Steigt man in das erste Obergeschoss der Halle, öffnet sich der Atelierraum. Auf ungefähr 300qm ist ausreichend Platz für diverse Sitzecken, Kicker und Billardtisch, Schreib- und Arbeitstische – auch für Computer, Boxsack und Theaterfundus, eine Menge Künstlerbedarf, und eine Kaffeebar.
Zur Verwirklichung dieses besonderen Ortes hat nicht nur der Jugendladen Bornheim, die Stadt Frankfurt, das KJFH und die Kooperation mit anderen Ämtern und Institutionen, sondern vor allen Dingen die angesprochene Zielgruppe selbst beigetragen.
Seit 2001 arbeitet ein Team aus Sozialarbeiter*innen und Künstler*innen – derzeit zwei Stellen mit 39 Stunden und einer Honorarkraft – in der Naxoshalle und unterstützt die Jugendlichen in einer der aufregendsten Zeiten ihres Lebens. Das Angebot richtet sich an Jugendliche und junge Erwachsenen im Alter von 12 bis 27 Jahren. Angesprochen werden Menschen aus unterschiedlichen Lebenszusammenhängen wie Schule, Familie, Peergroup, Ausbildung, Job und Beruf.
Sozialarbeit verbunden mit Kunst / Graffitikunst ist hier ein erfolgreiches Konzept. Frust, Aggression, Selbstzweifel und Trauer, aber auch Lebenslust, Freude und die erste Liebe wird hier in Kunst verwandelt. Die eigene schöpferische Ausdrucksweise und die damit verbundene positive Rückmeldung der Gruppe sowie des Teams, ermöglicht es den Jugendlichen, sich zu öffnen, über sich zu reden und Hilfe zulassen. Das Ausüben der Kunst selbst trägt zu einem individuellen Prozess der Jugendlichen bei. Durch das Erlernen des „künstlerischen Denkens“ wird ihnen die Möglichkeit gegeben, den Alltag mit anderen Augen wahrzunehmen und diesen kreativ zu meistern.
Seit 20 Jahren mit „der Dose in der Hand“ – so formuliert von der Sozialarbeiter- und Künstlerin India Nagler – eröffnen sich hier für junge Menschen und die Szene neue Perspektiven. Etliche Stars der heutigen Graffiti Szene haben hier ihre ersten Sprühversuche unternommen, sind mittlerweile etabliert und angekommen in der Kunstwelt. Oft entsteht hier auch ein spannender Diskurs zwischen denen, die sich nicht verkaufen und sich an die „Regeln“ der Subkultur halten und den „Auftragsmaler*innen“.
Jeden Mittwoch gibt es ein Offenes Atelier im Hinterhof der Naxoshalle – hier können sich die Jugendlichen – noch immer meist männlichen Geschlechts, doch der Anteil der Mädchen und Frauen wird größer – an Containern und Hauswänden ausprobieren. Übermalt man ein schon fertig gesprühtes Werk – was erlaubt ist – so ist es ein Zeichen von Respekt, es wenigstens auf einem Foto festzuhalten und so der Nachwelt und dem Künstler / der Künstlerin zu erhalten.
Daneben gibt es noch den Ratswegkreisel und die Flächen unter der Friedensbrücke, die das NAXOSATELIER zur Verfügung stellt.
Nicht alles ist eitel Sonnenschein rund um die Naxohalle. Seit sich dort betuchte Menschen die dort entstandenen Eigentumswohnungen gekauft haben und darin wohnen, fühlen sich einige von den Aktivitäten der Jugendlichen gestört. Einmal ist es die Lautstärke, ein andermal der vermeintliche mitternächtliche Lärm oder gar der Geruch der Farben.
Einige der Graffitikünstler*innen*innen meiden seitdem diesen Ort und sind weitergezogen – sie fühlten sich unter permanenter Beobachtung.
Doch letztlich – trotz ab und an entstehender Konflikte – ist das NAXOSATELIER ein Gewinn für viele Seiten und ein Ort, an dem Kunst und Sozialarbeit eine wahrhaft erfolgreiche Verbindung eingehen.
Man kann sich den Hof der Naxoshalle vorstellen wie eine große Bühne – eingerahmt von der alten Fabrikhalle, einem Fabrikschornstein, Mauerwerk und den neu entstandenen Eigentumswohnungen.
Auf dieser Bühne tummeln sich Jugendliche, die ihrer Leidenschaft mit der Dose in der Hand nachgehen. Hier wird in der Regel auf Containerwände gesprüht und dabei entstehen wundersame Gemälde, Bilder, Schriften – manche überdauern jahrelang, andere verschwinden schon nach einer Woche.
Immer wieder entstehen neue Motive, und alte Motiv werden übermalt: Gut also, immer wieder einmal dort vorbeizuschauen.
Nicht gern gesehen wird das Besprühen von Mauerwerk oder gar das der für viel Geld sanierten Fenster.
Den Jugendladen „Naxos Atelier“ gibt es seit mehr als 20 Jahren. Aufgebaut von Sozialpädagogen, sollen sich Jugendliche beim Sprayen, Musik machen oder Grillen frei entfalten können.
Auch etablierte Künstler wie Justus Becker sind Stammgäste: „Das ist ein ganz besonderer Ort für Jugendliche, um sich zu inspirieren, selber Sachen auszuprobieren. Es ist ein wahnsinnig cooler Platz, den es zu meiner Jugend noch nicht gab“, schwärmt der Frankfurter.
Der Hof der Naxoshalle also ein kreativer Ort, der manch großartiges Werk hervorbringt. Und ein Besuch im Hinterhof der Naxoshalle in Frankfurt ist immer wieder ein lohnendes Ziel. Denn dort ist in Sachen Graffiti immer irgendwas Schönes zu entdecken. Also: Vorhang auf für die NaxosGraffitiBühne!
Letzte Änderung: 23.07.2023 | Erstellt am: 22.07.2023
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