Zeichen an der Wand (IV)

Zeichen an der Wand (IV)

Graffiti in Frankfurt
Walter H. Krämer

Graffiti gelten als Kunst mit einem eigenen stilistischen Kanon, einer ausdifferenzierten Gruppenästhetik, Stars und konkurrierenden Nacheiferern. Walter H. Krämer hat die wundersamen und manchmal rätselhaften Gemälde im öffentlichen Raum der Metropole Frankfurt fotografiert und kommentiert. Nicht alle Graffiti oder Murals sind noch zu finden – denn das Sprühen auf Häuserwände, Betonmauern und Zäune ist eine kurzlebige Kunst. Hier ist die vierte Sammlung.

Es is kaa Stadt uff der weite Welt,
die merr so wie mei Frankfort gefällt,
un es will merr net in mein Kopp enei,
wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!

Friedrich Stoltze

Wem gehört die Stadt? oder: Stadt für alle!

Parolen, die ein Licht auf die Stadt werfen und unbedingt diskussionswürdig sind. Noch ist nichts entschieden. Oder doch?
 
 

Manche Bilder vergisst man nicht! Das Foto des dreijährigen Aylan Kurdi wird für lange Zeit verbunden sein mit dem Tod und Leid der Flüchtlinge insgesamt und dem Versagen Europas im Umgang mit Geflüchteten. Aylan Kurdi starb auf der Flucht mit seiner Familie im Mittelmeer.
Der Junge liegt da, mit seinen Turnschuhen, blauer Hose, rotem Hemd. Der Arm seitlich angelegt, der Kopf dem Meer zugewandt, mutterseelenallein.
In diesem Meer, im Mittelmeer, ist der dreijährige Aylan ertrunken. Dieses Meer, das in der römischen Antike mare nostrum – unser Meer – genannt wurde, hat ihn angespült. Bald jeden Tag sterben hier Menschen auf der Flucht nach Europa. Und das Meer wird zum Massengrab. der Flucht nach Europa. Und das Meer wird zum Massengrab.
Mit diesem Bild wird sich das Elend, die Not und der Tod der Flüchtlinge auf lange Zeit verbinden. Der tote Junge am Strand, den wir nur von hinten sehen, wird zum Sinnbild der Katastrophe. Er kannte keinen Frieden und war sein ganzes, kurzes Leben auf der Flucht.
Zwei Graffiti-Künstler – Justus Becker und Oguz Sen – haben das Bild jetzt in Frankfurt am Main am Osthafen flächendeckend an eine 120qm große Wand gemalt. In einem Interview bekräftigten sie, dass sie den Jungen abbilden wollten, um das Problem visuell bis an die Haustür zu bringen, „weil es die Leute ja erst dann interessiert”.
Zuerst wollte man das Foto gar nicht umsetzen, hat sich dann aber doch gegenüber den menschenverachtenden Tendenzen, die momentan wieder in ganz Europa zu spüren sind, dazu entschieden, die Fotografie als panoptisches Großformatbild umzusetzen
Eine gut sechs Meter hohe Hafenmole trennt die Schiffseinfahrt zum Industriehafen von Frankfurt am Main vom eigentlichen Flussbett. Bis Anfang März bot die mächtige Mauer der Mole unmittelbar am Flussufer wenig Gesprächsstoff. Doch dann bekamen die Frankfurter Sprayer Justus Becker und Oguz Sen die Genehmigung, die gut 120 Quadratmeter große Fläche künstlerisch zu gestalten. Als Vorlage wählten sie das wohl weltweit berühmteste Foto der Flüchtlingsbewegungen des vergangenen Jahres. Es zeigt den dreijährigen syrischen Jungen Aylan Kurdi, der tot mit dem Gesicht nach unten am Strand von Bodrum an der türkischen Küste liegt.

40 Stunden hatten die Künstler im Frühjahr bereits an der ersten Version des Bildes gearbeitet. Sie hatten das Sprühen immer wieder unterbrechen müssen. Auch, weil die Zuschauer heftig reagiert hatten, nicht nur positiv, berichteten die Sprayer später.
Das riesige Wandgemälde nicht weit vom neuen EZB-Hochhaus wurde in Frankfurt viel beachtet – dann wurde es vor einigen Wochen mit rechten Parolen übersprüht. Das 20 mal 6 Meter große Graffito im Osthafen sei zu einem großen Teil mit silberner Farbe überstrichen und der Parole „Grenzen retten Leben!“ überschrieben worden, teilte eine Sprecherin der Polizei am Mittwochmorgen mit. Klein daneben stehen die Worte „Fuck Antifa“.

Jetzt haben die beiden Künstler Becker und Sen ein neues Wandbild an gleicher Stelle gestaltet: Es zeigt den kleinen Flüchtlingsjungen Aylan Kurdi nun aufrecht – zwar weiterhin mit geschlossenen Augen, aber auch lächelnd in einer fiktiven Paradieswelt über den Wolken, umgeben von Teddybären.

Auf den Dächern muss die Freiheit wohl grenzenlos sein! oder: Super Mario und Spiderman lassen grüßen!

Spiderman kann man entdecken, wenn man sich in die Toreinfahrt Berliner Straße 74 wagt und den Helden dann auf dem Dach bewundern kann – angeblich sollen noch etliche dieser Männer in der Stadt verteilt zu finden sein! Und Super Mario kann man neben der Kleinmarkthalle entdecken – nur den Blick nach oben muss man wagen.

Letzte Änderung: 24.03.2023  |  Erstellt am: 31.10.2022

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