Wer Höcke wählt, wählt den Faschismus

Wer Höcke wählt, wählt den Faschismus

Kontrapunkt

Auch Frischs Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann regt sich über die Brandstifter auf, um sie schließlich ins eigene Haus zu lassen. Erschreckender als die Existenz rechtsradikaler Parteien wirkt der Zulauf, den sie derzeit bekommen, und die Hilflosigkeit, mit der der Rest der Deutschen dem, tatenarm und gedankenarm, zusieht. Thomas Rothschild fordert von uns die Anwendung unserer Gesetze.

Ja, ich wünsche mir einen Staat, in dem die Staatsanwaltschaft tätig wird, wenn ein erfolgreicher Politiker, dessen Partei nach jüngsten Umfragen in seinem Bundesland 32,9% der Wählerstimmen, deutlich mehr als alle anderen Parteien, erhielte und der sich anschickt, Thüringens Ministerpräsident zu werden, folgende Sätze ausspricht: „Unter anderem müssen wir das Bildungssystem auch befreien von Ideologieprojekten, beispielsweise der Inklusion, beispielsweise auch dem Gender-Mainstream-Ansatz. Alles das sind Projekte, die unsere Schüler nicht weiterbringen, die unsere Kinder nicht leistungsfähiger machen und die nicht dazu führen, dass wir aus unseren Kindern und Jugendlichen die Fachkräfte der Zukunft machen.“

Es ist zum Verzweifeln. Die massenhaft aufschreien, wenn jemand die vier fehlenden Buchstaben des N-Wortes schreibt oder das ganze Wort ausspricht – wohlgemerkt: schreibt oder ausspricht, nicht die Diskriminierung des Gemeinten fordert –, hüllen sich in vernehmbares Schweigen, wenn es nicht um Sprachregulierung, sondern um Realpolitik geht, wenn Menschen diffamiert und ausgegrenzt werden, wenn zum Verstoß gegen das Grundgesetz aufgerufen wird, ein tatsächlicher Verfassungsfeind also unbescholten, aber offenbar mit Fortune, um Wählerstimmen buhlt.

Viel zu lange hat man Höcke gewähren lassen. Alle mehr oder minder empörten, moralisch argumentierenden Kommentare in den Medien und Stellungnahmen der betroffenen Verbände beweisen nur deren Hilflosigkeit. Wieder: viel Sprache und wenig Politik. Wir befinden uns mitten auf dem Weg der Rücknahme der demokratischen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte, nicht nur in Thüringen. Es ist an der Zeit, alle Möglichkeiten des Gesetzes auszuschöpfen, um eine Fortsetzung dieses Weges zu verhindern. Höcke ist keine Witzfigur, seine Kumpanen, Unterstützer und Wähler sind keine Papiertiger. Sie stehen vor der Tür.

Der amerikanische Schriftsteller John Irving mahnte kürzlich: „Der Faschismus kommt wieder.“ Er dachte in erster Linie an die USA. Aber es gilt für viele Länder der Welt. Nicht zuletzt für ein Deutschland, in dem Höcke den Konsens von 1945 und mit ihm die letzten Tabus brechen darf. Irvings Warnung besitzt jedenfalls eine größere Plausibilität als die litaneiartig wiederholte Beschwörung „Nie wieder!“ Sie orientiert sich an den Tatsachen, nicht an Wunschvorstellungen.

Vor 1933 lautete die Parole: „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“. Die Geschichte hat uns belehrt:
Sie war ebenso zutreffend wie wirkungslos. Wer Höcke wählt, wählt den Faschismus. Sollten wir die Lehre der Geschichte nicht verstanden haben? Den Preis werden kurzfristig die Behinderten, auf längere Sicht alle zahlen, die Höckes Anschauungen nicht teilen.

Letzte Änderung: 11.08.2023  |  Erstellt am: 11.08.2023

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Kommentare

Ralf Rath schreibt
Dass der Faschismus zwar versucht, Leiden zu lindern, dabei aber über völlig ungeeignete Lösungen verfügt, lässt sich schon daran ablesen, dass damit der aus der Lebensnot geborene Geist vor der Ausrottung steht. Gewonnen ist dadurch nichts. Im Gegenteil. Es verlieren alle. Ausnahmslos jeder steht am Ende mit leeren Händen da. Will sich insofern ein Gemeinwesen nicht mit aller Gewalt ruinieren, ist es selbstevident, dafür keinen Finger zu rühren. Der überaus hohe Zuspruch, den hiesig derzeit die AfD dessen ungeachtet erfährt, kann demnach nur mit einem "flight from reality" erklärt werden, den Hannah Arendt anlässlich ihres Besuchs in Deutschland bereits im Oktober 1950 kritisiert hat. Offenbar reproduziert sich gesellschaftlich derlei Gebaren fortgesetzt bis auf die Gegenwart. Es nimmt dann nicht wunder, wenn heutzutage insbesondere der Euro als die gemeinsame Währung immer weniger wert ist. Laut der Präsidentin der Europäischen Zentralbank sind davon die Schwächsten am meisten betroffen. Anstatt also die Qualen in Grenzen zu halten, eskalieren die Torturen bis weit über das erträgliche Maß hinaus. Offiziellen Berechnungen gemäß kostete die inzwischen geradezu enthemmt betriebene Schinderei allein im Jahr 2022 mehr als 200.000 Menschen zusätzlich und von vornherein vermeidbar das Leben. Der sadistischen Versuchung zu widerstehen, wäre daher allemal vernünftiger. Allerdings fehlt dazu politisch der Wille.
Matthias Buth schreibt
Faschismus? Das trifft nicht. In Deutschland war es der Nationalsozialismus, der alles verfolgte und "erledigte", was sich ihm an Humanismus und Kultur in den Weg stellte. Das NSDAP-Denken ist leider nicht auf die Partei begrenzt, die zu nichts eine Alternative ist. Heute ist der 90ste Geburtstag von Reiner Kunze, der mit den Gedichten und dem Prosaband "Die wunderbaren Jahre" 1976 alles auf eine Karte setzte, der wie Stauffenberg "den Wurf gewagt" hat. Das war ein Staatsstreich wie Ines Geipel richtig in der FAZ am 16.8.2023 schreibt. Er gelang dann 1989/90. Ohne Dichter wie Reiner Kunze wäre Deutschland ein Irrtum. Aber leider ist er fast allein. "Dichter dulden keine Diktatoren neben sich", das ist ein Vers von Kunze und so heißt ein Buch, das ich 2013 zusammen mit Günter Kunert mit 40 Aufsätzen seiner Wegbegleiter herausgegeben habe. Wenn wir das Wort "Deutschland" nicht den Zerstörern überlassen wollen, sollten wir auf den deutschen Vers, sollten wir auf Kunze setzen, denn für ihn ist die Dichtung das Vaterland sowie wie es für Rose Ausländer das "Mutterland Wort" ist. Else Lasker-Schüler, Paula Ludwig, Hilde Domin, Christine Lavant und Getrud Kolmar gehören ebenso dazu wie Peter Huchel und Paul Celan und Hertha Kräftner.

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