„Deutschland ist ein Patient …“ oder Alles gegen die AfD und Höcke

„Deutschland ist ein Patient …“ oder Alles gegen die AfD und Höcke

Zur Bundestagswahl 2025
Thomas Draschan Now you see me | © Art Virus Ltd.

Die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 rückt näher – und mit ihr die Frage nach dem wachsenden Einfluss der Neuen Rechten auf die deutsche Politik. Ideologen wie Götz Kubitschek und Politiker wie Björn Höcke treiben eine Radikalisierung voran, die ein gefährliches, apokalyptisches Narrativ bedient. Doch was steckt hinter diesen Strömungen? Und welche Bedrohung geht von ihnen für Deutschland, Europa und die Demokratie aus? Artur Becker wirft einen kritischen Blick auf ein alarmierendes Netzwerk und dessen Ideologie.

„Ist die AfD eine Gefahr für Polen? Für die Europäische Union, für den Frieden in diesem Teil der Welt?“, fragte mich neulich der Publizist und Herausgeber Bogusław Chrabota in einem Interview für die Rzeczpospolita, die neben der Gazeta Wyborcza die wichtigste Zeitung Polens ist und im Ausland am häufigsten von allen anderen polnischen Zeitungen zitiert wird. Meine Antwort lautete: „Ist Orbán eine Bedrohung? Ist PiS eine Bedrohung? Zum Beispiel wegen der Homophobie? Ganz zu schweigen von den Kontakten zu Putins Russland. Natürlich ist die AfD eine Bedrohung für Deutschland, für Polen, für Europa. Das ist Messianismus, nicht Politik. Messianismus ist immer gefährlich. Sie wollen nicht vernünftig wirtschaften und Probleme lösen, sie wollen nur ‚heilen‘. Wir wissen, worauf eine solche ‚Heilung‘ hinausläuft.“

Die Neue Rechte, allen voran ihr Vordenker Götz Kubitschek, der auf einem ehemaligen Rittergut in Schnellroda die ideologische und rechtsextreme Gedankenschmiede samt dem Verlag Antaios betreibt, hatte bisher ein relativ leichtes Spiel mit der AfD, was die Durchsetzung seiner eigenen Interessen angeht. Die beiden ehemals führenden Köpfe der AfD Frauke Petry und Jörg Meuthen haben im Laufe der langjährigen Radikalisierung der Partei abgedankt, und Björn Höcke schwamm sich frei, dank der ideologisch-politischen Unterstützung durch Kubitschek ‒ aus dem Hinterland sozusagen, im Geheimen.
Höcke verkauft sich aber in der Öffentlichkeit als ein lupenreiner Demokrat, der mit den Rechtsextremen nichts zu tun haben wolle, aber in Wahrheit ist er durch und durch ein Postneofaschist. In seinem Interviewbuch Nie zweimal in denselben Fluß: Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig (2018) sagt er ganz offen, was ihm für die glorreiche Zukunft Deutschlands vorschwebe, wenn das Leiden seiner „kranken“ Heimat beendet werde; schwarz auf weiß spricht er darin von heldenhaften Männern, die sich, wenn diese Wendezeit komme, „für ihr Land einsetzen“ und „um alles kümmern“ würden, eben nicht nur um „ihren persönlichen Lebenssack“.

Der rechte AfD-Sprech klammert sich in erster Linie an das Narrativ der bitternotwenigen Heilung Deutschlands, das ein „Patient“ sei, der „kurz vor dem multiplen Organversagen“ stehe, so Höcke in einer Rede bei einem seiner zahlreichen öffentlichen Auftritte. Sätze, die dieses rechtsextreme und apokalyptische Narrativ der Heilung bedienen, wiederholen sich in seinen Reden sehr oft: „Es geht um die Existenz unseres Volkes.“ ‒ „Es geht um nichts anderes als um das Sterben Deutschlands.“ Dieses Sterben sei den „Kartellparteien“, der „transatlantischen Elite“, zu verdanken, aber auch der „Umvolkung“, was bedeutet, dass im Hintergrund bösartig daran gearbeitet werde, die Deutschen komplett auszutauschen: gegen Migranten, die ja laut diesem rechtsextremen Narrativ Feinde und nach dem faschistoiden Prinzip solcher Denke „keine anständigen Leute“ seien, weil sie zu uns gekommen seien, um unsere christlich-europäisch-deutsche Kultur zu vernichten. Und was kann dagegen helfen, welche Medizin, um dieses Töten und Sterben Deutschlands zu stoppen? „Remigration“ natürlich. Und die „deutsche Leitkultur“ (im Übrigen ein Begriff aus der parteiideologischen CDU-Schmiede im Kontext der Debatte über Zuwanderung, Integration und Multikulti). So einfach ist also die Lösung.

Zu dieser Untergangsstimmung gesellen sich noch andere apokalyptisch-messianische Ideen, aber auch solche, die die Vergangenheit der Täter, die Verbrechen der Nazis, relativieren, und das ist gefährlich. Es geht hier um den Begriff „Schuldkult“, der meint, dass „die etablierte Erinnerungskultur“ der falsche Weg sei ‒ für Deutschland, der „ungesunde Weg“ natürlich, von den Siegermächten negativ beeinflusst. Wir erinnern uns in diesem Kontext, was Alexander Gauland über die zwölf Jahre der Nazi-Diktatur sagte ‒ das sei nur ein „Vogelschiss“ in der langen deutschen Geschichte gewesen. Man denkt als erstes, wenn man so etwas hört, an all die Opfer des sinnlosen und brutalen Nazi-Terrors; und man könnte sich auch fragen, warum in solchen Fällen der Verharmlosung der Verbrechen gegen die Menschheit oft diese analen Vergleiche und dieser verharmlosende und zynische Unterton der Sprache herangezogen werden? Aber eigentlich möchte man gar nicht in die Köpfe solcher Pseudophilosophen reinschauen, weil man in ihnen ‒ öffnete man sie ‒ Schauerliches vermuten darf, das abstoßend ist. Dunkle Abgründe eines schwarzen Herzens.

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Dünnhäutige und leicht zu beleidigende Gemüter, die nicht selten voller Komplexe sind, suchen in der rechtsextremen Ideologie nach Heilung, wobei sie oft auch noch eine Untertanenmentalität besitzen, die in ihrem Unbewussten wiederum sehr leicht von autoritären, meistens selbsternannten Weltenlenkern und -heilern angesprochen werden könne, wie es Theodor W. Adorno in seinem erst 2019 veröffentlichten Vortrag Aspekte des neuen Rechtsradikalismus von 1967 zur Sprache bringt, denn propagandistische Sprüche würden bei solchen ideologisch verführbaren Menschen auf wunderbaren Nährboden treffen. Mit anderen Worten: Sie sind leichte Opfer. Und kommen noch eine Prise Narzissmus sowohl bei den Wortführern wie auch bei den Wortempfängern und die Überzeugung hinzu, dass die unbedingte Bewahrung und die dringliche Verteidigung der nationalen Identität, in diesem Fall der deutschen, das einzige Heilmittel gegen alle Ungerechtigkeit da draußen in der Welt seien, lauern Rassismus, Xenophobie, Antisemitismus, Islamophobie und so weiter um die Ecke ‒ zum Greifen nahe. Solch eine Haltung, wie wir wissen, kann zu einem furchtbaren und dramatischen Chaos führen. Für die Nationalismen des 19. und 20. Jahrhunderts haben nämlich nicht nur die Europäer einen furchtbaren Preis bezahlt.

Ein Individuum, das eine messianische Aufgabe im Namen seiner ‒ seiner Meinung nach ‒ zum Höheren berufenen Nation erfüllen zu müssen glaubt, kann ein furchtbares Chaos anrichten; ebenso wie die Massen, die sich von ihm verführen lassen. Nur weil Millionen Menschen die AfD wählen, kann das doch nicht automatisch bedeuten, dass man diesen Wählern endlich ruhigen Schlaf bereiten, endlich volles Verständnis entgegenbringen sollte ‒ dass man ihnen nicht sagen dürfe, sie seien auf dem Holzweg. Nein, Massen können genauso furchtbar irren und grausam sein wie ein Individuum, wie ein Diktator. Den Wald aus erhobenen Armen und Händen kann man doch nicht vergessen, geschweige denn jemals wieder verharmlosen oder gar ignorieren.

Ja, die AfD macht auch mir Angst, zumal, studiert man die Schriften ihrer geistigen Strippenzieher im Hintergrund (von Arnold Gehlen bis Götz Kubitschek), aber auch bei den Reden und Texten von Björn Höcke (wie auch in den Gesprächen mit ihm), weiß man sofort, woher der Wind weht, wohin diese Reise geht.
Doch selbst, wenn man sich etwas auf den ersten Blick relativ Harmloses und Zugängliches wie das Parteiprogramm der AfD für die Bundestagswahl am 23. Februar 2025 anschaut, merkt man schnell, dass, sollte diese Partei einmal an die Macht kommen, Feinde der Demokratie und Liebhaber Ernst Jüngers und Carl Schmitts einen „Ausnahmezustand“ (siehe Giorgio Agamben) in Deutschland einführen würden ‒ gegen das politisch-demokratische System, das sie hassen. Wie in Ungarn, vor Kurzem noch in Polen und sowieso in Russland würde man an der Verfassung, den Gerichten, der Bildung („richtiges“ Geschichtsverständnis und „deutsche Leitkultur“) und den öffentlichen Medien „herumschrauben“, um endlich „demokratische“, also richtige und wahrhaftige Reformen durchzuführen ‒ um das ganze kranke System zu heilen. Wissen die AfD-Wähler nicht, was das alles, was ich hier im Kontext der sogenannten Sanatio beschrieben habe, bedeutet? Und wenn sie es wissen und wirklich verstehen, wollen sie tatsächlich so ein „geheiltes“ Deutschland? Ist das die Zukunft in einer globalisierten Welt (nicht einer angeblich von „Globalisten“ regierten Welt …)?

Es stehen einem die Haare zu Berge, man bekommt wirklich Angst, sollte die AfD zusammen mit der Neuen Rechten eines Tages dieses Land regieren. In Nie zweimal in denselben Fluß … sagt der Vorsitzende der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag und Sprecher des Landesverbands AfD Thüringen: „Die Entladung des aufgestauten Drucks wird irgendwann kommen, die geballten Fäuste werden dann in die Luft gerissen und das Volk, der große Lümmel, an den Festungstoren der Machthaber rütteln. Ich bin fest davon überzeugt: Vor allem die Männer werden aufwachen und sich ihrer besonderen Verantwortung für das Ganze bewußt werden. Unsere Zukunft hängt auch an der Frage männlicher Ehre und Würde.“ Und dann weiter: „Ein paar Korrekturen und Reförmchen werden nicht ausreichen. Aber die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, daß wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden. Wenn einmal die Wendezeit gekommen ist, dann machen wir Deutschen keine halben Sachen. Dann werden die Schutthalden der Moderne beseitigt, denn die größten Probleme von heute sind ihr anzulasten.“

Oh ja, das stimmt, ich kenne diese Deutschen, diese deutschen Männer, die keine halben Sachen gemacht haben … Das, was Höcke in diesem Buch sagt, ist nicht harmlos: Das sind nicht bloß „Aufstandsfantasien des AfD-Rechtsaußens“, wie Liane Bednarz in ihrer Focus-Rezension (2019) zu Nie zweimal in denselben Fluß … schreibt; das ist vielmehr eine Ankündigung der Abrechnung ‒ der „Guten“ gegen die „Bösen“; sie, die „Guten“, werden endlich siegen und uns alle heilen und befreien … Das Geheimtreffen der „Guten“ im November 2023 in einer Villa nahe Potsdam (am Wannsee wäre dieses zu offensichtlich gewesen, hatten sich bestimmt einige von ihnen gedacht) war auch nicht harmlos; da hatte man endlich nach einer Lösung gesucht und über den „Masterplan zur Remigration“ diskutiert: über die „Remigration“ für alle, die die großartige christlich-europäisch-deutsche Kultur, „deutsches Wesen“, gefährden und sogar zerstören könnten oder gar wollten.

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Die AfD verkauft sich als eine Bekämpferin des elitären, die Menschen manipulierenden Establishments ‒ das zieht natürlich für Verschwörungstheorien anfällige Gemüter an, wirkt wie eine Medizin, vor allem bei solchen Wählern, die „die ganze Wahrheit“ erfahren wollen und „das unbändige Gefühl“ haben, das Weltentheater, die menschliche Komödie, werde von geheimen „Archonten“ gelenkt und habe lediglich die Aufgabe, uns Erdenbürgern unsere wahre Identität und unsere wahre Kulturgeschichte zu stehlen: vor allen Dingen aber die in dem Volk tiefsitzende Gerechtigkeitssehnsucht und das unfehlbare Gerechtigkeitsempfinden. Deshalb auch bedienen sich die Anhänger dieses rechtsextremen Glaubens gerne des Narrativs der Spaltung, die eine geradezu klassische faschistoide Methode ist, Feinde zu entmenschlichen beziehungsweise Menschen zu teilen: in Eingeweihte und Nichteingeweihte, in Wahrhaftige und Verlogene, in Gerechte und Ungerechte, in Patrioten und Verräter, in Willkommene und Unerwünschte … Das ist alles messianisch-nationalistisches Denken pur. Postneufaschismus pur. Die AfD ist eine postneofaschistische Partei, und das Schlimme ist, dass dieser Postneufaschismus, vor dem Albert Camus schon gleich nach der Beendigung des Zweiten Weltkriegs gewarnt hat, sich heute mehr und mehr ausbreitet, in den USA und in Europa, auch in Lateinamerika. Er wird salonfähig und kommt nicht selten in einem harmlosen, Freundlichkeit vortäuschenden Gewand daher, aber in seinem schwarzen Herzen ist er voller Hass und Verachtung gegenüber dem Leben, das frei und kreativ sein will, demokratisch. Oder er bleckt die Zähne und versteckt sich nicht, sondern hält mit seiner wahren Fratze und seinen wahren Absichten nicht hinterm Berg, um dem Gegner Angst einzujagen, wie das der Fall bei dem Rassemblement National oder bei den rechtsextremen Trumpisten ist.

Als ich 1985 aus dem ehemaligen „Ostpreußen“ nach Westdeutschland kam und die Plakate der NPD und der Republikaner sowie die Fotos von Franz Schönhuber sah, wie er, der ehemalige Waffen-SS-Mann, in seinem „kleinkarierten“ Sakko posierte, natürlich im Dienst seiner Partei, dachte ich: Ach so, der war also dabei, warum darf er überhaupt hier so freundlich lächeln wie ein netter Onkel aus der Nachbarschaft und mir ein politisch-revisionistisches Programm andrehen?
Doch damals betrachtete ich solche Schönhubers noch milden Auges, na ja, dachte ich, alte Männer, die den Krieg überlebt und nichts dazu gelernt haben. Ich konnte mir nämlich vor fünfunddreißig Jahren, während meines Studiums der Germanistik, Slawistik und Soziologie in Bremen, schwer vorstellen, dass diese rechtsnationale und rechtsextreme Ideologie einmal mit voller Wucht zurückkommen und obendrein von Menschen aus meiner Generation getragen werden würde. Ich dachte, es wäre doch eine Schande für Deutschland, die Nachgeborenen müssten doch endlich etwas gelernt haben. Ich dachte damals, sie würde zusammen mit diesen alten Männern, all den Schönhubers, einfach aussterben. Aber Pustekuchen.

Letzte Änderung: 14.02.2025  |  Erstellt am: 14.02.2025

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